Italienische Linke über Kommunismus: „Eine linke Vision“

Vor 100 Jahren wurde die Kommunistische Partei Italiens gegründet. Elly Schlein, der neue Star der italienischen Linken, spricht über das Erbe der Partei.

Elly Schlein, eine Frau mit langen, dunklen, glatten Haaren. Sie lächelt. Sie trägt einen Anorak und einen Schal.

Elly Schlein bei einer Wahlkampfveranstaltung Anfang 2020 in Modena Foto: Roberto Brancolini/Fotogramma/imago

taz:­ Frau Schlein, vor hundert Jahren gründete sich die Kommunistische Partei Italiens. Nach 1945 sollte sie als Partito Comunista Italiano (PCI) zur mächtigsten kommunistischen Partei im Westen werden. Ist dieser Jahrestag für Sie ein Grund zum Feiern?

Elly Schlein: Es ist ein wichtiger Jahrestag, und wir müssen die Gelegenheit nutzen, um über die historischen Ereignisse und die Folgen auch der Spaltung der italienischen Linken nachzudenken. Es ist klar, dass der politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Kontext so anders war, dass ich nicht versucht wäre, diese Ereignisse auf die heutigen Verhältnisse zu übertragen. Ich bin auf eine Art sehr fasziniert von der Geschichte des PCI – auch wenn ich selbst schon aus Altersgründen nie Mitglied war.

Meine Generation hat ein Liebe-Hass-Verhältnis zu dieser Art von Politik und Parteien: Ich kann schon mal nostalgisch werden, wenn ich an diese Riesenorganisationen und ihre starke Verwurzelung in breiten Volksschichten denke. Gerade der PCI hatte noch eine soziale Funktion, hat sich um seine Leute gekümmert, ein gemeinsames Bewusstsein geschaffen und eine Führungsschicht herangezogen, die wirklich um das Gemeinwohl besorgt war, was heute leider sehr viel weniger der Fall ist in der Politik. Und obwohl der PCI eine revolutionäre Partei war, ist er in Italien doch immer eine Stütze der Demokratie gewesen – etwas, was wir gerade heute schmerzlich vermissen.

Vor der Politik Schlein wurde 1985 im schweizerischen Lugano als Tochter eines italienisch-US-amerikanischen Professorenpaares geboren. Sie studierte Jura und engagierte sich 2008 und 2012 in Chicago in den Präsidentschaftswahlkämpfen Barack Obamas.

In der Politik 2013 trat sie dem gemäßigt linken Partito Democratico (PD) bei, zog 2014 für ihn ins Europaparlament, verließ die Partei aber 2015 aus Protest gegen den damaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi. 2020 schob sie für die Regionalwahlen in der Emilia Romagna die Bildung der linksökologischen Liste Emilia-Romagna Coraggiosa (Die mutige Emilia-Romagna) an und wurde ins Regionalparlament gewählt. In der Regionalregierung unter Führung des PD wurde sie Vizepräsidentin, zuständig für Soziales und Klimapakt.

Im Privaten Zu ihrem Privatleben äußert Elly Schlein sich eigentlich nie. Eine Ausnahme machte sie nach der Regionalwahl, als sie erklärte, „ich bin mit einem Mädchen zusammen, und ich bin glücklich, solange sie mich erträgt“.

Was vermissen Sie denn am meisten?

Den Internationalismus, den wir auf keinen Fall den Rechten überlassen dürfen, die ihre Botschaft von Hass und Spaltung überall verbreiten, ob es nun Trumps Mauer zu Mexiko ist oder die geschlossenen Häfen von Lega-Chef Salvini. An einem privilegierten Ort, im Europäischen Parlament, habe ich erleben dürfen, was es heißt, Europäerin zu sein, gemeinsam für die Menschen und die Regionen zu kämpfen. Das ist meine große Hoffnung, dass wir zusammen so stark werden wie unsere Gegner, die diese Vernetzung schon lange betreiben.

Sie sind Vizepräsidentin einer Region, der Emilia-Romagna, rund um die Stadt Bologna in Norditalien, die als Wiege des italienischen Kommunismus gilt, das Land von Don Camillo und Peppone. Was ist davon geblieben?

Es gibt hier eine solide Verwaltungstradition, eine, die alle Teile der Gesellschaft in den Dialog miteinbezieht. Das hat sich auch bewährt, als wir als Erste in Europa die schrecklichen Folgen der Pandemie zu spüren bekamen. Und ich bin sehr stolz darauf, hier adoptiert worden zu sein von Menschen, die auch nach 40 Jahren nicht aufhören, nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu forschen, etwa was den faschistischen Anschlag auf den Bahnhof von Bologna 1980 angeht, der 85 Menschen das Leben kostete. In der Emilia-Romagna hat man Verschiedenheit immer als Reichtum verstanden, und ich bin stolz, hier mit so viel Zustimmung zu meiner Person gewählt worden zu sein.

Sie sind jetzt seit einem Jahr in der Regierungsverantwortung: Haben Sie denn als kleine linke Liste überhaupt die Möglichkeit, die Dinge zu ändern, oder gab es große Enttäuschungen?

Am 21. Januar 1921 vollzogen die italienischen Anhänger Lenins den Bruch mit den Sozialisten und gründeten die Kommunistische Partei Italiens. Der Aufstieg Benito Mussolinis und der Faschisten zwang die Kommunisten in die Illegalität. Ihr Vordenker und seit 1924 Parteichef Antonio Gramsci wurde eingekerkert. Während des Zweiten Weltkriegs bildete die KPI die bewaffnete Resistenza gegen Nazitruppen und stieg zur stärksten KP des Freien Westens auf: 1976 holte sie bei den Wahlen 34,4 Prozent – auch weil sie weiter auf Abstand zur Sowjetunion ging. Mit dem Fall der Berliner Mauer nahm die KPI Abschied von der kommunistischen Doktrin und wurde im Februar 1991 zur Partei der Demokratischen Linken, im Jahr 2007 zum heutigen Partito Democratico (PD).

Ich selbst komme aus der Partito Democratico, der PD, und weiß sehr genau, warum ich ausgetreten bin. Enttäuschungen gibt es also immer und gab es vor allem unter der Leitung von Matteo Renzi, der auf so vielen Politikfeldern die eigenen Leute verraten hat und nun in der aktuellen Regierungskrise sein zynisches Spiel weitertreibt. Und doch: Es war die richtige Entscheidung, in die Regierung zu gehen. Das hat uns ja niemand befohlen, wir waren freie Menschen und sind es jetzt auch noch.

Wir haben im Wahlkampf immer eine einfache Frage gestellt: Gibt es Bedarf für ein neues Projekt, das zugleich sozial progressiv und ökologisch ist? Braucht es eine Schnittstelle von Leuten, die aus der Parteipolitik kommen, und denen, die in den sozialen Bewegungen engagiert sind, den „Sardinen“, den Öko-Aktivist:innen und denen, die sich für die Mi­gran­t:in­nen engagieren? Die Antwort war immer positiv. Auf den Plätzen ist schon vereint, was in der etablierten Politik immer noch gegen­ein­ander ausgespielt wird: Greta Thunberg und Carola Rackete gehören zusammen! Und dann haben wir dem PD den Vorschlag gemacht, gemeinsam den Vormarsch der Rechten zu stoppen, aber das hat uns nie gereicht als Projekt. Wir wollten auch eine gemeinsame Vision: ein Pakt für das Klima, ein Pakt für gute Arbeit und der Kampf gegen Ungleichheit, insbesondere in der Wohnungspolitik. Und das alles haben wir vor ein paar Wochen unterzeichnet.

Wenn alle nach ihren Bedürfnissen berücksichtigt werden, dann muss sich niemand mit seinem Nächsten oder, schlimmer noch, mit dem anlegen, dem es noch schlechter geht als ihm selbst. Wir haben viel Geld in die Hand genommen und wir haben es nicht zuletzt denen gegeben, die von der Pandemie am härtesten betroffen waren, den Saisonarbeitern zum Beispiel. Ist also eine linke Verteilungspolitik in der Pandemie möglich in einer durchaus heterogenen Koalition mit langen Diskussionen? Ja, das haben wir gezeigt.

Der Klimawandel lässt uns auch gar keine Zeit, auf eine absolute Mehrheit zu warten: Die Wissenschaftler sagen, uns bleiben noch höchstens 11 Jahre. Und lieber diskutiere ich die ganze Nacht mit dem PD, als die übelste Rechte Europas passieren zu lassen.

Der PCI war immer stark bei den sozialen Rechten, sehr viel weniger engagiert, ja konservativ, bei den Bürgerrechten. Ist die italienische Linke da heute weiter?

Italien ist ein Land, in dem es großen Nachholbedarf gibt, was etwa die Rechte von LGBTQI angeht oder die Gleichstellung der Geschlechter. Und das stimmt auch für Teile der Linken, da fehlt es an Mut. Gleichzeitig haben wir in der Pandemiekrise Hunderttausende Arbeitsplätze verloren und zwar vor allem prekäre Arbeitsplätze, von Frauen und jungen Menschen. Es geht nicht nur, wie uns Feministinnen, um formale Rechte, sondern um wirtschaftliche Möglichkeiten.

Die italienische Nationalbank sagt, dass das BIP um 7 Prozent wachsen würde, wenn wir bei 60 Prozent weiblicher Beschäftigungsquote ankämen. Eine Linke, die ernstgenommen werden will, muss sich diesen Themen stellen, in kohärenter Weise. Sie muss die Themen Kampf gegen Ungleichheit, Arbeit, Klima zusammenbinden. Vergessen wir nicht: Der PD war die letzten 15 Jahre lang fast immer an der Regierung und hat die Rechte der Migranten nicht weitergebracht, kein modernes Staatsbürgerschaftsrecht eingeführt etc.

Es war auch jetzt, vor wenigen Monaten, wieder sehr schwer, endlich das Gesetz gegen die Homotransphobie zu verabschieden. Und die Linke muss endlich begreifen, dass die diversen Thematiken ineinandergreifen: soziale Ungleichheit, Bürgerrechte, Klima. Zum Beispiel beim Klimawandel sind es doch weltweit die ärmsten Schichten, die den höchsten Preis zahlen, obwohl sie die geringste Verantwortung für den Klimawandel tragen. Man kann über die populistische Rechte sagen, was man will, aber eines hat sie: eine Vision. Hierauf muss die Linke wieder mit einer eigenen Vision antworten, nicht mit Schweigen oder Verzagtheit.

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