Israels neue Regierung: Dies ist kein Nullpunkt
Probleme gab es schon vor dieser neuen, sehr rechten Regierung. Es gilt jetzt zu überlegen, was für Israels Demokratie getan werden kann.
E gal, was man zuvor von Yair Lapid gehalten haben mag, seit der Vereidigung der neuen Regierung ist es eine Wohltat, Israels Ex-Ministerpräsidenten, nunmehr Oppositionsführer, sprechen zu hören. Man möchte ihn weiter hören – und nicht diesen alptraumartigen Mix aus gewalttätigen Siedlern, radikalen Ultraorthodoxen und Homophoben, die nun, nach der Vereidigung der neuen Regierung am Donnerstag, tatsächlich die Geschicke des Landes lenken werden.
Ganz zu schweigen von Netanjahu, der bei seiner Antrittsrede grinsend auf und ab wippte. Es scheint, als habe er allen eins ausgewischt. Der Gerichtsprozess gegen ihn in Sachen Korruption? Egal, er hat jetzt eine Regierung, die ihm Immunität verschaffen kann. Eine Spur von Scham dafür, dass er zu diesem Zweck das Land verkauft hat, an eine Horde illiberaler Rassisten? Fehlanzeige.
Auch abgesehen vom geplanten Umbau in einen autoritären Staat, der Stärkung theokratischer Züge auf Kosten des säkularen Lebens, gibt es keinen Zweifel daran: Die neue Regierung wird eine ganz neue Stufe von Diskriminierung einleiten. In einem Land mit einem offenen Konflikt kann das schnell Eskalation bedeuten.
Anzeichen dafür gibt es: Immunität soll es für Soldat*innen und Polizist*innen geben – das kann schnell zu einem Freifahrtschein zum Schießen werden. Im zum Explodieren angespannten Westjordanland ist das fatal. Itamar Ben Gvir, der neue Minister für Nationale Sicherheit, selbst radikaler Siedler, hat nun eine Quasi-Privatarmee, die Grenzpolizei, und kündigte an, „natürlich“ auch als Minister weiterhin den umkämpften Tempelberg zu besuchen, der nicht nur einmal der Ort war, an dem ein Krieg losgetreten wurde. Man möchte sich vergraben. Das Land verlassen.
Allerdings macht man es sich zu leicht, wenn man mit der neuen Regierung eine klare Trennung in ein Vorher und Nachher aufmacht. Es wäre falsch, zu glauben, dass mit dieser zweifellos erdrutschartigen Entwicklung alles, was vorher war, eben auch dies war: Nicht so schlimm.
Auch unter den vorherigen Regierungen gab es massive Menschenrechtsverstöße in den besetzten Gebieten, wurde der Siedlungsbau vorangetrieben, wurden Häuser von Palästinenser*innen zerstört. Fiel beinahe der Sarg der getöteten, palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh zu Boden, weil israelische Sicherheitskräfte gegen die palästinensischen Fahnen auf der Beerdigung angingen, drohten Minister der Lapid-Regierung dem arabisch-hebräischen Theater in Jaffa mit dem Stopp von Geldern.
Diese Regierung ist nicht der Nullpunkt. Es gab Entwicklungen dahin. Das muss man aushalten, analysieren – und gegen diese Entwicklungen angehen.
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