Islamisten in Libyen: „Der Angriff war ein Weckruf“
In Bengasi griffen radikale Islamisten das US-Konsulat an. Der Journalist Mohammed M. Abujanah spricht über die Folgen für die Gesellschaft.
taz: Herr Abujanah, wie schwierig ist die Arbeit als Journalist in Bengasi zurzeit?
Mohammed Mahmud Abujanah: Wir haben technische und finanzielle Probleme. Wir verfügen über fast kein Einkommen, und da es keine effektive Polizei und nur eine schwache Justiz gibt, sind wir auf uns selbst gestellt.
Was hatte das Attentat auf das amerikanische Konsulat für Auswirkungen auf Ihre Arbeit?
Für die Bevölkerung in Bengasi war der Angriff ein Weckruf. Ich bin Mitinitiator von „Rettet Bengasi“, einer Initiative, mit der wir gegen das Verbrechen an dem Botschafter und gegen die Milizen mobilisiert haben. Wir aus der Zivilgesellschaft und den Medien fühlen uns nun stärker. Ich verstehe mich als Journalist, aber auch als Aktivist, nur so kann man in der neu entstehenden Öffentlichkeit in Libyen etwas erreichen. Öffentlichkeit ist etwas Neues für uns.
Wie gehen Sie mit der Bedrohung durch die religiösen Extremisten um, die Ihre Arbeit wohl nicht schätzen?
Nur ein Teil der Brigaden wie Ansar al-Scharia sind wirkliche Extremisten. Die Radikalen kommen sogar meist aus dem Ausland, dem Libanon, Algerien oder Tunesien. Von denen lassen wir uns nicht sagen, wie wir zu leben haben. Wir Libyer sind bereits konservative Muslime, und die absolute Mehrheit hier will einen moderaten und typisch libyschen Islam.
MOHAMMED M. ABUJANAH ist Chefredakteur des politischen Jugendsenders Schabab FM in Bengasi. Zu Beginn der Revolution gründete er den Radiosender. Mit einem PC und einigen Freunden sendet er aus einem Klassenraum.
Gibt es einen Dialog mit den Extremisten?
Wie viele andere Journalisten in Bengasi versuchen wir mit den religiösen Milizen in eine offene Diskussion zu treten. Kriegstraumata und gesellschaftlich Probleme sind oft der Grund, warum sich junge Leute ihnen anschließen. Und die gute Entlohnung. Ansar al-Scharia hat nach den Bürgerdemonstrationen aber eingesehen, dass sie mit Waffengewalt die Öffentlichkeit nicht auf ihre Seite ziehen können. Nun wollen sie über die Medien erklären, was Scharia für sie bedeutet. Nur eine offene Diskussion darüber kann die Lage beruhigen, und wir nehmen diese Herausforderung als Journalisten an.
Der Druck, die Täter der Botschaftsattacke zu verhaften, steigt. Wie ist die Lage in Bengasi im Schatten dieser Drohung?
In der Nacht unserer Bürgerdemonstration wurden vier Soldaten von Unbekannten regelrecht hingerichtet. Sie hatten sich mit den Demonstranten solidarisiert. Das zeigt uns, wie brenzlig die Situation ist. Doch in Bengasi ist die Revolution am 17. Februar 2001 entstanden, und die Mehrheit hier lässt sich nach dem Krieg gegen das Regime mit so vielen Opfern nicht von einer zweiten Revolution die Freiheit nehmen. Da bin ich sicher.
Wie wird es weitergehen?
Viele Aktivisten arbeiten nun mit allen möglichen Milizen an dem Konzept für eine gemeinsame Sicherheitsstruktur, die unabhängig und nicht von Extremisten unterwandert ist. Libyen ist reich und als Basis interessant für eine Menge Extremisten, Geschäftemacher wie Waffen- und Drogenhändler, die die religiöse Milizen als Schutzschild nutzen. Wir Moderaten müssen schnell dazulernen, um gegen sie zu bestehen.
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