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Israelischer Autor Aharon AppelfeldErwin war ein schöner Name

Aharon Appelfeld ist einer der bedeutendsten Autoren Israels. Ein Besuch in Jerusalem und ein Gespräch über Literatur und die Shoah.

Der deutschen Sprache noch immer verbunden: Aharon Appelfeld. Foto: Effigie/Leemage

Ein ruhiges, grünes Wohnviertel im zentralen Jerusalem. Niedrige, gepflegte Häuser mit je mehreren Wohnungen werden gesäumt von üppig verwilderten Vorgärten. „Appelfeld“ steht in lateinischen Buchstaben auf einem handgeschriebenen Schild an der Wohnungstür im Erdgeschoss eines Hauses.

Auf mein Klingeln öffnet er selbst: Aharon Appelfeld, 83 Jahre alt, Autor von etwa vierzig Romanen, von denen zwölf ins Deutsche übersetzt wurden. Er gilt als einer der wichtigsten, zudem als einer der allerersten Vertreter der Holocaustliteratur, wurde aber in Deutschland erst spät rezipiert.

Dabei ist Deutsch seine Muttersprache. Er verlor sie noch als Kind. In Israel wurde aus Erwin Appelfeld Aharon Appelfeld und nach und nach ein Schriftsteller hebräischer Sprache. Auch sein Englisch ist hervorragend, wie ich zuvor beim Telefonat feststellen konnte. Appelfeld war Professor für Literatur und pflegt enge Kontakte zur US-amerikanischen Literaturszene.

Seine Verbindung zur deutschen Sprache ist immer noch tief und innig. Er nutzt jede Gelegenheit, sie zu pflegen. Das letzte Mal sei Jahre her, sagt er, als er mich ins Wohnzimmer führt. Wir sprechen also Deutsch. Seines klingt weich, schön, ein wenig wie aus einer anderen Zeit. Es stammt aus der Bukowina, aus der einst multikulturellen Stadt Czernowitz, die heute in der Westukraine liegt, doch damals überwiegend deutsch- und jiddischsprachig war.

Eine andere Stadt

Ja, er sei noch einmal hingefahren, erzählt er. Aber es sei ja nun eine völlig andere, eine rein ukrainische Stadt. „Es gibt dort keine Juden mehr.“ An der Universität habe man nicht einmal eine jiddische Abteilung. Früher sei das Jiddische eine hochkultivierte Sprache gewesen. Bei Appelfelds zu Hause sprach man allerdings Deutsch. Jiddisch war die Alltagssprache der Großeltern. „Meine Eltern sahen sich als Europäer, nicht als Juden. Die Bibliothek zu Hause war in Deutsch und Französisch.“

Erwin Appelfeld war sieben, als der Krieg begann, und acht Jahre alt, als sein behütetes Leben als Einzelkind eines wohlhabenden bürgerlichen Paares endete. Deutsche und rumänische Soldaten drangen in das elterliche Anwesen ein und ermordeten seine Mutter und die Großmutter. Der Junge hörte es von nebenan. Er musste mit seinem Vater ins Ghetto von Czernowitz, später kamen sie in ein Lager. Viele Menschen überlebten schon den Marsch dorthin nicht. Aus dem KZ gelang dem etwa zehnjährigen Erwin die Flucht. Allein, seinen Vater fand er erst Jahrzehnte später in Israel wieder. Erwin versteckte sich im Wald, schlug sich durch, kam irgendwann als Küchenjunge bei der Roten Armee unter und war noch keine vierzehn, als er nach Palästina gelangte.

Es war eine Not zu schreiben. Ich musste das

Das Trauma der Verfolgung und das Drama des Überlebens bilden die Konstante von Aharon Appelfelds literarischem Schaffen. Ein starkes autobiografisches Moment ist in viele seiner Romane eingeflossen, doch transzendiert er in seinem Schreiben auf eigenartig luzide, fast visionäre Weise die Wirklichkeit. Auch sein neuester Roman „Ein Mädchen nicht von dieser Welt“ (aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler, Rowohlt Berlin, 128 Seiten, 18 Euro) kommt seiner persönlichen Geschichte sehr nahe.

Visionen von den verlorenen Nächsten

Der schmale Band handelt von zwei jüdischen Jungen, die sich im Wald vor der Verfolgung verstecken. Es ist, obwohl immer wieder die Realität Gewalt und Tod einbrechen, in mancher Hinsicht eine Art Märchen. Ihre Gemeinsamkeit tröstet die Jungen. Immer wieder finden sie unvermutet Nahrung und sogar, als es allmählich kalt wird, einen alten Mantel, um sich zuzudecken. Ein Mädchen, auf das sie treffen, rettet sie mit regelmäßigen Essensgaben über den Winter, ein kleiner Hund leistet ihnen Gesellschaft, und im Frühling kommen ihre Mütter und holen sie ab.

Es ist dies natürlich eine nichtrealistische Geschichte, doch gerade das beinahe Fantastische, das Magische an ihr macht, dass einem beim Lesen schier der Atem stockt. Denn der Kontrast zur historischen Wirklichkeit, derer man sich bewusst bleibt, ist schwer auszuhalten. Die Sehnsüchte des einsam und gefährdet im Wald lebenden Kindes, das der Autor vor mehr als siebzig Jahren selbst gewesen ist, dessen lebendige Visionen von den verlorenen Nächsten finden in diesem Buch einen intensiven Ausdruck.

Natürlich hat dieser kleine Roman als fiktionaler Text seine ganz eigene, universale Bedeutung. Dass eine persönliche Geschichte dahinter steht, macht es aber nicht leicht, darüber zu sprechen. Obwohl es einerseits traurig sei, sage ich zögernd und schäme mich schon vorab für die banal klingende Frage, sei es doch auch ein tröstliches Buch, weil es diese märchenhaften Elemente enthalte.

Schule der Diebe

Er sagt schlicht: „Als Kind habe ich diese Zeit gelebt wie im Märchen, ein bisschen. Es war die Realität, selbstverständlich, aber ...“ Nein, in Wirklichkeit habe er keinen Freund im Wald gehabt, er sei ganz allein gewesen. Zu zweit wäre es noch gefährlicher gewesen, als es ohnehin war. „Die Unterwelt hat mich ...“ sagt er, da fehlt ihm ein Wort, und ich frage „.. verschluckt sozusagen?“ Da seien zwei Brüder gewesen, erklärt er, für die er Sachen machen musste. „Sie waren meine Lehrer. Es waren Diebe.“ Das sei auch eine Schule gewesen, meint er, lacht ein wenig vor sich hin. „Ich habe viele Schulen besucht.“

In seinem nichtfiktionalen autobiografischen Buch „Geschichte eines Lebens“ erzählt Aharon Appelfeld auch Episoden aus der Zeit seines Überlebens. Ein bisschen über den Wald, ausführlicher über die Zeit, als er in der Kate einer Prostituierten wohnte, für die er den Haushalt machte; einiges über das Lager in Italien, in dem er nach dem Krieg darauf wartete, nach Palästina reisen zu können. Und über Schwierigkeiten, die das Leben in Israel mit sich brachte. Schwierigkeiten, die hebräische Sprache zu erlernen, und die anfänglich mangelnde Anerkennung als Autor. Jahre hat es gedauert, bis er auf Hebräisch schreiben konnte, sagt Aharon Appelfeld.

Mit dem Schreiben angefangen allerdings habe er schon vorher. „Es war eine Not zu schreiben. Ich musste das.“ Und er spricht von jener ersten Zeit, als er mit anderen elternlosen Jugendlichen, die in Europa der Ermordung entgangen waren, im Kibbuz arbeitete. „Wir sollten Bauern sein, mit der Erde zu tun haben. Das war auch eine Ideologie, die Arbeit mit der Erde.“ Abends lernten sie Hebräisch. Und sobald Aharon, der nicht mehr Erwin heißen durfte, eine Stunde für sich allein hatte, schrieb er.

Zuerst nur einzelne Wörter, Listen von Wörtern. Gedichte. Er habe da noch keinen ganzen Satz bilden können, erklärt er. Aber das Schreiben habe eine immense psychologische Bedeutung für ihn gehabt. „Ich wollte sein mit meinen Eltern. Ich wollte mich verbinden mit meinen Eltern und meinen Großeltern.“ Diese Verbindung hat er seitdem schreibend beibehalten. „Ich habe mit mir meine Mutter und meinen Vater und meinen Großvater. Die sind immer hier. Und das sind sehr starke Erinnerungen. Mehr als Erinnerungen. Erinnerung kann auch sein eine oberflächliche Sache. Ich habe sie in meinem Körper.“

Aus einem assimilierten Elternhaus

Die literarische Beschäftigung mit der Judenverfolgung in Europa war im neuen Staat Israel lange nichts, wofür man Anerkennung erwarten durfte. Vor dem Eichmann-Prozess 1961 gab es kaum einen öffentlichen Diskurs über den Holocaust, das Thema schien tabu. Der junge Appelfeld hatte es schwer mit seinen Texten. „Wir müssen ‚normal‘ werden“, sei die Haltung gewesen, sagt er, und spricht das Wort „normal“ mit feinen ironischen Anführungsstrichen. „Nicht Juden, sondern ‚normal‘ ...“ Eine Ausprägung des alten jüdischen Selbsthasses sei das gewesen, diese Weigerung, sich mit der Schoah auseinanderzusetzen.

Aharon Appelfeld selbst machte es anders. Er, der aus assimiliertem Elternhaus stammte, begann in Israel, das Jüdischsein intensiv zu erforschen, studierte Literatur und Jiddisch. In „Geschichte eines Lebens“ beschreibt er, wie er als Teenager von alten Männern eigens das Beten erlernte. Er habe wissen wollen, was das sei: ein Jude, sagt er.

Religiös geworden sei er dadurch nicht. „Ich habe entdeckt, dass diese Leute auch Menschen sind. Ein Mensch kann beten oder nicht. Das macht ihn nicht schlechter.“ Seine Kinder habe er jedoch auf eine religiöse Schule geschickt, „so dass sie ein Gefühl bekommen“. Seine Familie sei heute nicht praktizierend religiös, aber zu den Feiertagen kämen sie zusammen.

Das Gespräch ist in der Gegenwart angekommen.

Ich frage nach seiner Meinung angesichts der politischen Lage in Israel, wo viele derzeit pessimistisch in die Zukunft blicken. Die Antwort macht klar, dass es schlicht notwendig ist, an Israel zu glauben: „Ich kann mir nicht erlauben, pessimistisch zu sein. Ich bin aus einer schrecklichen Situation hierher gekommen als Kind. Und ich bin lebengeblieben, weil ich irgendwo glaubte, dass meine Mutter wird kommen und mich abholen. Ich habe in mir einen Optimismus.“

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