Invasive Arten: Wie der Feuerfisch das Mittelmeer verändert
Er frisst so ziemlich alles, was ihm vor die Kiemen kommt. Das macht den stacheligen Eindringling zum Problem für das Mittelmeer.

Ursprünglich ist der Feuerfisch im Indopazifik und dem Roten Meer heimisch, doch auch im östlichen Mittelmeer taucht er mittlerweile auf. Erstmals gesichtet wurde er vor etwa zehn Jahren, nachdem er durch den Suezkanal eingewandert war. Weil die heimischen Arten ihn nicht kennen und er selbst keine Fressfeinde hat, hat er leichtes Spiel. Das könnte große Auswirkungen auf die Ökosysteme im Mittelmeer haben. Das legt seine Ausbreitung an der amerikanischen Ostküste nahe, wo der Feuerfisch durch sein Jagdverhalten heimische Arten bereits drastisch verringerte. Wegen dieser negativen Auswirkungen wird er nicht nur als eingeschleppte, sondern als invasive Art bezeichnet.
Die „Erfolgsstory“ des Feuerfischs ist kein Einzelfall. Die Wissenschaft kennt etwa 500 Pflanzen- und Tierarten, die es durch den Suezkanal ins Mittelmeer geschafft haben. Sie hat sogar einen eigenen Begriff dafür: Lessepssche Migration. Der Begriff geht auf den Diplomaten Ferdinand von Lesseps zurück, den Kopf hinter dem Kanal.
Die Erbauer schufen 1869 mit ihrem kolonialistischen Projekt nicht nur eine kürzere Handelsverbindung nach Asien, sondern öffneten auch Tür und Tor für neue Arten. Manchmal schwimmen diese selbst durch den 165 Kilometer langen Kanal, oft fahren sie als blinde Passagiere im Ballastwasser von Containerschiffen mit.
Rekordtemperaturen im Mittelmeer
Neben dem Suezkanal profitieren die tropischen Arten vom Klimawandel. Springt man Ende September im französischen Nationalpark Port-Cros ins Mittelmeer, bekommt man zwar keine Hitzewallungen. Auch die selbst gemessene Wassertemperatur von etwa 22 Grad ist für die Jahreszeit nicht ungewöhnlich.
Trotzdem wurden im August vergangenen Jahres Rekordtemperaturen im Mittelmeer gemessen, auch im Port-Cros Nationalpark waren sie vergleichsweise hoch. „In den letzten 20 Jahren hat sich die Oberflächentemperatur hier um einen Grad erhöht“, sagt Alain Barcelo.
Er ist wissenschaftlicher Leiter im Nationalpark und schaut besorgt auf die steigenden Temperaturen und die Ausbreitung invasiver Arten. Im Nationalpark könne zum Beispiel die aus dem Atlantik stammende Blaukrabbe zum Problem werden. Sie sei bereits an der nahegelegenen Halbinsel Giens gesichtet worden. „Wir gehen davon aus, dass sie hohe Schäden verursachen wird“, sagt Alain Barcelo. Denn die Krabbe findet durch die steigenden Temperaturen neue Lebensräume, ist sehr aggressiv und hat keine Fressfeinde. Zudem plündert und zerstört sie Netze und Reusen von Fischern und Muschelfarmern.
Konkurrieren eingeschleppte Arten also mit den heimischen, verdrängen sie und gefährden die einzigartige Biodiversität im Mittelmeer? Ganz so eindeutig, wie es die Geschichten von Feuerfisch und Blaukrabbe nahelegen, ist die Sache nicht. Klar ist, dass der erste Sachstandsbericht zu Klima- und Umweltveränderungen im Mittelmeer auf ernste Entwicklungen hinweist.

Heimische Arten mit Problemen
Laut dem Bericht der Mittelmeer-Expert:innen (MedECC) von 2020 wird das Meer wärmer und wärmeliebende Arten breiten sich insgesamt aus. Dies sind nicht nur eingeschleppte, sondern auch im Mittelmeer heimische tropische Arten. Gleichzeitig haben viele heimische Arten Probleme. Eine Verschiebung von Lebensräumen und Auswirkungen auf die Biodiversität sind tatsächlich zu beobachten.
Diese Entwicklung liegt jedoch nicht nur an den eingeschleppten Arten, sondern auch daran, dass heimische Arten häufig schlecht auf die höheren Temperaturen reagieren. Darauf weist Gil Rilov hin, leitender Wissenschaftler am Israel Oceanographic and Limnological Research Institute und Professor an der Universität Haifa: „Wir haben viele heimische Arten verloren, aber wir wissen nicht genau, warum. Es könnte die Konkurrenz mit eingeschleppten Arten sein, aber auch, dass es für sie im Sommer zu warm wird.“ Auf die Temperatur als maßgebliche Ursache deuten zum Beispiel Erkenntnisse zu Seeigeln, Muscheln und Schnecken im östlichen Mittelmeer hin, wo der Artenschwund besonders groß ist.
Die direkte Konkurrenz mit eingeschleppten Arten ist also womöglich weniger entscheidend als die unterschiedliche Reaktion auf die neuen Temperaturen. Denn eingeschleppte Arten besetzen häufig ökologische Nischen. Nicht alle Arten sind so invasiv wie Feuerfisch und Blaukrabbe. Hinzu kommt, dass Langzeitbeobachtungen meist fehlen und die Auswirkungen vieler Arten kaum erforscht sind.
Auswirkungen nicht zu unterschätzen
Weil sich bereits eingeschleppte Arten zudem nicht mehr ganz herausfischen lassen, plädieren einige ForscherInnen für einen pragmatischen Umgang. Sie argumentieren, dass die Ausbreitung invasiver Arten verhindert werden müsse. Seien sie jedoch einmal etabliert, solle der Fokus auf die gesamte Biodiversität und funktionierende Ökosysteme gelegt werden anstatt auf heimische gegen eingeschleppte Arten. Auch Gil Rilov teilt diese Perspektive: „In Gebieten, die sich schnell erwärmen und in denen wir viele einheimische Arten verlieren, kompensieren die neuen Arten vielleicht teilweise den Verlust der Vielfalt und ihrer Funktionen. Ohne sie hätten wir nichts.“
Trotzdem sind die Auswirkungen einzelner Arten nicht zu unterschätzen. Das zeigen die Beispiele Feuerfisch und Blaukrabbe. Deshalb raten Wissenschaft und Behörden, so viele Tiere wie möglich zu fangen.
In der Karibik wird der Feuerfisch bereits verzehrt, in den USA gilt die Blaukrabbe als teure Delikatesse. Indem versucht wird, die Tiere als Lebensmittel zu etablieren, könnten die betroffenen Fischer neue Einnahmequellen finden und die Ausbreitung der invasiven Arten gleichzeitig verringern.
Die Recherche für diesen Text wurde von der Okeanos Stiftung für das Meer unterstützt.
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