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Interview mit Landesbischof„Residenzpflicht aufheben“

Markus Dröge, der Landesbischof Berlin-Brandenburgs, über seinen Besuch im Flüchtlingslager Eisenhüttenstadt und mögliche Antworten auf die Vorfälle in Hellersdorf.

Der evangelische Landesbischof Markus Dröge (Archivbild). Bild: reuters
Interview von Marina Mai

taz: Herr Dröge, Sie haben letzte Woche das umstrittene Flüchtlingslager in Eisenhüttenstadt besucht. Haben Sie das als einen Ort erlebt, an dem man sich als Flüchtling wohlfühlen kann?

Markus Dröge: Nein. Aber ich habe die Erstaufnahmeeinrichtung als einen Ort erlebt, an dem man erst einmal ankommt und ohne Gefahr leben kann. Um sich dort wohlfühlen zu können, muss noch viel getan werden. Vor allem, was die bauliche Seite betrifft. Die Einrichtung hat aber seit wenigen Wochen einen neuen Leiter. Ich habe den Eindruck, er will viel bewegen.

Zum Beispiel?

Erstmals seit Bestehen der Einrichtung bekommen die Kinder dort Deutschunterricht. Erstmals wird auch mit einem Psychologen gearbeitet. Der neue Leiter ist zudem sehr aufgeschlossen, Kontakte zwischen Flüchtlingen und Eisenhüttenstädtern anzubahnen, die es bisher zu wenig gab.

Der Flüchtlingsrat kritisiert die mangelnde gesundheitliche und soziale Betreuung der Bewohner. Was ist Ihre Position?

Ich habe vor Ort deutlich gemacht, dass ich es für konzeptionell schwierig halte, dass der Wachschutz und die gesundheitliche und soziale Betreuung in der Hand derselben Firma liegen. Das gehört in zwei Hände. Mitarbeiter, die Flüchtlinge gesundheitlich und sozial betreuen, sollen zudem Fremdsprachen sprechen und regelmäßig fortgebildet werden. Schließlich muss mehr getan werden, um schutzbedürftige Flüchtlinge überhaupt zu erkennen. Derzeit läuft da ein Pilotprojekt. Das muss mindestens verstetigt werden.

Im Interview: Markus Dröge

58, ist seit 2009 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Der promovierte Theologe wuchs u. a. in Washington und Paris auf. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Anwälte, Flüchtlingsrat und Grüne kritisieren, dass die Bundespolizei und Gerichte in Eisenhüttenstadt zu oft und unangemessen Abschiebehaft verhängen.

Ich habe auch deutlich gemacht, dass über Alternativen zur Abschiebehaft nachgedacht werden muss. Die Abschiebehafteinrichtung sollte auch einen Vollzugsbeirat haben wie in Berlin, mit Vertretern der Ärztekammer und anderen relevanten Gruppen.

In den 1990er Jahren gab es in Brandenburg Proteste gegen Asylbewerber als Nachbarn. In Berlin wurden hingegen selbstverständlich Flüchtlinge aufgenommen. Heute ist es umgekehrt: In Brandenburg werden Willkommensfeste gefeiert, in Berlin besteht Pogromstimmung. Was macht Brandenburg besser?

Auch Berlin feiert Willkommensfeste. Der Kirchenkreis Reinickendorf wird am 14. September so ein Fest feiern. Berlin ist nicht ablehnend gegen Flüchtlinge. Die Konflikte werden durch die NPD von außen hereingetragen. Der Superintendent für Hellersdorf hat mir gerade heute bestätigt, dass die Bevölkerung dort keine Angst vor Flüchtlingen hat. Sie hat vielmehr Angst vor einem Rechts-links-Konflikt vor ihrer Haustür.

Da möchte ich Ihnen widersprechen. Man kann nur etwas von außen hereintragen, wenn es auf fruchtbaren Boden fällt. Beim Recherchieren in Hellersdorf und Reinickendorf begegnen mir immer wieder grundlegende Ressentiments einfacher Bürger gegen Flüchtlinge in der Nachbarschaft. Sie fürchten Kriminalität und wollen nicht, dass ihre Kinder mit Flüchtlingskindern zur Schule gehen.

Diese Befürchtungen müssen wir entkräften. Wir müssen deutlich machen, dass nach Polizeierkenntnissen kein Flüchtlingsheim ein Schwerpunkt der Kriminalität ist. In den Gesprächen mit der Bevölkerung haben wir Nachholbedarf. Die Flüchtlingszahlen sind schnell gestiegen, die Kapazitäten für die Unterbringung mussten schnell hochgefahren werden, und es blieb nicht immer Zeit für diese Gespräche. Flüchtlinge müssen die Chance haben, ihre eigene Geschichte zu erzählen.

Was wäre Ihrer Meinung nach eine angemessene politische Debatte als Antwort auf die Pogromstimmung in Hellersdorf?

Das Arbeitsverbot für Asylbewerber sollte überdacht werden. Dadurch sind viele Menschen gegen ihren Willen zur Untätigkeit verdammt. Auch die Residenzpflicht gehört aufgehoben. Mobilität von Asylsuchenden hilft ihrer Integration. Ich wünsche zudem, dass Deutschland mehr als die 5.000 Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt, die die Bundesregierung zugesagt hat. Eine politische Debatte sollte aber auch deutlich machen, dass unsere Gesellschaft Flüchtlinge nicht nur aufnimmt, sondern auch angemessen betreut.

In den 1980er Jahren haben 50 Berliner Kirchengemeinden Kirchenasyl angeboten, heute etwa 10. Was läuft falsch?

Nichts. Das Kirchenasyl ist eine Lösung für Spezialfälle. Es geht um Menschen, die Zeit brauchen für die juristische Klärung ihres Aufenthaltsrechts. Solche Spezialfälle hatten wir in den letzten Jahren weniger. Da haben sich Kirchengemeinden anderen sozialen Themen gewidmet: Obdachlosigkeit, Armut, ökologische Probleme. Ich habe aber einen Brief an alle Kirchengemeinden geschrieben, dass Kirchenasyl ein Thema ist, dem sie sich wieder stärker stellen müssen. Ich bin optimistisch, dass es gelingt, das Bewusstsein der Gemeinden wieder zu schärfen.

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1 Kommentar

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  • D
    D.J.

    Der Sinn von Residenzpflicht ist heute nicht mehr erkennbar (ursprünglich war die Begründung die Gefahr von Mehrfachanträgen). Sie sollte abgeschafft werden.

    Arbeitsrecht für Asylbewerber vom ersten Tag an wäre natürlich verantwortungslos, da wir es dann mit einem ungeregelten riesigen Zustrom von Saison-Arbeitsmigrantenn zu tun hätten (die Bearbeitung auch offentlich unberechtiger Anträge dauert meist ja auch mehrere Monate).