Irritierendes Geschichtsinteresse: Der Ausnahme-Türke

Ich saß in der Straßenbahn und hatte ein Buch über die Schlacht von Verdun in der Hand. Das führte zu Verwirrung.

Ein Mann, der als ein Soldat aus dem Ersten Weltkrieg verkleidet ist, sitzt auf einer Mauer und schaut in die Landschaft.

Deutsche Geschichte: ein verkleideter Mann bei einer Nachstellung der Schlacht von Verdun 2018 Foto: dpa | Jean-Francois Badias

Wieder einmal schickt mich mein kommunistischer Sohn Mehmet, Bücher für ihn abzuholen. Angeblich seien die von ihm übers Internet bestellten Bücher rein zufällig in einem Laden in der Nähe von Halle 4 gelandet.

Läuft das denn wirklich so ab im Internet? Wenn man dort ein Buch bestellt, liefern die das dann an irgendeine Buchhandlung in der Stadt? So rein zufällig?

Insgesamt drei Bücher hat Mehmet bestellt. Für diese drei dicken Bücher muss ich jetzt über 100 Euro blechen. Fast einen ganzen Monatslohn! Das Internet zieht einem das Geld aus der Tasche! Kein Wunder, dass Bill Gates Milliardär geworden ist.

Auf dem Nachhauseweg in der Straßenbahn schaue ich mir an, für was für einen Schund Mehmet mein schwerverdientes Geld rauswirft.

Für Verdun!

Was zum Teufel ist denn ein „Verdun“?!

„Junger Mann, Sie lesen ‚Die Schlacht um Verdun‘?“, fragt mich eine Oma interessiert, die mir direkt gegenüber sitzt. Verglichen mit ihr bin ich wirklich ein junger Mann. Die Oma ist mindestens 100 Jahre alt, wenn nicht 200!

„Junger Mann, Sie sind wirklich an der deutsch-französischen Schlacht um Verdun interessiert?“, fragt sie wieder ungläubig.

Sie hat bessere Augen als ich. „Deutsch-Französischer Krieg um Verdun im Jahre 1916“ steht als Unterzeile auf dem Buch.

„Haben Sie bei dem Krieg etwa mitgemacht?“, frage ich neugierig.

„Ich nicht. Aber meine Eltern. Sie informieren sich also über den Ersten Weltkrieg?“

„Ich nicht. Aber mein Sohn. Ihn interessieren Gewalttätigkeiten jeglicher Art.“

„Junger Mann, Sie sind wohl ein feiner Franzose, nicht wahr?“

„Nein, nicht dass ich wüsste.“

„Sie sind kein feiner Franzose? Wie ist das bloß möglich?“

„Ich weiß es nicht. Ich bin noch nie Franzose gewesen.“

„Dann sind Sie ein stolzer Spanier.“

„Ach, nein, ich mag nicht mal Stierkämpfe.“

„Na, dann helfen Sie mir doch mal auf die Sprünge, junger Mann.“

„Also gut, ich gebe Ihnen einen Tipp. Von meiner Sorte gibt es relativ viele in Deutschland.“

„Jetzt hab ich’s. Sie sind ein lebenslustiger Italiener.“

Die Dame scheint sich nach der Verdun-Schlacht aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen zu haben. Spätestens aber nach dem Anwerben italienischer Gastarbeiter. Von Türken hat sie wohl noch nie was gehört.

„Sie werden nie darauf kommen. Ich bin ein waschechter Türke“, sage ich.

„Nein! Das ist unmöglich! Das können Sie mir nicht erzählen! Sie machen sich lustig über mich. Sie sind auf gar keinen Fall Türke!“, brüllt sie.

„Meinen Sie? Wie hätte denn ein Türke Ihrer Meinung nach zu sein?“

„Nun, das weiß ich auch nicht. Aber ich bin mir absolut sicher, dass kein Türke jemals ein Buch über die Schlacht bei Verdun lesen würde.“

Bei Allah, die Oma hat völlig Recht!

Ich wusste schon immer, dass bei Mehmet etwas komisch ist. Ich bin schockiert! Die letzten fünf Vaterschaftstests waren wohl alle manipuliert! Ich hole sofort mein Handy raus und brülle total sauer meine Frau an:

„Eminanim, wir müssen reden!“

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