Irans Nuklearprogramm: Neuer Atomdeal auf der Kippe
Die Gespräche mit Iran gehen in die entscheidende Phase. Während zentrale Fragen völlig ungeklärt bleiben, drohen Teheran und Jerusalem mit Krieg.
Die regierungsnahe Tageszeitung Tehran Times zeigte auf ihrer Titelseite vom Mittwoch eine Landkarte Israels, die mit Hunderten Markierungen versehen ist. Jeder Pin soll ein mögliches Ziel iranischer Raketenangriffe darstellen. „Nur eine falsche Bewegung!“ ist die Karte übertitelt; und um die Drohung zu unterstreichen, zitiert das Blatt noch Revolutionsführer Ali Chamenei mit der Aussage, man werde nicht zögern, Tel Aviv und Haifa zu zerstören – also gezielt Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu führen.
Israel hatte zuvor seine Drohkulisse ausgebaut und die „militärische Bereitschaft“ betont, auf Fortschritte im iranischen Atomprogramm zu reagieren. Bei einem Treffen in Washington erklärte die israelische Seite, gemeinsame Pläne mit den USA vorantreiben zu wollen, um Irans Nuklearpläne zu stoppen – also iranische Atomanlagen zu zerstören. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin unterfütterte die Drohung mit den Worten, die USA seien bereit, sich „anderen Optionen“ zuzuwenden.
Damit bezog sich Austin auf die Atomgespräche in Wien, die – wenn überhaupt – nur äußerst schleppend vorankommen. In der österreichischen Hauptstadt, wo 2015 auch das historische Iranabkommen unterzeichnet wurde, sitzen Vertreter*innen Irans mit den P4+1 zusammen, also fast allen Vertragspartnern von damals: UN-Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien, Frankreich, Russland und China plus Deutschland.
Adnan Tabatabai, Iran-analyst
Lediglich die US-Entsandten sitzen in einem Nebengebäude; sie nehmen nur indirekt teil, da es in Wien um die Frage geht, ob die USA in das Vertragswerk zurückkehren und sich Iran im Gegenzug wieder an das Abkommen hält. Seit dem US-Austritt 2018 hat auch Teheran Schritt für Schritt gegen die Auflagen verstoßen, die das iranische Atomprogramm beschränken und eine Nuklearbewaffnung verhindern sollen.
Zoff um neue US-Sanktionen
Einfach zum Abkommen von 2015 zurückzukehren, sei jedoch nicht so leicht, sagt Adnan Tabatabai vom Bonner Thinktank Carpo. „Zum einen ist durch das Sanktionsregime der USA erheblicher wirtschaftlicher Schaden im Iran verursacht worden, der nicht wiedergutzumachen ist.“ Auf der anderen Seite habe Iran Fortschritte im Nuklearprogramm gemacht, die nach iranischen Angaben zwar wieder rückgängig gemacht werden können. „Was aber nicht reversibel ist, ist das Know-how, das Iran entwickelt hat, etwa bei der Anreicherung von Uran auf 60 Prozent oder bei der Nutzung neuer Zentrifugen.“
Hinzu kommt, dass Trump seinem Nachfolger Joe Biden nicht nur ein zerschossenes Atomabkommen und eine zutiefst skeptische iranische Führung hinterlassen hat, sondern auch zusätzliche Sanktionen. „Iran mahnt an, dass die Aufhebung der Sanktionen, die im Atomabkommen 2015 festgehalten wurden, nicht mehr ausreicht“, erklärt Tabatabai.
Iran wolle auch Strafmaßnahmen aufgehoben wissen, die seit 2018 verhängt wurden und nach US-Lesart nichts mit Irans Atomprogramm zu tun haben, sondern etwa mit Terrorvorwürfen. Die USA dagegen wollten einige Sanktionen beibehalten, die aus iranischer Sicht eine Umsetzung des Atomabkommens stark einschränken würden.
Während die Sanktionsfrage der Knackpunkt zu sein scheint, gibt es weitere offene Fragen – etwa ob angereichertes Uran, das laut Atomabkommen außer Landes gebracht werden muss, sofort und in einem Rutsch herausgeschafft wird. „Man will erst mal abwarten, um zu verifizieren, dass die Aufhebung der Sanktionen auch wirklich effektiv ist“, beschreibt Tabatabai die neue iranische Verhandlungsposition, „erst dann soll zum Beispiel das angereicherte Uran nach und nach außer Landes gebracht werden.“
Zwischen diesen Standpunkten der USA und Irans versuchen die anderen Vertragsparteien zu vermitteln. Doch auch seitens der Europäer ist zunehmend Pessimismus zu vernehmen. „Die fortgesetzte nukleare Eskalation des Irans bedeutet, dass wir schnell das Ende des Weges erreichen“, teilten Berlin, Paris und London am Dienstag mit. Das Atomprogramm sei noch nie so fortgeschritten gewesen. „Das Zeitfenster schließt sich schnell“, warnte die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse.
Einigung auf neue Überwachungskameras
Etwas Hoffnung machte am Mittwoch eine Einigung zwischen Iran und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die laut Atomabkommen die iranischen Anlagen überwachen soll. Nachdem Iran die IAEA-Kontrollen deutlich eingeschränkt hatte, hat Teheran nun einem Austausch beschädigter Überwachungskameras in einer Atomanlage in der Stadt Karadsch bis Jahresende zugestimmt. Die Kameras waren im Juni bei einem Angriff beschädigt worden. „Es ist ein offenes Geheimnis, dass dieser Angriff von Israel durchgeführt wurde“, sagt Tabatabai.
Als „Geste des guten Willens“ erlaube Teheran die neuen Kameras, berichtete die Nachrichtenagentur Nour-News. Es handele sich um eine „freiwillige Aktion“, um Missverständnisse in der Beziehung zur IAEA auszuräumen. In Karadsch werden moderne Zentrifugen zur Anreicherung von Uran hergestellt, was sowohl für Atomreaktoren als auch für Atomwaffen relevant ist.
Bei der Frage der Überwachung des Atomprogramms gibt es allerdings weitere Streitpunkte. IAEA-Chef Grossi begrüßte die Einigung vom Mittwoch, teilte aber mit: „Ich hoffe aufrichtig, dass wir unsere konstruktiven Gespräche fortsetzen können, um auch alle noch offenen Fragen der Überwachung in Iran anzugehen und zu lösen.“
Die Installation neuer Kameras sei wichtig, sagt Tabatabai, einen Durchbruch für die Unterhänder*innen in Wien stelle die Einigung aber noch nicht dar. „Es ist zu hoffen, dass alle Seiten jetzt erkennen, dass ein Komplettscheitern der Verhandlungen am Ende noch kostspieliger wird als eine Wiederbelegung des Abkommens.“ Noch vor Jahresende brauche es ein deutliches positives Signal, einen Fahrplan, wie es weitergehen soll. „Ohne ein solches Signal in die Weihnachtspause zu gehen, halte ich für fatal.“
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