Italiens Wirtschaftspolitik: Die Rechnung für Bunga Bunga
Ein bisschen Sodom, ein bisschen Athen: Bisher blieben Silvio Berlusconis Skandale folgenlos. Doch nun verschränken sich Krise und "Pornopolitik".
ROM taz | Gad Lerner ist kein Schreihals. Woche für Woche moderiert der bekannte Journalist auf dem Privatsender La7 eine politische Talksendung, die sich durch ihren für Italien ungewohnt ruhigen Ton auszeichnet.
Doch an diesem Montag sah auch der immer besonnene Lerner die Zeit gekommen, schon beim Titel der angesetzten Studiodiskussion zu schrillen Tönen zu greifen: "Pornopolitica e default" war das Thema. Zu Recht, wie sich noch im Laufe des Abends herausstellen sollte: Die Ratingagentur Standard and Poors (S & P) stufte zur selben Zeit in New York Italiens Bonität von A+ auf A herab.
Als Begründung weist S & P auf den Schuldenberg von rund 120 Prozent des BIP hin und darauf, dass Italien stagniert: Gerade erst musste die Regierung die Wachstumsprognose 2011 auf 0,7 Prozent nach unten korrigieren, und 2012 ist auch nicht mehr als ein Prozent drin. Dann werden die Analysten deutlicher: "Die fragile Regierungskoalition und die Spaltungen im Parlament werden weiterhin die Fähigkeit begrenzen, effizient auf die Herausforderungen zu reagieren", schreiben sie.
Ein bisschen Sodom, ein bisschen Athen: "Pornopolitik" und die Furcht, das Schicksal Griechenlands zu erleiden, die Angst vor einer möglicherweise drohenden Staatspleite, halten die Italiener in Atem. Jeden Tag dürfen sie neue peinliche Details über die Freizeitspäße Silvio Berlusconis lesen, über junge Frauen, die nach einem Abend in seiner Residenz sehr bald im Büro für Öffentlichkeitsarbeit des Ministerpräsidenten arbeiten, die hoch bezahlte Beraterverträge bei der staatlichen Rüstungsfirma Finmeccanica bekommen, die TV-Rollen beim Berlusconi-Sender Mediaset genauso wie bei der staatlichen RAI ergattern - oder auch nach durchstandener Nacht "nur" mit Briefchen, Inhalt 10.000 Euro, entschädigt werden.
Gleich drei junge weibliche Abgeordnete - eine aus dem Europäischen Parlament, eine aus dem Abgeordnetenhaus, eine aus dem Regionalparlament der Lombardei - stehen zudem im Verdacht, ihre "politische" Karriere sei vor allem dem Umstand zu verdanken, dass sie sich eifrig bemühten, dem Premier immer neue Frauen zuzuführen.
Handel erst mit Prothesen, dann mit Prostituierten
Als Hauptzuhälter gilt der Unternehmer Gianpaolo Tarantini aus Bari, mittlerweile wegen Förderung der Prostitution, Drogenhandels und Erpressung in Haft. Auch im Kontakt mit Tarantini verquickte Berlusconi seine "privaten" Interessen mit seinem politischen Amt: So durfte der Unternehmer - in Bari handelte er ursprünglich mit Prothesen und befeuerte dort das Geschäft mit Bestechung und Prostituierten für die Auftraggeber aus dem staatlichen Gesundheitsdienst - an der Seite Berlusconis zum Staatsbesuch nach China reisen.
Was ihr Premier im "Privatleben" so treibt, wissen die Italiener seit über zwei Jahren: 2009 wurden seine Kontakte zu einem damals erst 17-jährigen Mädchen aus Neapel bekannt, im Sommer 2009 packte eine Prostituierte über ihre Nächte bei Berlusconi aus, im Jahr 2010 schließlich wurde in Mailand der Fall "Ruby" um eine 17-jährige Marokkanerin bekannt - Stichwort "Bunga Bunga".
Doch bisher konnte Berlusconi sich immer darauf verlassen, dass diese Skandale folgenlos blieben - dass seine Wähler die Mär glaubten, Schmutzfinken aus der feindlichen Presse verbreiteten hier nur "Gossip", und rote Staatsanwälte verfolgten ihr Idol "politisch".
Zugleich rühmte Berlusconi sich, er sei es, der Italien mit sicherer Hand durch die Krise steuere, Italien stehe "besser da als die meisten anderen in Europa", und das, obwohl er seine Hände "nicht in die Taschen der Italiener gesteckt", sprich, ihnen nicht die Steuern erhöht habe. Diesmal aber ist es anders: Der Herbst 2011 droht zum Herbst Berlusconis zu werden. Am 29. September feiert er seinen 75. Geburtstag - es könnte sein letzter im Amt werden.
Diesmal sind es nicht mehr "rote Roben" und "kommunistische Journalisten", die ihm nachstellen. Diesmal sind es "die Märkte" und die Rating-Agenturen, die Berlusconis Italien massiv unter Druck setzen. S & P stufte am Montag Italiens Bonität herab, obwohl das Parlament doch erst vor ein paar Tagen ein neues 50-Milliarden-Sparpaket gebilligt hatte. Ähnlich unbeeindruckt hatten schon die Märkte auf die verzweifelten Sparanstrengungen reagiert: Der "Spread" - der Risikoaufschlag auf italienische Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit gegenüber deutschen Anleihen - liegt seit Wochen unverändert bei knapp 4 Prozent.
Bezeichnend war die Vertrauensabstimmung über das Sparpaket letzte Woche: Weder Premier Berlusconi noch Schatzminister Giulio Tremonti hatten sich überhaupt in der Debatte blicken lassen. Berlusconi hat gerade andere Sorgen: Er feilte wieder einmal verzweifelt an einem Dekret, das die Abhörmaßnahmen der Staatsanwälte drastisch einschränken sowie die Veröffentlichung von Abhörprotokollen verbieten sollte.
Wenn die Hütte brennt, ist das Interesse da
So verschränken sich Pornopolitik und Krise: Berlusconi wird als zunehmend handlungsunfähig wahrgenommen. Umgekehrt gilt die Verschränkung aber auch: Jetzt, da das Haus brennt, ist es den Italienern, vorneweg den Eliten, nicht mehr egal, was ihr Premier "privat" so treibt, nehmen auch sie den international völlig Diskreditierten als Krisenfaktor Nummer eins wahr, als Haupthindernis bei der Wiederherstellung internationalen Vertrauens. "Wenn er geht, würde allein das schon ein Sinken des Risikoaufschlags für Italien um ein Prozent mit sich bringen", konstatierte der Oppositionspolitiker Enrico Letta.
Schützenhilfe erhält die Opposition vom Unternehmerverband. Deren Präsidentin Emma Marcegaglia donnerte: "Die Situation des Stillstands ist nicht mehr hinzunehmen", schlicht "dramatisch" sei das Szenario für Italien, seine Glaubwürdigkeit sei "unterminiert". Und Corrado Passera, einer der mächtigsten Bankiers, legte nach: "Aufgepasst, Italien steht vor dem Risiko des default!"
Und Berlusconi? Der teilt bizarrerweise diese Einschätzung: "Politische Überlegungen" hätten bei der Herabstufung durch S & P eine zentrale Rolle gespielt. Natürlich hätten dabei "Berichte der Zeitungen" eine stärkere Rolle gespielt "als die Realität der Fakten". So reiht sich auch S & P ein in die imaginäre Phalanx der "roten" Feinde aus Presse, Staatsanwälten und Oppositionellen. Italien wird das nicht helfen - Berlusconi auch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker