Isolation in Corona-Zeiten: Das weiße Rauschen
Mein Lohn wird gezahlt, Essen habe ich auch – doch die Isolation genießen, das klappt nicht. Stattdessen wache ich nachts von Albträumen geplagt auf.
V ersuchen wir mal, die Vorteile zu sehen. Jetzt, da uns ohnehin niemand beobachtet, können wir doch die Zügel schießen lassen. Duschen? Morgen vielleicht. Das vor Wochen großspurig verkündete Alkoholfasten? Ach komm, die Zeiten sind hart genug. Der fällige Haarschnitt? So was von wurscht gerade. Menschen wie ich, die das Privileg der sozialen Isolation bei fortlaufenden Bezügen und regelmäßigen Mahlzeiten genießen dürfen, können jetzt mal ganz in Ruhe scheiße aussehen, überschaubaren Exzessen frönen oder dem großen Nichts lauschen.
Dieses Nichts, das weiße Rauschen der Zivilisation, klopft immer mal wieder an. Vor allem dann, wenn man sich gerade austariert hat zwischen Todesangst, Todesverachtung und einem gewissen Respekt gegenüber dem eigenen Verhalten, das man in seiner Dissozialität nur vernünftig nennen kann. Ich mache alles so, wie es Angela Merkel von mir verlangt – also bittschön, das hätte ich jetzt gern mit etwas frohem Mut honoriert. Doch der meldet sich einfach nicht.
Schickt stattdessen den Albtraum, der mir morgens um vier eine emotionale Bratpfanne über den Kopf zieht: Hallo! Aufwachen! Hier gibt’s nix zu träumen, außer schlimmes Zeugs. Ich liege dann wach, koche mich mit vernünftigen Argumenten – die direkt aus dem Krisenstab des Kanzleramts kommen könnten – runter und versuche mit dem Schicksal zu handeln. Und irgendwann – irgendwann! – wird es doch wieder hell, trotz der Sommerzeit.
Vögel füttern, aufräumen, renovieren
Die Tage fülle ich mit Aktivität. Ich füttere die Vögel. Ich räume den Schrank auf. Ich streife meine Überfall-Uniform über und mache im Baumarkt Wandfarbe klar. Ich schleiche durch den Garten und suche nach Ecken, die eine Neubepflanzung brauchen könnten. Ich lade mir mein taz-ePaper runter und gebe mir große Mühe, Zeitung zu lesen, indem ich mich sowohl konzentriere als auch bilde. Ich gebe mein Bestes, indem ich das weiße Rauschen zu einem Etwas von Bedeutung aufzuplustern versuche. Seltsam (und nicht ohne Komik), von einem Virus der eigenen Zweckmäßigkeit beraubt zu sein.
Dass es nicht nur mir so geht, entnehme ich der dörflichen WhatsApp-Gruppe. Gebunden an Haus und Hof, gehen meine MitbürgerInnen offenbar daran, ihre Liegenschaften einer Inventur zu unterziehen. Es werden Fahrräder für wenige Euro verkauft – Social Distancing bei der Übergabe wird selbstverständlich zugesichert. Vorhin kam ein Angebot für mehrere Meter Ligusterhecke rein. Gestern waren Gartenschaukeln, Buddelkästen und Spielhäuser für Kinder auf dem Markt, von denen ich mich ohnehin stets gefragt hatte, wozu man die hier draußen in der guten Natur braucht.
Und während ich diese Kolumne schreibe, sucht eine komplette Bar mit Hockern neue BesitzerInnen. Den EigentümerInnen ist möglicherweise die Fantasie dafür abhandengekommen, jemals wieder mit anderen Menschen an diesem Partymöbel zu sitzen zu kommen. Ja, alles muss raus. Außer unseren Gefühlen.
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