: IstdochnurSpaß!
Rebecca Pap ist Newcomerin in der Comedy-Szene und damit eine von verhältnismäßig wenigen Frauen in diesem Bereich. Warum ist das so? Und wie könnte sich das ändern? Ein Besuch an den Orten, an denen Karrieren beginnen
Aus Berlin Leonie Gubela (Text) und Miriam Klingl (Fotos)
Mit Mitte zwanzig ist es ja so: Die Menschen um einen herum fangen an, gute Jobs zu haben. Und guten Sex. „Gute Jobs, das ist cool“, sagt Rebecca Pap. „Aber der gute Sex, der nervt schon krass.“ Denn mit dem guten Sex komme das große Redebedürfnis über diesen guten Sex. Und ungefragte Tipps. „Rebecca, probier’s doch mal mit Edging“, das höre sie in letzter Zeit ständig. „Edging, Edging, Edging. Kennt das jemand?“ Ein verhaltener Klatscher, ein Räuspern. „Da geht’s euch wie mir.“ Lachen. Pap erklärt: Edging, das ist, den Orgasmus, „diesen kleinen Moment des Glücks“, möglichst weit hinauszögern. Im Publikum: Stille. „Ja“, sagt sie. „Genau das war auch meine Reaktion.“ Wieder Lachen, Pap klopft sich das Mikro gegen die Stirn. „Was für ein Scheißkonzept … Ist ja nicht so, als würden wir alle durchs Leben laufen und uns denken: Ah, heute bin ich wieder zu glücklich, lass das mal aufsparen.“ Sie habe ihren Freunden das auch so gefeedbackt, die hätten entgegnet: „Och Rebecca, sei nicht so kritisch, du kennst das doch noch gar nicht.“ Pap schaut verdutzt, hebt die Augenbrauen: „Da wurde ich sauer. Denn ihr müsst euch vorstellen … mein ganzes Leben bis jetzt“ – sie macht eine ausholende Bewegung – „ist ein nicht endender Edging-Prozess.“
Man merkt Rebecca Pap – lange braune Haare, starker Kajal auf den Lidern – nicht an, dass sie diesen Witz schon hunderte Male erzählt hat. Sie hat sich angewöhnt, irgendeiner Person im Publikum so richtig doll in die Augen zu schauen, wenn sie das Gefühl kriegt, in den Autopilot zu verfallen. Verbindung herstellen, auch wenn die Scheinwerfer blenden. In ziemlich kurzer Zeit hat sich die 25-Jährige in der Berliner Stand-up-Szene einen Namen gemacht, tritt fast täglich auf und kann davon leben. „WG-Zimmer-Miete zwar und ich muss keine Familie ernähren, aber ja, es geht“, sagt sie bei einer Zigarette vor der Show.
Dabei hat Pap die meiste Zeit ihres Lebens nicht mal geahnt, dass ihr Humor möglicherweise lukrativ sein könnte, dass sie und ihre Geschichten gar auf die Bühne gehören. Im Gegenteil. Comedy, das war für sie Mario Barth und Chris Tall, irgendwelche aufgedrehten weißen Männer im Fernsehen, die Scheiße labern.
Die deutsche Comedyszene ist sehr viel größer und diverser, als ein gewöhnlicher Freitagabend im linearen TV suggeriert. Natürlich gibt es sie längst, seit Jahren und Jahrzehnten: Künstlerinnen wie Hazel Brugger, Tahnee, Filiz Tasdan, Maren Kroymann oder Carolin Kebekus, die mit ihren Soloprogrammen erfolgreich durchs Land touren und im Fall der Letzteren sogar eine Late-Night-Show haben. Jedoch ist „Die Carolin Kebekus Show“ nur eine von sehr wenigen weiblich gehosteten Shows im deutschen Fernsehen, die nicht schon nach nur wenigen Monaten wieder abgesetzt wurden.
Was die meisten Comedians gemeinsam haben, die irgendwann mal große Säle füllen und/oder im Fernsehen stattfinden: Sie beginnen auf ganz kleinen Bühnen in den Kellern und Hinterräumen verrauchter Bars in Köln, Hamburg oder Berlin. Selbst in Zeiten, in denen man sich online recht schnell eine Präsenz aufbauen kann, ist das noch so. Den Content für ihre Instagram- oder Tiktok-Accounts generieren die meisten aufstrebenden Comedians bei diesen kleinen Auftritten – und hoffen, mit irgendeinem Schnipsel mal viral zu gehen. Die Kellerclubs sind also die Orte, an denen es beginnt. Ob eine Frau, die Comedian werden will, weitermacht, hängt demnach auch damit zusammen, ob sie sich dort wohl fühlt.
Über die Stand-up-Szene der Hauptstadt heißt es, dass sehr viele junge Newcomerinnen – anders als ihre männlichen Kollegen – nach ein paar Monaten wieder hinschmeißen. Warum ist das so? Was hielt Rebecca Pap am Ball? Und was machen die Comedyclubs der Stadt, damit sich was ändert?
Das Bohnengold in Berlin-Kreuzberg, eine knappe Stunde vor Showbeginn. In einem abgetrennten Raum im hinteren Bereich der Kneipe verschieben Rebecca Pap und ihr Kollege Michael Glonti Bierbänke, checken Licht, Ton und die Platzierung des Banners „Checkpoint Comedy“. Jeden Donnerstag können acht Comedians hier in zehnminütigen Slots ihr neues Material testen, der Eintritt ist frei, um Spende wird gebeten. Pap und Glonti moderieren den Abend im Wechsel, mit dem Geld wird allein die Show finanziert. Wer hier auftritt, verdient nichts, hat dafür aber auch keinen Performancedruck. Als Zuschauer:in muss man daher in der Lage sein, Jokes auszuhalten, die sich „auf dem E-Scooter hierhin“ ausgedacht wurden oder „aktuell leider noch ohne Pointe sind“. Das kann sehr unangenehm werden – oder nahezu magisch: dann nämlich, wenn die Person auf der Bühne bemerkt, dass ihre neuen Witze tatsächlich lustig sind.
Paps Handy klingelt, eine Last-Minute-Absage, einmal tief einatmen. „Ooookay“, atmet sie aus und verzieht keine Miene. „Macht nichts, danke fürs Bescheidsagen.“ Für Pap bedeutet das, dass sie heute ein paar Minuten länger spielt, ihr neues Material also mit Altbewährtem auffüllt. Altbewährtes wie den Edging-Joke.
Und um in diesem Bild zu bleiben: Ja, es gab natürlich eine Zeit in Rebecca Paps Leben, in der sie sich fragte, wann es endlich richtig gut wird. Zum Beispiel die acht langen Jahre auf einem katholischen Mädchengymnasium in Limburg an der Lahn, in dem sie als Tochter einer alleinerziehenden, aus dem Iran geflohenen Mutter ziemlich aus dem Raster fällt. Pap ist sehr arm aufgewachsen, anders als das eher elitäre Mädchenschulmilieu. Mit dem dort herrschenden „Fokus auf Weiblichkeit“ fremdelt sie. „Vielleicht habe ich versucht, das mit Extrovertiertheit auszugleichen.“ Sie legt sich mit Lehrer:innen an, wird dafür von ihren Mitschülerinnen respektiert. „Ich war, was das angeht, einfach nicht so unsicher.“ Sie überlegt kurz. „Obwohl unsicher schon, aber eben nicht auf die Art.“
Der Vorteil einer Klasse nur aus Mädchen: Die Position des Klassenclowns ist nicht schon von irgendeinem Kerl besetzt. „Ich hab aber nicht dauernd Jokes gemacht. Eher hab ich sehr trocken Sachen kommentiert, und das war für viele schon Humor“, sagt Pap.
Nach der Schule studiert sie Theaterwissenschaften, geht dann zum Film, macht Produktionsassistenz, Regieassistenz. Der raue Umgang miteinander an den Sets, dieses Gefühl, dass das „Produkt immer über dem Menschen“ steht, findet sie rückblickend „ganz schlimm“. Irgendwann nimmt sie keine neuen Aufträge mehr an.
Vor zwei Jahren besucht Rebecca Pap zusammen mit einer Freundin ein Open Mic. Dass an diesem Abend weder Chris Tall noch Mario Barth auf der Bühne stehen, sondern junge coole Menschen, mit denen man auch privat Zeit verbringen würde, löst was aus in ihr. Und, vielleicht noch wichtiger: dass längst nicht alle gut sind. Das motiviert die beiden Freundinnen, sie schließen eine Wette ab: Selber zehn Minuten Programm schreiben und damit auftreten – wer länger durchhält. Die Freundin lässt es irgendwann bleiben, Pap macht weiter, stellt sich im Regen in die Schlange vor Locations, um noch als Fünfzehnte auf die Bühne zu dürfen.
Sie knüpft Kontakte, spielt 20 Slots im Monat, wird von Comedian Moritz Neumeier in seine RBB-Sendung „falsch, aber anders lustig“ eingeladen und von Felix Lobrecht in die „Comedy Halbzeit“, ein Format auf MagentaTV während der Männerfußball-EM 2024. Sie habe das einfach ernst genommen, die Jokestrukturen und Bühnenpräsenz großer Comedians analysiert, in kürzester Zeit 200 Auftritte absolviert. „Den Hustle sehen die Leute einfach.“ Vor allen Dingen aber habe sie gewusst, wo ihr Platz ist, niemanden unnötig zugelabert, sagt Pap.
Und Glück gehabt: Denn als sie mit Stand-up anfängt, tut sich gerade viel in der Berliner Szene. Bekannte Comedians sind in diesem Sommer nicht auf Tour, sondern testen Ideen in den Kellerclubs der Stadt. Das zieht neues Publikum an und hilft beim Netzwerken. „Die haben mich gesehen, die haben mich gepusht.“
Es hilft, dass sie durch ihre Zeit beim Film weiß, wie man eine Geschichte gut erzählt. Und, dass sie auf der Bühne von Anfang an ziemlich furchtlos wirkt. Denn nichts verbreitet so viel Anspannung im Publikum, wie jemand, dem vorne gerade sichtbar die Nerven flattern. An Stand-up liebt sie, „was mich gerade so bewegt, in einem künstlerischen Kontext ausdrücken zu können“, sagt Pap. „Und gleich gespiegelt zu bekommen, ob es allen anderen genauso geht.“
Im besten Fall steckt dann in kleinen, albernen Beobachtungen mehr über sie selbst und die Menschen im Raum, als man so denkt. „Ich bin ’ne Person, die mag es simpel im Leben“, erzählt sie auf der Bühne. „Ich ess zum Beispiel alles mit dem Löffel … Jetzt wird hier schon wieder gelacht, was soll das, Löffel sind irgendwie so ein Opferbesteck geworden. Ich liebe Löffel, ich find Löffel sind voll geil.“ Lachen. „Ich hasse das, wenn sich Leute einen abwichsen auf Besteckwissen. Wir sind hier in Berlin ja, ihr kennt diese Menschen, die angeben, wie gut sie mit Essstäbchen umgehen können. Die dir gegenübersitzen und so sind, ja wir können uns unterhalten, Rebecca, aber ich kann auch jederzeit ’nen Dumpling …“ – sie beugt sich mit dem Oberkörper ruckartig nach vorne, tut so, als hielte sie dabei sehr affektiert Stäbchen zwischen den Fingern – „… greifen.“ Großes Gelächter. „Ja …“, Pap schaut zufrieden. „Halt die Fresse, denkt man sich.“ Ein paar haben sich immer noch nicht eingekriegt, sie macht weiter: „Vor allem, das sind ja immer so blonde Lisas und Maltes, die so tun, als hätten sie ihre Muttermilch in Peking bekommen, was soll das?“

Vor ihrem Auftritt erzählt Pap, dass ihr schon früh Leute gesagt hätten, dass sie auf der Bühne nicht gekünstelt wirke und nah dran sei an ihrer „eigenen Stimme“. Das ist Comedy-Sprech für Authentizität, Pap sieht das selbst aber nicht unbedingt so. Aktuell versuche sie, ein bisschen mehr ihre soziale Herkunft zu thematisieren, aber das sei auch „irgendwo stressig, weil die Leute das nicht so kennen“, sagt sie. Das Publikum generell sei superakademisch, „da muss man erst mal erklären, wie’s läuft“. Der Dumpling-Joke wirkt, als taste sie sich langsam ran.
Rebecca Pap liebt ihren Alltag, wie er gerade ist: morgens schwimmen und schreiben, abends auftreten. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass ihr Job zu 60 Prozent aus Comedy bestehe und zu 40 Prozent daraus, „alles andere, was so drum herum passiert, auszuhalten“.
Was sie damit meint? Ständig die einzige Frau im Line-up zu sein, zum Beispiel. Das habe gleich mehrere Dinge zur Folge. Damit die schlechte Quote nicht so auffalle, würden Frauen eher in die Mitte des Programms gesetzt, nie an den Anfang oder das Ende. Dabei sind Opening und Closing Spot die wichtigsten, bleiben am ehesten im Gedächtnis haften. Und dann halt der Druck, der sich selbst nach zahllosen Auftritten als einzige Frau nicht abschütteln lässt. Der Druck, jetzt bloß nicht zu verkacken. „Wenn ein Typ ’nen schlechten Auftritt hat, dann kommt danach noch ein Typ und noch einer und noch einer.“ Am Ende war’s dann der eine, in dem roten Pullover, der nicht besonders gut war. „Wenn die Frau keinen guten Auftritt hatte, dann war die Frau nicht witzig.“ Die Frau. Alle Frauen.
Dazu kommt, dass Studien zeigen: Humor wird als Charaktereigenschaft bei Männern und Frauen immer noch unterschiedlich wertgeschätzt. Lustige Männer gelten als besonders attraktiv, guter Humor beim potenziellen Partner spielt für heterosexuelle Frauen beim Dating eine zentrale Rolle. Andersrum weniger. Im Berufsleben werden lustige Männer als besonders kompetent eingeschätzt, Frauen, die auch mal einen Witz reißen, eher als unprofessionell. Es gibt Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass Männer besser darin sind, Humor zu produzieren, Frauen hingegen eher in der Lage, Humor zu verstehen und darauf zu reagieren.
Was natürlich in erster Linie mit verinnerlichten Rollenbildern und erlerntem Verhalten zu tun hat, aber trotzdem erklären könnte, warum bei Open Mics mehrheitlich Frauen im Publikum sitzen. Aber sind die gekommen, um über Jokes von Männern zu lachen? Paps Erfahrung als Host einer Comedyshow ist, dass Frauen ihre Sicht auf die Dinge auf der Bühne gespiegelt bekommen wollen: „Stand-up hat superviel mit Repräsentation zu tun“, sagt sie. „Und Geschlecht ist einfach eine krasse Komponente an Erfahrungswerten.“ So bekommen die zuschauenden Männer bei einem klassischen Open Mic viele verschiedene Versionen der Männlichkeit präsentiert, den Kiffer, den Nerd, den Pumper, den jungen Vater, den verzweifelten Single. „Und ich bin dann halt der eine Typ Frau, mit dem die Frauen relaten müssen.“
Die einzige Frau auf der Bühne zu sein, bedeutet gleichzeitig, die einzige Frau hinter der Bühne zu sein. „Wenn da nur Typen sind, dann ist da einfach eine bestimmte Energie, mit der man klarkommen muss“, sagt Pap. Vor allem, wenn man bedenkt, dass diese Typen auch noch Comedians sind, Witze reißen, sich gegenseitig aufpeitschen. „Da wird man dann auch schon mal von der Seite angeguckt, nach dem Motto ‚Öööööh, war das jetzt wieder nicht okay, Rebecca?‘“
Sie selbst habe mit den meisten dort keine Vorgeschichte, kennt aber Kolleginnen, die in den Raum reinkommen und denken: „Ah krass, die Hälfte von denen will oder wollte mit mir schlafen und hat mir das auch schon so gesagt.“ Pap zieht an ihrer Zigarette. „Solche Sachen halt.“
Rebecca Pap
Es gebe Männer im Backstage, die demonstrativ rauchen gehen, wenn die Frau an der Reihe ist. Männer, die nicht Hallo sagen, weil sie glauben, die Frau ist nur Begleitung von irgendwem. Egal, wie informell sich ein Comedyclub auch anfühle, Rebecca Pap ist wichtig, dass es sich dabei um einen Arbeitsplatz handelt, wo es professionell zugehen sollte. „Und es gibt da einfach ein paar spezielle Herren, die sich danebenbenehmen, wo man als Szene eigentlich mal sagen könnte: Wir kicken die raus.“
In der Vergangenheit habe das auch schon funktioniert, bei Leuten, die sich „rechts verhalten“ hätten. Aber bei denen, die Frauen gegenüber Grenzen überschritten, griffen oft die schützenden Strukturen: „Die sind dann vielleicht gut befreundet mit jemandem, der Einfluss hat, oder sind halt super lustig und beliebt, kann ja auch sein.“
Pap spricht darüber mit einer Abgeklärtheit, als sei sie selbst schon seit Jahrzehnten dabei. Wer jeden Abend auf der Bühne steht, hat schnell viel gesehen und gehört. Ihrer Meinung nach sei es der falsche Ansatz, zu warten, bis was richtig Schlimmes passiert. Wie oft höre sie Sätze wie „Ist doch einfach nur ein Spruch“ oder „So sind halt Typen“, aber: „Ich hab ja dann die Person am Telefon, die die ganze Nacht weint. Die eigentlich nur Kunst machen will und verschreckt ist von allem anderen.“ Diese Zusatzbelastung sei heftig. Man brauche als Frau ein sehr dickes Fell. „Und das ist ja auch auf künstlerischer Ebene unglaublich schade, weil das einfach bedeutet, dass so viele Frauen, die vielleicht zu schüchtern sind, nicht so ellenbogenmäßig oder männlich in ihrer Präsenz, gar nicht erst auf die Bühne kommen und repräsentiert werden“.
Generell sei Paps Eindruck, dass die Frauen in der Szene versuchten, lieb miteinander umzugehen. Aber unter erschwerten Bedingungen: „Wir konkurrieren leider selten mit den Männern. Dafür musst du sehr viel geleistet, ein sehr großes Standing haben.“ Konkurriert werde mit den anderen Frauen, um den einen Frauen-Spot in der Show und insgesamt um die Position dieser einen Frau, die gerade angesagt ist. „Als ich angefangen habe, kamen viele zu mir und meinten: ‚Ah du bist jetzt also die Frau von dem und dem, ich war das auch vor ’nem Jahr.‘“ Zu beobachten, wie die eine vorankommt und die andere nicht, obwohl doch eigentlich Platz genug wäre: „Das kann schon was machen mit deinem Kopf.“
Es sind Erfahrungen, wie sie viele Frauen in ihrem professionellen Leben machen. Nur dass die Berliner Comedyszene keine Kreissparkasse oder DAX-Chefetage ist, sondern ein junges, größtenteils linksgrünes Hauptstadtmilieu, das Humor für seinesgleichen macht. Wo zumindest nach außen hin ein großes Problembewusstsein herrscht, innen aber offenbar in alte Muster verfallen wird.
Doch es sei ja nicht so, sagt Pap, als würden diese alten Muster einfach hingenommen: „Ich habe wirklich tolle Kolleginnen und Freundinnen hier gefunden und wir versuchen, diesem Teufelskreis zu entkommen.“
Jana Jansen
Eine dieser Frauen ist Jana Jansen. Jeden Dienstag organisiert und moderiert die 28-Jährige im Friedrichshainer Club „Süß war gestern“ eine Show namens „Wertstoff Comedy“. Bevor sie dieses Open Mic vor zweieinhalb Jahren von ihren männlichen Vorgängern übernahm, hieß es noch „Süßstoff“, alles war in Pink. „Das bin nicht ich“, dachte sich Jansen, die damals die erste Frau in Berlin ist, die „alleine eine Bühne macht“. Weil sie früher mal irgendwas mit Umwelt studiert und ihre Bachelorarbeit über die Müllabfuhr geschrieben hat, entscheidet sie sich für „Wertstoff“. Das Design ist jetzt orange. „Das passt besser und fühlt sich an wie ein neutralerer Ort.“
Dabei geht es an diesem Ort gar nicht mal so neutral zu: „Wertstoff“ ist wohl einer der feministischsten unter den Open Mics – wenn man Parität auf der Bühne und den Versuch, ein angenehmer Raum für junge Künstlerinnen zu sein, schon feministisch nennen kann. Mindestens drei der sieben Leute, die bei Jansen jede Woche auf der Bühne stehen, sind Frauen. Zusätzlich versucht sie, in jeder Wertstoff-Show eine Künstlerin dabeizuhaben, die einen ihrer allerersten Auftritte hat.
Wenn Jansen die zu sich nach oben holt, klingt das zum Beispiel so: „Bei wirklich frischen Newcomern, da gibt’s ’ne Regel: Schenkt ihnen ganz viel Liebe! Wie klingt das, in Applaus gemessen?“ Oder so: „Hier kommt eine Person für euch, die noch nicht so viele Spots hatte. Also rastet aus, habt Respekt!“ Als Publikum macht man, was Jana Jansen sagt, denn sie ist der Fixpunkt des Abends. Sie hat die Regeln erklärt: „Comedy ist ein Energiespiel. Je mehr Energie ihr habt, desto mehr kommt zurück.“ Sie hat das Publikum geroastet: „Sind Fußballfans heute Abend hier? Macht mal Hu! Hu! Hu!“ „Du bist Abteilungsleiter aus Oldenburg? Ah okay, sorry, das macht bei mir leider überhaupt nichts auf.“ Und sich selbst: „In meiner Familie heiß ich auch Golden Retriever, habe lange gebraucht, um zu checken, dass es nicht wegen meiner Haare ist, sondern weil ich dumm bin. Oder, hä, wissen meine Eltern, dass ich gerne Eier lecke?“
Während Jana Jansen spricht, läuft sie von links nach rechts oder beugt sich mit dem Mikrofonständer weit nach vorne, schirmt die Augen ab, um die Leute im Dunkeln sehen und ansprechen zu können. „Du, dahinten mit dem Oberlippenbart? Ihr müsst wissen, Männer ohne Bart sind für mich normale Männer. Mit Oberlippenbart sind sie … Feuerwehrmänner, rrawwrr.“
Diese Körperlichkeit hat sich Jansen auch bei Iliza Shlesinger abgeschaut. Die 42-Jährige aus den USA macht sehr expressive Comedy, ist auf der Bühne ununterbrochen in Bewegung, schneidet Fratzen, schreit rum. „Act-outs“ nennt sich das – komplett aus sich rauskommen. Shlesinger ist, was lauten Frauen immer gerne vorgeworfen wird: too much. Und wird dafür von vielen verehrt.
Vor ein paar Jahren sah Jansen eher zufällig auf Youtube einen Mitschnitt, in dem Shlesinger über Dating spricht. „Wenn wir alle Tiere wären, Männer Löwen und Frauen Gazellen und der Löwe wäre hungrig, wen würde er wohl am ehesten verfolgen?“, fragt Shlesinger. „Die Gazelle, die 90 Meilen die Stunde sprintet“ – Shlesinger macht schnelle ausholende Bewegungen mit den Armen, als wäre sie diese sprintende Gazelle – „eine Gazelle ohne Selbstwertprobleme, der ihr eigenes Haus gehört und ein Doktortitel, die gerade eine Anzahlung für ihr erstes Boot geleistet und ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater hat?“ Während sie mit dem rechten Arm weiter wild rudert, hebt sie langsam den linken Mittelfinger in Richtung Löwe. „Oder würde der Löwe – und vergesst nicht, er ist hungrig – sich für die Gazelle mit dem gebrochenen Huf entscheiden, die ihn fragt, wie genau noch mal Basketball funktioniert?“

Für Jansen ist dieser Clip ein Aha-Erlebnis: „Shlesingers Tempo und die Art, wie sie Bilder malt: das fand ich ganz klasse.“ Jansen versteht, dass Geschlechterstereotyp-Witze auch gut gemacht sein können, dass die Energie auf der Bühne richtig sprudeln und man als Frau dabei umwerfend aussehen darf.
Im „Süß war gestern“ hält Jana Jansen zwischen den einzelnen Auftritten der sieben Comedians die Stimmung oben, kreiert Insider-Jokes mit dem Publikum, auf die sie sich immer wieder beruft, ermahnt Leute, die ungefragt reinrufen, testet neues Material und feuert jede einzelne Person an, bevor sie auf die Bühne hochkommt.
Heute sind das zum Beispiel Philipp, der von seiner Vorhautverengung erzählt, die er sich als Kind auf ärztlichen Rat hin „wegtrainieren“ sollte, Nora, die für Ozempic gerade auf Diabetes Typ II hinarbeitet, die nicht-binäre Person Marie, die von ihrer Oma nach dem Coming-out hilflos 10 Euro in die Hand gedrückt bekam. Und Igor, der als „Hybrid-Kanake“ in der Schule schon „Brücke zwischen den Kulturen war“, denn „links von mir saßen Burat, Aschraf und Serat und rechts von mir Jan Patrick Stefan“ – bei dem es sich wohlgemerkt „um einen einzigen Alman“ handelte.
Gerade den Neuen, Aufgeregten rede Jansen vorher gut zu, sagt sie. Für „das Ökosystem der Szene“ sei es essenziell, dass immer neue Leute dazukämen, Leute, die besser seien als der Standard, ein originelles Thema oder eine besondere Geschwindigkeit hätten und alle anderen herausforderten.
Auf die sieben Plätze, die Jana Jansen jede Woche zu vergeben hat, meldeten sich ungefähr 20 Leute, ein Viertel davon Frauen. Wer als Frau anfragt, hat also sehr gute Chancen, auf die Bühne zu dürfen. „Ich würde nicht sagen, dass Wertstoff ein Safe Space ist oder so was, ich spreche zum Beispiel keine Triggerwarnungen aus vor Auftritten“, sagt Jansen. „Aber allen, denen ich Slots gebe, muss klar sein, dass ich ein Auge darauf habe, wenn irgendjemand auf oder hinter der Bühne Bullshit erzählt. Die Person wäre das letzte Mal da.“
Natürlich lässt sie Frauen die Show eröffnen und „closen“, aber generell entscheide sie nach Qualität. Und wenn Männer an dem Abend besser seien, „dann ist das eben so. Bei mir gilt: Comedy first.“ An diesem Abend stehen ausnahmsweise neun Leute auf Jansens Bühne, drei davon Frauen, eine nicht-binäre Person. Anfang und Schluss macht jeweils ein Mann.
Was auffällt, wenn man sich häufiger bei Berliner Open Mics rumtreibt: Sehr viele Männer auf der Bühne sprechen darüber, dass sie gerade Vater geworden sind. Die Witze liegen nur so auf der Straße, das Publikum ist gleich schockverliebt. Schwangere Frauen oder Frauen, die über ihre Kindergartenkinder sprechen, gibt es hingegen selten bis gar nicht. Dabei ist Mutterschaft an sich ja ein unendlicher Quell für Jokes. Und beliebt: Zu den erfolgreichsten Stand-up-Specials in der Netflix-Mediathek gehören „Growing“ von Amy Schumer oder „Baby Cobra“ von Ali Wong. Doch insbesondere, wenn man gerade erst anfange, Comedy also noch „im Hobbybereich“ mache, „da hämmert das für junge Mütter mega rein und die Uhrzeiten sind natürlich null familienfreundlich“, sagt Jana Jansen.
Daran wird sich wohl nichts ändern, denn Open Mics leben von einem Publikum, das Feierabend und leicht einen sitzen hat. Trotzdem raten Jansen und Rebecca Pap Frauen, die mit Comedy anfangen wollen: Erst mal durchhalten! „Und wenn es sich gerade noch nicht richtig anfühlt, dann guck in fünf Jahren wieder“, sagt Jansen. Sie selbst feiere Stand-up von Frauen, die schon ein bisschen älter sind. An diesem Abend bei Wertstoff Comedy ist es zum Beispiel Michaela aus Bonn, Mitte 50, („Ich bin letzte Woche Oma geworden.“ Alle so: „Aww!“ „Ja genau. Oma gegen rechts!“), die vom Publikum mit Liebe überschüttet wird.
„Es gibt keine Kunstform, wo du genauso viel, wie du reinsteckst, auch wieder zurückbekommst“, sagt Pap. All das Auftreten sei wie Hanteltraining; je häufiger man rausgehe und es ausprobiere, desto mehr Muskeln baue man auf, das passiere ganz automatisch. Die Muckibude – noch so ein männlicher Raum, dem nicht schaden würde, wenn dort mehr Frauen breitbeinig vor dem Spiegel stünden und ihren eigenen Bizeps bewunderten.
Leonie Gubela, 32, ist Redakteurin der wochentaz. Bei ihrer Recherche für diesen Text war sie bei einigen Open Mics in Berlin. Vor jeder Person, die dort zum allerersten Mal auftrat, hatte sie großen Respekt.
Quelle: Netflix Deutschland, Mai 2025
Quelle: Malisa Stiftung
Quelle: Splendid Research, 2018
Quelle: Wikipedia/Deutscher Comedypreis
Quelle: Sisters of Comedy
Quelle: Parship
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