Iran kontrolliert wieder Kleidungszwang: Sitte patrouilliert auf der Straße

Monatelang sah man Irans Sittenpolizei nicht auf der Straße. Doch nun agiert die Moralpolizei wieder wie vorher – und ihre berüchtigten Vans sind zurück.

Eine Frau von hinten fotografiert, hat ihr langes dunkles Haar offen zu einer Seite gelegt und eine Sonnebrille ins Haar gesteckt, sie trägt eine orange Jacke und einen Rucksackkt

Gegen die Regeln: eine Frau ohne Kopftuch am Sonntag in Teheran, Iran am 16. Juli Foto: Wana News Agency via reuters

BERLIN taz | Er reibt sich über die Stirn, als könne er nicht glauben, dass er darüber reden muss. „Ihr habt schon wieder angefangen“, sagt Mohammad Sadeghi in einem Live-Video, das er am Samstag auf seinem Instagram-Kanal veröffentlichte. Der junge Schauspieler fragt, warum er seinen Tag mit einem Video beginnen muss, auf dem zu sehen ist, wie eine Frau eine andere Frau mit Gewalt in einen Van zerrt – in einen der berüchtigten Vans der sogenannten Sittenpolizei in Iran.

Sadeghi spricht von jener Polizei, die im September 2022 die 22-jährige Jina Mahsa Amini ermordete, weil sie die Regeln der Islamischen Republik, wie sich Frauen zu kleiden haben, nicht eingehalten haben soll. Einige Monate nach Beginn der Massenproteste, die der Mord auslöste, sah man die Polizisten und Polizistinnen der „Sittenpolizei“ – Gascht-e Erschad – nicht auf den Straßen des Landes. Zu groß war die Sorge des Regimes, dass die landesweiten Proteste weiter angeheizt werden könnten.

Doch seit vergangenem Wochenende sind die Moralpolizistinnen und -polizisten wieder großflächig im Land unterwegs. Saeed Montazerolmahdi, Sprecher der Polizei, verkündete laut staatlicher Nachrichtenagentur Tasnim, dass Patrouillen im ganzen Land eingesetzt würden, um „unpassende Kleidung zu bekämpfen“. Die Aufregung bei den Menschen in Iran ist groß. Schon kursieren in den sozialen Medien erste Videos, die die Sittenpolizei bei ihrer gewaltsamen Arbeit zeigen: Frauen, die in Vans gezerrt werden. Was sie dort erwartet: „Umerziehung“, Gewalt und Misshandlung.

Am Sonntagabend gab es bereits Widerstand auf den Straßen. In Rascht im Norden des Landes kamen Menschen drei Frauen zu Hilfe, die von der Sittenpolizei verschleppt werden sollten, berichtete BBC Persia. Regimekräfte griffen die Menschenansammlung an. Auch in Teheran wurde die Präsenz der Basidsch-Milizen verstärkt. „Sie haben den Menschen den Krieg erklärt“, schreibt ein Aktivist laut BBC.

Desinformation durch die Regierung

Das iranische Regime hat bereits auf den vermutlich nicht erwarteten Widerstand reagiert: Es ließ am Montag über Tasnim erklären, dass es in den letzten 24 Stunden viele „Fragen“ zur Sittenpolizei gegeben habe. Es sei „wichtig, klarzumachen“, dass die Vans nicht auf die Straßen zurückkehren würden, „unter keinen Umständen“. Wer also in Zukunft Videos sehe, die diese Vans zeigen, so seien diese „fabriziert oder Archivmaterial“.

In den vergangenen Jahren waren es eben diese Erlebnisse von Frauen, die von der Sittenpolizei gewaltsam in Vans verschleppt wurden, die Wut bei den Menschen ausgelöst und schließlich auch zu den monatelangen Protesten im Herbst und Winter 2022 geführt haben.

Aus diesem Grund startet das Regime nun eine Desinformationskampagne. Die Polizei würde die Frauen nur „verbal“ auf Verstöße ansprechen. Videos und Berichte aus Iran zeigen aber eindeutig: Die sogenannte Sittenpolizei agiert wieder genauso, wie sie es vor dem Mord an Jina Mahsa Amini getan hat.

Die Bemühungen des Regimes, die Gemüter wieder zu beruhigen, zeigen, dass die Angst vor einem Wiederaufflammen der Proteste groß ist. Seit Monaten versuchen die Führer der Islamischen Republik, die Frauen wieder unter den Schleier zu zwingen. Erfolglos: Landesweit tragen viele Frauen weder das Kopftuch noch verhüllen sie ihren Körper.

Mit diesem Widerstand stellen sie für die Machthaber eine ständige Bedrohung dar. Kameratechnik, Gesichtserkennung, Drohungen, das Schließen von Geschäften – nichts hat bislang gewirkt. Jetzt wird die Sittenpolizei wieder auf die Frauen losgelassen.

Der junge Schauspieler Mohammad Sadeghi wurde noch während oder kurz nach der Veröffentlichung seines Instagram-Videos, in dem er die Sittenpolizei kritisierte, festgenommen. Seine Festsetzung streamte er ebenfalls live: Auf dem Video hört man lautes Klopfen und Rufe an seiner Tür, er versucht zu fliehen. Nun ist er inhaftiert. Das iranische Regime duldet niemanden, der im Staat der Lügen die Wahrheit sagt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.