Investor bei Hertha BSC: Der Fluch des schnellen Geldes

Hertha BSC hat einen neuen Investor. Damit kann der sportlich angeschlagene Bundesligist sogar wieder mal an der Spitze stehen: im Trend des Ausverkaufs.

Hertha-Präsident Kay Bernstein, Josh Wander von 777 Partners und Hertha-Geschäftsführer Thomas E. Herrich halten ein Hertha-Trikot

Besiegelter Pakt: Hertha-Chef Kay Bernstein (links) und Josh Wander von 777 Partners (Mitte) Foto: picture alliance/dpa | Andreas Gora

Es ist eine Eigenheit des Fußballs, dass er Erzählungen rascher ungültig macht als das gewöhnliche Leben. Für den Weg vom Demokratiesymbol zum Demokratieverkäufer hat Ex-Ultra und Hertha-Präsident Kay Bernstein bemerkenswert kurz gebraucht. Gerade noch für den Aufbruch durch Volkes Stimme im Klub gefeiert, hat Hertha nun unter seiner Führung noch mehr Anteile und Gestaltungsmacht an den mittlerweile schon dritten Investor verkauft, die US-Private-Equity-Firma 777 Partners.

„Man muss die Leute mitnehmen“, reagierte Bernstein im paternalistischen Duktus auf die Fan-Proteste. Und alle werde man eben nicht mitnehmen können. 777 hält nun 78,8 Prozent der Kapitalanteile an der Hertha BSC GmbH & Co KGaA und sichert sich damit noch beträchtlich mehr Macht als der sich trumpesk gebarende Skandal-Vorgänger Lars Windhorst.

Unter anderem platziert 777 zwei Vertreter im jetzt nur noch fünf Personen umfassenden Aufsichtsrat und sitzt mit zwei Vertretern im Beirat. Hertha behält nur 25,1 Prozent der stimmberechtigten Aktien; außerdem bleibt gemäß der 50+1-Regel die Geschäftsführung beim Club. Mögliche zukünftige Gewinne soll zu einem Großteil „Triple Seven“ einstreichen, damit ist auch die Zukunft verpfändet. Es ist eine dramatische Abgabe von Spielraum, ein Weg zurück unrealistisch.

Protest der Ostkurve

„Kontrollverlust fürs schnelle Geld – 50+1 nur noch auf dem Papier?!“, so protestierte jüngst die Ostkurve auf einem Banner. Bernstein muss man diesen Ausverkauf am wenigsten anlasten, er erbte den finanziellen und sportlichen Scherbenhaufen seiner Vorgänger. Zugleich illustriert gerade dieser Druck der Verhältnisse, dass die vorgebliche Demokratie des deutschen Spitzenfußballs kaum mehr als eine folkloristische Tisch-Deko ist.

Ob ein Kay Bernstein an der Spitze steht oder wie davor Werner Gegenbauer, beide sind dem sportlichen Erfolg der Ersten Herren verpflichtet und verkaufen dafür jederzeit das Tafelsilber. Die Mitglieder haben keinerlei Einfluss auf die grundlegende Ausrichtung ihres Klubs. Allzu lange werden die Unzufriedenen ohnehin nicht böse sein, denn nach den irren Windhorst-Jahren sehnen sich viele geradezu nach einem seriösen Retter. „Die Entscheidung war alternativlos“, so lautet das Mantra der Klubführung; „die Entscheidung war alternativlos“, so lautet unisono das Urteil von Medien und Experten.

Nach jahrelanger Misswirtschaft, die ihresgleichen sucht, stehen im laufenden Geschäftsjahr wohl wieder 64 Millionen Euro Verlust für Hertha zu Buche, sind Hunderte Millionen Euro verbrannt und Verbindlichkeiten von 90 Millionen Euro bis Jahresende zu bedienen. Die 100 Millionen, die „Triple Seven“ nun zuschießt, sind also nur eine Art Lebenserhaltungsmaßnahme im langsamen Niedergang des abstiegsbedrohten Klubs.

Ein endgültiger Absturz bleibt weiter realistisch. Mantras von Alternativlosigkeit jedoch stimmen nicht erst seit Angela Merkel skeptisch. Denn Alternativen gibt es, nur sind sie dem aktuellen Fußball unvorstellbar. Laut DFL-Wirtschaftsbericht 2022 stehen in der Männer-Bundesliga den Einnahmen der Klubs von 3,47 Milliarden Euro atemberaubende Ausgaben von 3,7 Milliarden Euro gegenüber, der Löwenanteil davon für das sogenannte „Personal Spielbetrieb“ (1,5 Milliarden) und Transfers (gut 800 Millionen).

Männerfußball an der Spitze ist ein Verlustgeschäft. Vor der Pandemie erwirtschafteten die Klubs zwar mehrheitlich ein Plus, aber auch da verschlingen die horrenden Personalkosten, die auch Hertha plagen, fast alle Einnahmen. Es braucht endlich eine Deckelung der Gelder, statt das eigentlich unrentable System durch Private-Equity-Konzerne am Laufen zu halten. Das will nur niemand. Und schließlich demonstriert Stadtrivale Union, dass es sich entgegen Herthas altem Spruch – Investoren seien alternativlos, weil es in Berlin zu wenig starke Unternehmen gebe – mit halbwegs seriösem Wirtschaften doch recht viel machen lässt.

Diesen selbstbestimmten Weg allerdings hat sich Hertha verbaut, denn wer einmal so enorme Anteile verkauft hat, muss, sofern er sie nicht zurückkaufen kann, eben immer an den nächsten verscherbeln.

Ausverkauf im Trend

In einer Ironie des Schicksals wird die gestürzte Hertha vielleicht doch noch Vorreiterin, zumindest im Trend des Ausverkaufs. 777-Vorstandschef Josh Wander hat bei der Präsentation gesagt, 2023 habe man in Europa verstanden, dass Fußballklubs „nicht wie Vereine, sondern wie ein Business geführt“ werden müssten. Übersetzt: Rendite für Private Equity statt Sehnsucht nach Pokalen. Mehr Geld für Investoren, weniger für Spieler und Berater. Und im Zweifel sind Bilanzen wichtiger als Platzierungen. Das Vorbild US-Franchise.

Für die Ethik dieses Business bedeutet das freilich bloß: Es profitieren noch reichere Reiche statt der bisherigen Reichen. Solange Fans sich am Ende vorwiegend dafür interessieren, ob ihr Klub absteigt oder nicht, wird sich an dieser Dynamik nichts ändern. Die wirkliche Tragödie am Sturz von Hertha BSC ist nicht ein möglicher Abstieg. Der wäre nach der drastischen Inkompetenz der Vergangenheit längst überfällig. Sondern die Tatsache, dass Fans und Be­ob­ach­te­r:in­nen so bereitwillig an Alternativlosigkeit glauben.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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