Islands Fußballnationalmannschaft: Von wegen „goldene Generation“
Weil der Verband sexuelle Übergriffe von Nationalspielern vertuschen wollte, ist das Entsetzen im Land groß. Die Führungsspitze trat zurück.
Vor fünf Jahren waren sie der Liebling der europäischen Fußballwelt: Islands Männernationalmannschaft. Sie hatten sich nicht nur erstmals für eine EM-Endrunde qualifiziert, sondern auch noch die Vorrunde ungeschlagen absolviert und im Achtelfinale England aus dem Turnier geworfen. Und da war dann auch noch der legendäre Schlachtruf der Fans: Huh!
Nicht nur sportlich ist von solchen Erfolgen nicht mehr viel übrig. Ein Missbrauchsskandal erschüttert derzeit auch die Nationalelf und den Verband. Der Präsident und fast die gesamte Führungsspitze des Fußballverbands KSÍ sind zurückgetreten; am 2. Oktober soll ein neuer Vorstand gewählt werden. Kolbeinn Sigthórsson, der seinerzeit eines der beiden Tore gegen England erzielt hatte, wurde aus dem Kader für die derzeit laufenden WM-Qualifikationsspiele gestrichen, bei denen Island am Mittwoch die deutsche Nationalelf in Reykjavik empfängt. Am Freitag stellte auch sein derzeitiger Klub IFK Göteborg den 31-Jährigen frei. In einer Erklärung von fünf Fangruppen des Vereins heißt es: „Wir wollen ihn nie mehr im blau-weißen Dress sehen.“
Ein weiterer isländischer Profi ist nach Anklagen der sexuellen Belästigung von Minderjährigen von seinem Premier-League-Klub wegen des noch laufenden Ermittlungsverfahrens suspendiert worden. „Ich war nicht im Kontakt mit ihm, mehr kann ich dazu nicht sagen“, erklärte Nationalmannschaftstrainer Arnar Vidarsson in isländischen Medien.
Was Kolbeinn Sigthórsson vorgeworfen wird, wurde auch durch dessen eigene Stellungnahmen bekräftigt. Es war ein Abend im September 2017 in der Bar B5 in Reykjavik, in dem verschiedene Spieler einen 2:0-Heimsieg gegen die Ukraine feierten. Zwei Frauen zeigten anschließend den damaligen FC-Nantes-Profi bei der Polizei wegen Körperverletzung und grober sexueller Belästigung an und unterrichteten auch den Fußballverband KSÍ.
„Ein Schock für Island“
Dass diese alte Geschichte, die seinerzeit mit einer Entschuldigung Sigthórssons und einer Zahlung von umgerechnet rund 1.500 Euro an Stígamót, eine isländische Organisation, die Opfern sexualisierter Gewalt hilft, außergerichtlich beigelegt wurde, nun wieder aufgerollt wurde, hatte mit einem Interview zu tun. Mit dem reagierte KSÍ-Präsident Gudni Bergsson auf einen Artikel, der Anfang August in der Tageszeitung Visir veröffentlicht worden war. In dem wurde eine frauenfeindliche Kultur im Nationalteam und dem Verband beschrieben, und es wurden auch Vergewaltigungvorwürfe einer jungen Frau gegen zwei Spieler der Nationalelf im Jahre 2010 aufgegriffen.
Der Fußballverband habe „keine Beschwerde oder irgendeinen Hinweis auf sexuelle Übergriffe erhalten“, behauptete Gudni Bergsson daraufhin. Worauf Thorhildur Gyda Arnarsdottir in einem TV-Interview ihre eigenen Erlebnisse und die ihrer Freundin mit Sigthórsson in der Bar B5 an jenem Septemberabend schilderte und anhand des damaligen Mail-Verkehrs mit dem KSÍ auch nachweisen konnte, dass dieser sehr wohl ganz detaillierte Kenntnis davon hatte. Und sie berichtete auch, sie kenne sechs weitere Frauen, die sexuellen Übergriffen von isländischen Fußballspielern ausgesetzt gewesen seien.
Bergsson entschuldigte sich erst, trat danach zurück, und nachdem Hauptsponsoren der Nationalelf wie die Fluggesellschaft Icelandair mit dem Abbruch der Zusammenarbeit gedroht hatten, schloss sich der größte Teil der KSÍ-Führungsspitze diesem Schritt an: „Wir wissen, dass wir versagt haben, und wir werden uns bemühen, besser zu werden“, heißt es in einer Erklärung des Verbands. Das sei dringend erforderlich, sagte Islands Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdottir. Sie drückte den Frauen, die sich öffentlich zu Wort gemeldet hatten, ihre Bewunderung aus.
„Es ist ein ziemlicher Schock für Island, akzeptieren zu müssen, dass diese goldene Fußballergeneration auch eine dunkle Seite hat“, äußerte Thordur Júlíusson, Chefredakteur der isländischen Netzzeitung Kjarninn. Sie seien „wie Halbgötter behandelt worden und, nur weil sie reich und berühmt sind, mit Sachen durchgekommen, mit denen normale Menschen nicht durchkommen würden“.
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