Isolation auf dem Land: Endzeit in Gummistiefeln
Die Schönheit des Landlebens nimmt schon ab, wenn man wegen Hochwasser, Bahnstreik und Treckerdemos nicht mehr weg kommt. Eine Kolumne im Lagerkoller.
N atürlich war es nie der Plan, hier draußen auf dem Land zu versauern. Ein bisschen mehr Abgeschiedenheit, ja – vielleicht sogar ein Hauch Isolation – Sicherheitsabstand jedenfalls zur Großstadt und ihrem Personal. „Geistige Mülltrennung“ hatte ich das mal genannt, in der Hoffnung, den ganzen Rotz aus Lohnarbeit und Kulturbetrieb woanders zu verklappen, als wo das Leben stattfindet. Ihre erste Delle bekam die Konstruktion recht zügig, als unter Corona die Arbeiterei nachrückte: Homeoffice und so weiter … Sie kennen das Elend.
Doch auch wer sich daran inzwischen gewöhnt hat, konnte dieser Tage doch wieder unerwartet ins Schlingern kommen. Als die Stadt nämlich plötzlich sehr viel weiter weg war als üblich, abgedriftet in die Anderswelt. Das mag esoterisch klingen, fühlt sich aber auch genau so an. Die Stadt ging fort und kam bisher auch nicht wieder zurück.
Die weltlichen Hintergründe des Phänomens sind vielschichtig: unterschiedliche Plagen, die wir Teilzeitmystiker:innen aus der Bibel auch als „Schalen des Zorns“ kennen und deren erste das niedersächsische Hochwasser war. Aber wahrscheinlich müsste man die Geschichte eigentlich ganz anders erzählen. Endzeit geht auch ohne Gott.
Irgendwo im Nirgendwo
Ich war jedenfalls viel unterwegs zwischen den Jahren und war da schon in so eine komische Zeitlosigkeit geraten, bin über sandsackgestützte Deiche gewandert, habe am Kaminfeuer über Landkarten gebrütet und meine beschwerlichen Reisen (in die Nachbarstadt) geplant, weil Google Maps sich hartnäckig weigerte, die Sperrung von Brücken zur Kenntnis zu nehmen, die außer mir kaum wer benutzt. Am Ende habe ich’s gelassen und dem Einsiedlertum sogar ein bisschen Lebensqualität abgerungen.
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Auch den nächsten Stadtbesuch habe ich wegen drohenden Treckervolkssturms lieber ausgesetzt und mich stattdessen einfach noch etwas mehr auf den anstehenden Konzertbesuch gefreut – als ersten richtigen Zivilisationskontakt seit drei Wochen.
Den allerdings hat nun der Bahnstreik verunmöglicht, der einen hier draußen tatsächlich noch etwas härter zu treffen vermag, als man sich das in der Stadt vorstellen kann.
Und ich merke: Das Rausziehen aus der Stadt ist als Modell nur so lange attraktiv, wie es die Stadt nebenan noch gibt. Jetzt habe ich seit Tagen die zauberhafte Band The Ex im Ohr („I can foresee it’s time to leave town“) und fühle mich ein bisschen verraten von der Prophetie („I can really foresee that this town will go down / I forsee we’re all going to drown“). Weil es am Ende dann ja doch wir hier draußen waren, die abgesoffen sind.
Krisen sind für alle da
Bevor aber jemand Carepakete schickt: Persönlich komme ich eine Weile auch ohne Bimmelbahn zurecht, niemand hat versucht, mich an auf Trecker montierten Galgen aufzuknüpfen – ja, selbst das Wasser hat es nicht mal bis in meinen Keller geschafft. Und auch wenn es nicht ganz fair ist, hilft gegen den Lagerkoller am Ende doch auch, dass das für mich unerreichbare Konzert kurzfristig auch für alle anderen abgesagt wurde.
Der Vorverkauf war wohl zu schlecht. Was übrigens auch so eine Plage ist – und ein Teufelskreis: Zumindest ich habe zunehmend weniger Lust, den Aufrufen von Veranstalter:innen zu folgen, Tickets für kleine Bands zu kaufen, wenn sie dann doch ständig ausfallen, was jedes Mal verbranntes Geld bedeutet, weil „Servicegebühren“ und so weiter ja oft nicht erstattet werden.
Das ist eine andere Geschichte, aber man sieht doch: Es sind multiple Krisen, mit denen wir uns herumschlagen, und die gibt es auch in der Stadt.
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