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Israel mobilisiert für GazaZehntausende Reservisten werden einberufen

Trotz eines Waffenstillstandsangebots treibt Israel die Einnahme von Gaza-Stadt voran – und schafft mit einem Siedlungsprojekt Fakten im Westjordanland.

Erneute Vertreibung: Israel fordert die Bewohner Gazas auf, in den Süden des Streifens zu fliehen Foto: Moiz Salhi/imago

Jerusalem taz | Obwohl Israels Antwort auf ein Waffenruheangebot der Hamas noch aussteht, treibt das Land seine Pläne für die Besetzung von Gaza-Stadt mit Hochdruck voran. Ein Vertreter der Armee bestätigte vor Journalisten am Mittwochmorgen, die Operation „Gideons Streitwagen II“ habe in den Stadtvierteln Dschabalija und al-Seitun mit ersten Vorstößen begonnen. Verteidigungsminister Israel Katz nahm am Dienstag einen Plan der Militärführung zur Einnahme der Stadt an. Das Papier soll am Donnerstag dem Sicherheitskabinett vorgelegt werden.

Die Entscheidung stellt für die israelische Gesellschaft eine Belastungsprobe dar. Insgesamt sollen in mehreren Schritten 130.000 Reservisten einberufen werden, doch viele Israelis sehen keinen Sinn mehr in der Ausweitung der Kämpfe in Gaza. Ein Großteil der früheren Spitzen der Sicherheitsbehörden hat sich gegen die Operation ausgesprochen, selbst Armeechef Ejal Zamir gilt als Kritiker des Vorhabens, das er nun umsetzt.

Militärisch gibt es nichts mehr zu erreichen

Israel Ziv, israelischer Ex-General, zur Einnahme von Gaza-Stadt

„Militärisch gibt es nichts mehr zu erreichen“, sagt der ehemalige General Israel Ziv im Gespräch. Die Einnahme von Gaza schrittweise und über Monate umzusetzen, erfordere rund 20.000 Soldaten. „Doch viele Reservisten sind erschöpft und ausgebrannt“, sagt Ziv.

Die Einberufung von rund 60.000 Reservisten begann laut der Armee bereits am Mittwoch. Weitere Wellen sollen im November und Anfang 2026 folgen. Zuletzt waren laut israelischen Medienberichten die Rückmeldungen auf Einberufungen stetig gesunken.

Siedlungsprojekt als Sargnagel für die Zwei-Staaten-Lösung

Der Plan sieht die Umsiedlung von rund 1 Million Menschen aus Gaza-Stadt in den Süden vor. Dafür sollen laut dem Militär künftig mehr Hilfslieferungen nach Gaza gelangen, weitere Verteilstellen eröffnet und Feldlazarette errichtet werden. Viele der Bewohner aber wurden bereits mehrfach vertrieben und sind nach Monaten strikter Blockade von Hilfsgütern seitens Israels geschwächt vom Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser und medizinischer Versorgung.

Abwenden könnte die Eskalation noch eine von Ägypten und Katar vermittelte Waffenruhe, der die Hamas bereits zugestimmt hat. Demnach sollen während einer 60-tägigen Kampfpause zehn noch lebende Geiseln im Austausch gegen palästinensische Gefangene freikommen. Obwohl der Vorschlag wohl im Wesentlichen dem entspricht, was US-Vermittler Steve Witkoff noch vor Wochen gefordert hatte, bestand Netanjahu zuletzt auf der Freilassung aller Geiseln in einem Schritt. Eine Entscheidung dazu hat Israels Führung für Freitag angekündigt.

Während sich die Aufmerksamkeit auf Gaza richtet, treibt Israel als Reaktion auf die Ankündigung westlicher Verbündeter, im September einen palästinensischen Staat anerkennen zu wollen, noch massiver als bisher den Siedlungsbau voran. Eine am Mittwoch final genehmigte Siedlung würde das palästinensische Westjordanland in einen Nord- und einen Südteil trennen und von Ostjerusalem als potenzieller Hauptstadt eines künftigen Staates Palästina abschneiden.

Der Planungsausschuss der militärischen Zivilverwaltung für das besetzte Westjordanland nahm den Plan für 3.401 neue Wohneinheiten im nur etwa 12 Quadratkilometer großen E1-Gebiet zwischen Jerusalem und der völkerrechtlich illegalen Siedlung Maale Adumim an. Kritiker und Unterstützer sind sich in einem Punkt einig: Das Projekt dürfte einen palästinensischen Staat gänzlich unmöglich machen. Der rechtsreligiöse Siedler und Finanzminister Bezalel Smotrich nannte die Entscheidung „historisch“.

Die israelische NGO Peace Now, die sich gegen den Siedlungsbau engagiert, kritisierte das Vorhaben: „Der einzige Zweck der Siedlung in E1 besteht darin, eine politische Lösung zu sabotieren und einen binationalen Apartheidstaat herbeizuführen“, hieß es in einer Erklärung.

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2 Kommentare

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  • Einige, und leider finden die sich im Kabinett, wollen die Ungerechtigkeit, die Besatzung, den ewigen Krieg.



    Sparta und Buren-Südafrika haben mit einem solchen Ansatz auch nicht überlebt. Wer Israel schätzt, sollte auf der Seite der Protestierenden und nicht auf der Netanyahus stehen.

  • Die ehemalige Direktorin der israelischen NGO Breaking the Silence hat es Gestern in Haaretz noch deutlicher gesagt unter dem Titel: Smotrich's West Bank Plan Isn't Killing the Two-state Solution. Israel Buried It Long Ago "Wir leben in einem Staat. Er umfasst Israel und alle seine besetzten Gebiete. Der Staat hält diese Gebiete illegal und unbefristet besetzt, was durch Pläne wie diesen noch weiter verfestigt wird. In dieser Struktur herrscht eine klare Apartheid: Die sieben Millionen israelischen Juden genießen volle bürgerliche und politische Rechte, unabhängig von ihrer Adresse, während die sieben Millionen Palästinenser zersplittert sind und ihnen aufgrund ihrer Adresse und der Farbe ihres Personalausweises Rechte vorenthalten werden."