Investigativkonferenz in London: Gegenmacht jetzt!
In London diskutieren an diesem Wochenende Hacker und Journalisten über die Zukunft der Aufklärung. Was sind die guten und klugen Erzählungen?
LONDON taz | Hat er oder hat er nicht? Es war nur ein kurzer Satz, aber er gab Anlass zu wilden Spekulationen als Laura Poitras, die Filmemacherin und Snowden-Vertraute in der vergangenen Woche darüber sprach: „Bislang wurde nicht darüber berichtet“, sagte sie dem Online Magazin The Daily Beast, „aber der Guardian hat in Hongkong einiges Material zerstört. In einem Moment sind sie nervös geworden und haben Quellenmaterial vernichtet.“
Der Guardian? In Hongkong? Material von Edward Snowden vernichtet, kurz nachdem dieser das hoch brisante Material überhaupt erst herausgerückt hatte? Das wäre ein Fall für die Geschichtsbücher, so wie ja ohnehin die Chroniken der globalen Überwachung seit jenem Juni 2013 nahezu täglich erweitert werden müssen. Gerade erst berichtete das Onlinemagazin The Intercept, hinter dem der Journalist und Snowden-Vertraute Glenn Greenwald steht, dass die NSA direkten Zugriff auf Mobilfunknetze weltweit hat. Was also meinte Laura Poitras genau?
Im halbdunklen Auditorium, hier im Londoner Barbican Centre, flimmert mit gelblichem Stich nun ihr Bild von der Großleinwand. Auf einer Konferenz, dem Logan Symposium 2014, treffen sich seit Freitag prominente Hacker und Journalisten, um über die Zukunft der Aufklärung zu beraten. Sie reden über die Pressefreiheit, über den Schutz von Whistleblowern und darüber, was angesagt ist, um die staatliche und private Überwachungsindustrie zu bekämpfen.
Laura Poitas ist jetzt zugeschaltet. Sie selbst, sagt sie, kann nicht in London sein, weil ihre Anwälte ihr abgeraten haben. Aufgrund der geltenden Terrorgesetze in Großbritannien sei es für die Journalistin nicht sicher, einzureisen. Andere Aktivisten werden das später auch sagen: Der Krypto-Experte Jacob Appelbaum, die Juristin Sarah Harrison, die wochenlang mit Snowden in der Transitzone eines russischen Flughafens ausharrte. Das ist, Europa 2014, ein gut dokumentiertes Stück Pressefreiheit: Eine Journalistin, die nicht frei reisen kann. Guten Tag, Leinwand.
Sind Daten abhanden gekommen?
„Laura, was hat der Guardian in Hongkong getan?“ Sie druckst jetzt ein bisschen, dann antwortet sie. Sie redet von der Nervosität der Kollegen als sie dank Snowden plötzlich feststellten, dass ihr Heimatgeheimdienst, der britischen GCHQ in seiner aggressiven Überwachungspolitik die Trendsetter aus den USA, die NSA, wahrlich noch zu übertreffen schienen. Dann seien Leute vom Guardian ausgeflippt, dann hätten sie etwas Material zerstört.
Was genau das heißt, sagt Laura Poitras noch immer nicht: Wurden Daten gelöscht, wurde Hardware zertrümmert, wurden Papiere geschreddert? Vor allem aber: Welche Daten? „Am Ende sind“, sagt Laura Poitras, „keine Daten abhanden gekommen.“
Es gibt also, zusammengefasst, keinen historischen Aufreger. Für die Geschichtsbücher sind solche Vorgänge aber dennoch interessant. Denn dass die wahren Enthüller der Snowden-Dokumente, Poitras und Greenwald, ein angespanntes Verhältnis zum Guardian haben, ist seit langem bekannt. Als die beiden 2013 erstmals zu ihrem Informanten nach London flogen stellte der Guardian, bei dem Greenwald später zeitweise publizierte, ihnen einen Aufpasser zur Seite. Inzwischen hat Greenwald sich abgewendet, publiziert nun mit seinem Intercept-Projekt selbständig. Und der Guardian, das britische Vorzeigeblatt?
Journalisten aus ganz Europa blickten mit Respekt nach London, als die Zeitung unter Greenwalds Einfluss 2013 aggressiv die Geheimdienstdokumente publizierte. Doch in der engeren Whistleblower-Szene rund um Poitras, Greenwald und Co hat sich die Distanz nur verstärkt. Als seinerzeit die britische Regierung anrückte, um die Journalisten beim Guardian dazu zu zwingen, im eigenen Keller unter staatlicher Aufsicht ihr Quellenmaterial zu vernichten, habe der Guardian seine Kooperationspartner nicht hinreichend gewarnt, heißt es. Wenn das stimmt, ist es ein Kapitalvergehen. Kritiker werfen der Zeitung vor, viel zu freundlich zu berichten, seit Greenwald nicht mehr zuliefert.
Gegenerzählungen finden
Und genau darum geht es ja hier, an diesem Wochenende in London. Was ist also die Verpflichtung aufrichtiger Journalisten im Überwachungszeitalter? Vom Guardian selbst, so fällt auf, sitzt zumindest niemand auf den Podiem, die das britische Centre for Investgative Journalism unter Einbeziehung von Leuten aus dem Berliner Chaos Computer Club und der ebenfalls in Berlin ansässigen Wau-Holland-Stiftung konzipiert hat, die ein wesentlicher – auch finanzieller – Unterstützer von Wikileaks und Julian Assange ist.
Seymour Hersh, hier nennen sie ihn „Sy“, ist nun wirklich einer der Großen. Der legendäre US-amerikanische Investigativjournalist sitzt da vorne in seinem dunkelgrauen Anzug und seine ganze Körperhaltung markiert einen Gegensatz: Sein Oberkörper ist etwas zusammengesunken, die Knie schlackern lässig hin und her. Und dann spricht er in dieser Scharfsinnigkeit, die sein Eigenstellungsmerkmal markiert. Er sagt dies und das, dann meint er: „Es geht immer nur um die Gegenerzählung.“ Er, Sy, habe schon viele Erzählungen gehört – denken wir nur an den Irak-Krieg, an all die Lügenmärchen von Massenvernichtungswaffen und anderem. „Guter Journalismus“, sagt Hersh, „muss die Gegenerzählungen finden.“
Aber so einfach ist das ja nicht: Was sind denn, in Zeiten globaler Überwachung, die richtigen, die klugen Gegenerzählungen? Müssen es anarchistische Selbstermächtigungen sein oder reformistische Staatskritiken? Geht es vor allem um digitale Selbstverteidigung – oder um offensive Angiffstrategien? Und wenn ja: Um welche?
Darum geht es hier in London, natürlich, immer irgendwie auch. Und weil noch viele Antworten offen sind, dürfen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, natürlich mit diskutieren: Via Twitter unter dem Hashtag #LoganCIJ14, im Kommentarbereich unter diesem Text und, wenn es Ihnen nichts ausmacht, mit ihren Kumpels zu Hause. Viel Spaß.
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