piwik no script img

Israels Verbot von UNRWAIn Wagenburgstimmung

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Israel verbietet das UN-Hilfswerk UNRWA. Das wird das immense Leid der palästinensischen Bevölkerung noch weiter vergrößern.

Das Palästina-Hilfswerk war der israelischen Rechten schon immer ein Dorn im Auge Foto: Mahmoud Illean/ap/dpa

S elbst Israels engste Verbündete haben eindringlich davor gewarnt. Doch Netanjahus in Teilen rechtsextreme Regierung blieb stur. Am Montag peitschte sie im Parlament einen Gesetzentwurf durch, mit dem das Palästina-Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) verboten wird. Dass auch große Teile der Opposition dafür stimmten, zeigt, wie verbreitet die Wagenburgstimmung im Land ist. Damit wird das immense Leid der Palästinenser, insbesondere im Gazastreifen, weiter vergrößert. UNRWA-Chef Philippe Lazzarini spricht zu Recht von einer „kollektiven Bestrafung“.

Das Palästina-Hilfswerk war der israelischen Rechten schon immer ein Dorn im Auge. Schon früher ließ sie wenig unversucht, um das UNRWA in Misskredit zu bringen. Seit dem 7. Oktober kamen Terrorvorwürfe dazu. Nun dienen diese fadenscheinigen Vorwürfe als Vorwand, die ungeliebte Organisation ganz zu verbieten.

Eigentlich wäre es die Aufgabe einer Besatzungsmacht, für die Menschen zu sorgen, die auf dem von ihr besetzten Gebiet leben. In Gaza, dem Westjordanland und Ostjerusalem übernimmt das UNRWA seit 1967 diese Aufgabe. Ursprünglich sollte es die Flüchtlinge dort versorgen, bis eine dauerhafte Lösung für sie gefunden wäre. Nun will Israels Regierung das Problem auf ihre Weise lösen. Sie hofft, dadurch den Menschen ihren Status als Flüchtlinge entziehen zu können. Zu diesem Status gehört das Recht auf Rückkehr in die Gebiete, aus denen sie vertrieben wurden. Statt diese Frage über Verhandlungen für eine Zweistaatenlösung zu klären, will sie nun Fakten schaffen. Doch das Völkerrecht lässt sich nicht einseitig annullieren.

In drei Monaten soll das Gesetz in Kraft treten. Bis dahin will Israel eine Alternative zum UNRWA schaffen. Das ist illusorisch. Stattdessen drohen vor allem die Menschen in Gaza sich selbst überlassen zu bleiben: schutzlos den Bomben ausgeliefert, ohne Nahrung und Zelte, Gesundheitsdienste und Bildungsangebote. Dafür sorgte bisher noch das UNRWA. Israels Verbündete müssen alles tun, um zu verhindern, dass es so weit kommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es ist ein Drama und zeigt mehr als deutlich, wie gering das Vertrauen der israelischen Bevölkerung in die Neutralität der UNO und ihrer Organisationen noch ist. Rein praktisch betrachtet, wird es ohne den Einsatz des Hilfswerks nicht gehen, aber ohne eine echte vertrauensbildende Veränderung in den Strukturen auch nicht. Sonst unterstützt die UNO de facto nur die Kräfte auf beiden Seiten, die gar keinen Erfolg der Mission wünschen.

  • Haaretz titelt in einem editorial: "If It Looks Like Ethnic Cleansing, It Probably Is". Oct 29, 2024 11:33 pm IST. Es ist beschämend, dass die EU den warmen, rituellen Worten der „Besorgnis“ keine Taten folgen lässt: Aussetzung des Assoziierungsabkommens, Beendigung der Waffenlieferungen, bis dieses Regime die Regeln des Völkerrechts, die order des ICJ, die jüngste Resolution der UNO im Anschluss an das „Gutachten des ICJ zu den illegalen israelischen Aktionen im besetzten Ost-Jerusalem und dem Rest des besetzten palästinensischen Gebietes“ (UNO, GeneralversammlungA/ES-10/L.31/Rev. sept. 13, 2024) umsetzt. Offensichtlich ist die derzeitige Regierung nicht gewillt, das Völkerrecht und seine Institutionen zu respektieren, die unsere Väter nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit großem Aufwand und Optimismus aufgebaut haben.

  • "Eigentlich wäre es die Aufgabe einer Besatzungsmacht, für die Menschen zu sorgen, die auf dem von ihr besetzten Gebiet leben."

    Nicht nur Aufgabe, es ist Verpflichtung nach Völkerrecht.



    GA = Genfer Abkommen

    "Bleibt die Zivilbevölkerung im besetzten Gebiet, so ist sie auch weiterhin so geschützt, wie dies auf den vorhergehenden Seiten dargestellt wurde (Art. 47 GA IV). Die feindliche Macht ist dazu verpflichtet, die Bevölkerung mit Lebens- und Arzneimitteln zu versorgen (Art. 55 I GA IV) und das Gesundheitswesen in diesem Gebiet aufrechtzuerhalten (Art. 56 I GA IV; 14 ZP I)."



    Quelle



    www.drk.de/das-drk...h-einer-besetzung/

  • In Kriegszeiten verständlich, sich einer Vorfeldorganisation der Terroristen zu entledigen. Die UNRWA wird später natürlich gebraucht.

  • Israel verfolgt eine Strategie, die sich auf zerstören und töten reduzieren lässt, mit dem Verbot der UNRWA geht sie jetzt endgültig über die Grenzen, die ein demokratischer Rechtsstaat haben sollte.



    Das Ende dieser Aktion wird fatal werden. Die nachhaltige Schwächung der Palästinenser macht die umso anfälliger für Radikalisierung, dazu kommt noch der weltweite Makel, den Israel sich gerade anhaftet. Die Medien der islamischen Staaten und vielfach in Afrika sehen in Israel einfach eine Art europäischen Imperialistenstaat, der ein eingeborenes Volk in seiner Heimat erledigen will.



    Die UNRWA wäre eigentlich jetzt deutlich zu fördern, weil sie eine Leistung erbringt, die dort dringend benötigt wird. Wenn man irgendwie mal wieder zu friedlichen Zeiten zurückkehren will. Aber das ist wohl gar nicht erwünscht.

  • "Zu den Pflichten der Besatzungsmacht gehören unter anderem eine humane Behandlung der örtlichen Bevölkerung und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse, die Wahrung des Privatbesitzes, die Verwaltung öffentlicher Besitztümer, der Betrieb von Bildungseinrichtungen, die Sicherstellung des Bestehens und Betriebs medizinischer Dienste sowie das Ermöglichen von Hilfsaktionen und die Nichtbehinderung der Arbeit unparteiischer humanitärer Organisationen wie des IKRK." www.icrc.org/de/re...-politik/besetzung



    Welche dieser Pflichten erfüllt Israel überhaupt? Scheint mir so als wenn andere Staaten seit Jahrzehnten für etwas bezahlen (Schulen, med. Versorgung), was eigentlich Israels Pflicht wäre. Mal abgesehen davon das man nicht gerade von einer humanen Behandlung der Bevölkerung oder dem Schutz von Privateigentum sprechen kann. Die Zerstörungswut im Westjordanland durch die Armee in den letzten Wochen oder durch Siedler bezeugen das Gegenteil. Genauso wie Enteignungen und Vertreibungen. Nicht mal Oliven können Palästinenser in Frieden ernten: www.theguardian.co...i-violence-says-un

  • "Bis dahin will Israel eine Alternative zum UNRWA schaffen. "

    Die Mitarbeiterlisten der UNRWA waren Israel auch schon vor dem Hamas-Attentat bekannt. Sie wurden regelmäßig von der UNRWA geliefert um nd Israel hat diese für gut befunden. Was soll sich da ändern wenn Israel die Listen nun selber erstellt?

  • Im Grunde hat sich Israel damit einen Bärendienst erwiesen. Aus eigener Kraft dürfte eine adäquate Versorgung nicht im Ansatz gewährleistet sein.

    Vermutlich ist das auch gar nicht das Ziel. Parallelen zum politischen Handeln in Deutschland hinsichtlich der Flüchtlingsfrage drängen sich auf. Anstatt die Ursachen anzugehen, reiht sich eine Repressalie an die nächste, um die Betroffenen zum gehen zu bewegen.

    Israel wird seinen Verpflichtungen, die sich aus dem Völkerrecht ergeben, insofern nachkommen, dass es die Palästinenser mit einem minimum an Nahrungsmitteln und notdürftiger Gesundheitsversorgung ausstattet, in der Hoffnung das die Bevölkerung resigniert und Wege findet das Land zu verlassen.

    Das in absehbarer Zeit auch andere Hilfsorganisationen nicht in der Lage sein werden das UN Hilfswerk zu ersetzen, dürfte in Netanjahus Strategie vom "Exit" miteinkalkuliert sein.

    Netanjahu kommt damit seinem politischen Lebensziel, einen palästinensischen Staat zu verhindern, immer näher und trägt u.U. noch dazu bei, den Traum seiner Koalitionspartner von einem jüdischen Staat im besten Wortsinne zu verwirklichen.

  • Was soll das Titelbild? Was haben ultra-oethodoxe Juden (Haridim) mit dem Thema zu tun? Und was mit der Bildunterschrift?

  • Hamas wie auch Hisbollah können doch statt Geld mit Raketen zu verpulvern, die palästinensische Bevölkerung unterstützen, ach ich vergaß, Terroristen haben nichts für die gemeine Bevölkerung übrig,



    ob die internationalen Hilfsgelder für UNRWA auf verschiedenen Wegen zu den Terroristen gelangen erscheint mir leider logisch.

  • "In drei Monaten soll das Gesetz in Kraft treten. Bis dahin will Israel eine Alternative zum UNRWA schaffen."

    "schutzlos den Bomben ausgeliefert"



    UNRWA schützt niemanden vor Bomben.

    "ohne Nahrung und Zelte, Gesundheitsdienste und Bildungsangebote. Dafür sorgte bisher noch das UNRWA."

    Sowohl Nahrung, Zelte, Gesundheitsdienstleistungen werden auch von anderen u.a. Privaten (5/8 der Lieferungen im September) geleistet. Aber nicht nur diese, auch: gaza-aid-data.gov..../medical-response/

    Quelle: gaza-aid-data.gov.il/main/

    Das WFP ist eine UN Organisation die sich auch um Nahrungsversorgung kümmert.

    Das UNHCR bietet auch nur limitiert Bildungsangebote an, es gibt also Beispiele, dass andere Einrichtungen diese Angebote leisten.

    Ich glaube durchaus, dass Alternativen zum UNHCR die Versorgung sicherstellen können. Sowohl in Gaza, als auch im Westjordanland.

    Ob es illusorisch ist, sollte gar nicht der Punkt sein um den sich die Debatte dreht.