Interview mit Linkspartei-Bildungspolitiker: "Es geht um mehr soziale Gerechtigkeit"
Die Sozialquote für Gymnasien soll der Benachteiligung armer Kinder entgegenwirken, sagt Steffen Zillich (Linke)
taz: Herr Zillich, die rot-rote Koalition baut gerade das ganze Schulsystem um - diskutiert wird dabei vor allem die sogenannte Sozialquote für Gymnasien. Die hat Ihre Partei vorgeschlagen - was haben Sie sich denn da ausgedacht?
Steffen Zillich: Ganz einfach: Es kann bei einer so fundamentalen Umstellung im Schulsystem nicht darum gehen, einfach nur alle Schularten jenseits des Gymnasiums inklusive all ihrer Probleme in einer größeren Schulform zusammenzufassen. Es geht bei der Schulreform doch gerade darum, mehr soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Die soziale Ausdifferenzierung ist eines der größten Probleme unseres derzeitigen Schulsystems. Deshalb brauchen wir ein Instrument, das dem entgegenwirkt.
Warum?
Weil es gut für Kinder ist, wenn sie in einer Atmosphäre sozialer Durchmischung aufwachsen, die der unserer Gesellschaft entspricht. Die soziale Segregation ist doch etwas, das kein Praktiker mehr hinnehmen will.
Unsere Gesellschaft ist doch längst sozial gespalten - etwa in den Wohngebieten.
Wir haben eine sehr durchmischte Gesellschaft in dieser Stadt. Dass die örtlich stark ausdifferenziert ist, ist ja gerade Teil des Problems, auf das wir mit der Sozialquote reagieren wollen.
Wie soll das praktisch aussehen?
Unsere Idee ist es, für Schulen ein Anreizsystem zu schaffen, das es für sie attraktiv macht, Kinder aus sozial schwachen Familien aufzunehmen. Praktisch könnte das etwa so aussehen: Beim Zugang zum Gymnasium bleiben wir beim Grundsatz des Elternwahlrechts. Das heißt: Weiterhin können die Eltern - im besten Fall gemeinsam mit den Kindern - entscheiden, welche Schule das Kind besuchen soll. Gleichzeitig geben wir allen Schulen die Möglichkeit, die Auswahlkriterien, die sie anwenden wollen, wenn sie mehr Anmeldungen als Plätze haben, selbst zu bestimmen. Dafür müssen sie aber eine Bedingung erfüllen: nämlich eine soziale Mischung der Schülerschaft gewährleisten. Also nachweisen, dass sie eine bestimmte Anzahl von Kindern aus sozial benachteiligten Familien aufnehmen. Kein Gymnasium wird also gezwungen, die Quote zu akzeptieren - dann wird es seine Schüler aber auch nicht selbst auswählen dürfen.
Sondern?
Sondern nach den bisher geltenden Zugangsbestimmungen.
Und für die anderen gälten die berühmten 30 Prozent?
Darüber muss man reden. Die 30 Prozent entsprechen dem Anteil von Kindern aus unterstützungsbedürftigen Familien an der Gesamtbevölkerung in Berlin.
Kiezabhängig ist diese Zahl an manchen Gymnasien längst überschritten, an anderen nur zu erreichen, wenn Kinder von weit her die Schule besuchen. Wie wollen Sie das organisieren?
Wir haben ja jetzt schon die Lage, dass Kinder durch die halbe Stadt fahren, um bestimmte Schulen zu besuchen. Der Wohnort eines Kindes darf nicht zu zusätzlicher Benachteiligung führen.
In der Debatte, die Sie angestoßen haben, findet Ihr Vorschlag nicht viel Zuspruch.
Ich finde die Debatte gut, weil sie an ein Kernproblem unseres Bildungssystems anknüpft: nämlich den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Leistung. Dass uns jetzt unterstellt wird, soziale Herkunft über Leistung zu stellen, ist allerdings eine Umkehrung der Tatsachen: Es ist ja gerade das Problem unseres derzeitigen Schulsystems, dass sozialer Hintergrund mehr als Leistung zählt. Genau das zeigen internationale Vergleichsstudien uns ja immer wieder: wie abhängig in diesem Land Zukunftschancen von Kindern von ihrer Herkunft sind. Leistungsbewertungen, Schulnoten sind nicht herkunftsblind. Kinder aus sozial schwierigen Hintergründen werden bei gleicher Leistung schlechter bewertet als andere. Dem wollen wir entgegenwirken. Das ist der Sinn unserer Schulreform. INTERVIEW: ALKE WIERTH
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