Islamismus in der Sahelzone: Ohne Plan gegen den Terror
In der Sahelzone tummeln sich terroristische Gruppen, Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Die internationale Bekämpfung funktioniert nicht.
Doch von Aufbruchstimmung ist nichts zu spüren, und das nicht nur in Mali. In der gesamten Sahelzone von Mali, Burkina Faso über Niger bis zur Region rund um den Tschadsee, wo Nigeria, Kamerun und Tschad aufeinandertreffen, sind Millionen von Menschen auf der Flucht vor den sich ausbreitenden Angriffen terroristischer Gruppen. Sie sind immer besser vernetzt, und die Strategen der Terrorbekämpfung erscheinen immer ratloser.
Häufig kommt es in Grenzregionen zu Anschlägen und Angriffen, und häufig verlagern sich die Schauplätze sehr schnell. In Nigeria hat der „Islamische Staat in der Provinz Westafrika“ (ISWAP) – die Gruppe spaltete sich 2016 von Boko Haram ab und verfügt über 3.500 bis 5.000 Mitglieder – Kontakte zum „Islamischen Staat in der Größeren Sahara“ (ISGS) in Mali, Niger und besonders in Burkina Faso.
Bereits 2017 schlossen sich in Mali Ansar Dine, die Macina-Befreiungsfront und Al-Mourabitoun zur islamistischen Sammelbewegung Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin (JNIM) zusammen, die sich seitdem in Burkina Faso ausgebreitet hat. ISWAP breitet sich zunehmend aus Nigeria aus und verübt im Tschad kleinere Anschläge sowie offenbar gezielte Entführungen. Aus dem Norden Kameruns heißt es, dass kaum ein Tag ohne Angriffe von Boko Haram vergehe.
Islamisten versorgen Zivilbevölkerung
„Die Zahl der Gruppen ist groß“, bestätigt Issouou Yahaya, Geschichtsprofessor aus Nigers Hauptstadt Niamey. Neben den Terrorgruppen gebe es auch ehemalige Rebellengruppen der Tuareg – sie kämpfen nicht mehr mit den Islamisten, aber sie machen jetzt in Mali beim „nationalen Dialog“ auch nicht mit. Einzelne Kämpfer würden sich je nach Situation verschiedenen Bewegungen anschließen, sagt Yahaya.
Gerade wenn es eher um Söldnertum und weniger um Ideologie geht, vereinfacht das den Austausch von Informationen und Waffen. Es zeigt auch, dass sich frühere Spekulationen nicht bewahrheiten, dass sich die verschiedenen islamistischen Bewegungen in Machtkämpfen gegenseitig schwächen und zerstören – im Gegenteil.
Sie finanzieren sich über den Drogen- und Waffenhandel sowie Entführungen. Je weniger die Staatsmacht präsent ist, desto besser läuft das. Das zeigt beispielsweise die Entwicklung rund um dem Tschadsee. Dort baut Experten zufolge ISWAP eine Basisversorgung für die Zivilbevölkerung auf, wofür eigentlich der Staat zuständig ist. Auf diese Weise bindet die Terrorgruppe die Bevölkerung an sich, führt die Unfähigkeit des nigerianischen Staates vor und schafft sich so eine stille Reserve an Sympathisanten.
„Westafrika hat diesen Umfang an Sicherheitsherausforderungen noch nie erlebt“, sagt Oshita Oshita, der in Nigerias Hauptstadt Abuja das Ubuntu Centre für Afrika, Friedenssicherung und Entwicklung leitet. „Wir sind bei einem Punkt angelangt, an dem nichtstaatliche bewaffnete Gruppierungen sogar Drohnen einsetzen. Das ist eine sehr ernst zu nehmende Entwicklung. Wir müssen verstehen, was passiert, um darauf angemessen zu reagieren.“
Viele Missionen, wenig Austausch
Der bisherige Ansatz lautete, immer mehr Militär zu schicken. In Mali ist die UN-Mission Minusma aktuell mit 14.400 Personen stationiert. Sie soll den Norden des Landes stabilisieren und die Zivilbevölkerung schützen, hat aber kein Mandat für die Bekämpfung von Terroristen. Das obliegt der französischen Antiterrormission Barkhane mit 4.500 Soldaten, drei Drohnen und 19 Hubschraubern in Mali, Niger und Tschad.
Ein großes Problem ist die Koordination der verschiedenen internationalen Akteure. Informationen werden zwar ausgetauscht. Doch es entstehen immer neue Missionen mit neuen Akteuren. Sogar während des Afrika-Russland-Gipfels in Sotschi Ende Oktober wurde über Terrorismusbekämpfung diskutiert. Gemeinsame Anstrengungen seien wichtig, sagte Präsident Wladimir Putin. Aber es scheint kaum vorstellbar, dass Russland und Frankreich Afrika-Einsätze koordinieren.
Gonta Alida Henriette Da, Menschenrechtlerin, Burkina Faso
Berichten zufolge will Frankreich jetzt, dass Deutschland sich an einer neuen Mission „Tacouba“ (Säbel) beteiligt. Bundeswehrsoldaten sollen malische Truppen zu Spezialkräften ausbilden und sie dann sogar im Einsatz begleiten. Das ist ein Wunsch, von dem man in Mali immer wieder hört. Es war bisher jedoch von deutscher Seite aus weder rechtlich möglich noch politisch gewollt.
Ohnehin läuft bereits seit 2013 die EU-Ausbildungsmission EUTM für Malis Armee in Koulikoro, das 60 Kilometer von Bamako entfernt liegt. Mittlerweile müssen alle Angehörigen der malischen Armee mindestens einmal ein Training durchlaufen. Immer wieder heißt es jedoch, dass ihnen die Ausrüstung fehle.
Gewalt breitet sich aus
Als schwierig gilt auch, dass die Armee sich einerseits im Wiederaufbau befindet, gleichzeitig aber ständig in den Kampfeinsatz zieht. Im Rahmen des Friedensvertrags von Algier mit den Tuareg-Rebellen aus dem Jahr 2015 müssen die Streitkräfte darüber hinaus Tausende Exsoldaten reintegrieren, die während der Tuareg-Rebellion 2011 und 2012 desertiert waren. Es heißt, dass dies für Misstrauen und Widerstand sorgt.
Auf regionaler Ebene sollen es die Streitkräfte der 2014 geschaffenen multinationalen Eingreiftruppe G5-Sahel richten, die von Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad gestellt wird. Sie zählt 5.000 Soldaten, die EU-Kommission hat sie seit 2017 mit 100 Millionen Euro unterstützt, mehr als Malis Armee mit offiziell über 16.000 Soldaten zur Verfügung hat. Professor Yahaya nennt sie jedoch einen „weißen Elefanten“. Er bezweifelt, dass alle fünf Länder ein ernsthaftes Interesse an der Bekämpfung des Terrorismus haben.
Auch Gonta Alida Henriette Da, Vizepräsidentin der Menschenrechtskommission in Burkina Faso, hat nicht den Eindruck, dass die Regierung sich ernsthaft für die Sicherheitslage interessiert. Gewalt breitet sich immer weiter aus, zuletzt wurden Dutzende Arbeiter auf dem Weg zu einer Goldmine getötet, obwohl sie unter Militärschutz fuhren. Fast eine halbe Million Menschen wurden aus ihren Dörfern vertrieben.
„Die Regierung befasst sich mit den Wahlen im kommenden Jahr. Wir fragen uns, wie man bei den leeren Dörfern überhaupt Wahlen durchführen will, an denen alle teilnehmen können“, sagt Da.
Sie sieht noch ein Problem. „Es herrscht immer die Vorstellung, dass es nur die anderen trifft. Dabei hätten wir uns in Burkina Faso auch schon vorbereiten können, als in Mali die Krise begann. Das war nur wenige Kilometer von uns entfernt. Wir haben aber zugeschaut und gesagt: Das passiert doch in Mali, nicht hier. Das ist die triste Wahrheit.“
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