Interview mit Comiczeichner Ralf König: „Erotisiert bleiben“
Der Schöpfer von „Der bewegte Mann“ ist gerade 60 geworden. Ein Gespräch über Schwule, Knollennasen und (nicht nur religiöse) Eiferer.
taz am wochenende: Ralf König, Sie sind 60 Jahre alt geworden. Hatten Sie mit Anfang 20, als sehr junger Erwachsener, gedacht oder gar geplant, eine künstlerische Berühmtheit zu werden?
Ralf König: Ich war sechs oder sieben und hatte einen etwas älteren Cousin, der den Donald Duck gut draufhatte. Das machte mich neidisch, ich hab tagelang diesen verdammten Schnabel geübt. Damit ging’s wohl los. Zudem hab ich meine Freunde immer hinterm Kasperletheater so weit gebracht, dass sie sich vor Lachen auf dem Teppich rollten, das mit dem Pointendreschen ging also auch zu der Zeit los. Und ja, ich wollte schon früh bekannt werden und vom Comiczeichnen leben. Ich war ja nach der Schule zuerst Schreiner und damit gar nicht glücklich.
Was ist ein Künstler?
Wenn er oder sie ein Stück weit die Hosen runterlässt, sinnbildlich gesprochen. Ich will, dass Kunst mich anstößt, gern auch verstört, auf ungewöhnliche Gedanken und Zusammenhänge bringt. Klar gibt es Kunst und vor allem Comics, die nur harmlos unterhalten wollen, aber mich inspiriert eher das Provozierende, nicht allzu Gefällige.
ist am 8. August 1960 in Soest zur Welt gekommen und in Werl-Westönnen aufgewachsen. Er ist gelernter Tischler und hat sich an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf zum Zeichner ausbilden lassen. Heute lebt er in Köln. Seine ersten Comics erschienen 1981, auch „SchwulComix“ genannt. Spätestens mit der Verfilmung seines Comics „Der bewegte Mann“ (1994) wurde er über die schwule Szene hinaus bekannt.
Ein Junge aus der Provinz waren Sie, geboren im westfälischen Soest. Welche Vorbilder hatten Sie, wen verehren Sie noch heute unter Ihren Kolleginnen und Kollegen?
Robert Crumb, die alte Socke …
… ein berühmter amerikanischer Zeichner aus den sechziger Jahren.
… der folgte in seinen Undergroundcomix immer seinen sexuellen Obsessionen, bezeichnenderweise wird er ja heute dafür angefeindet. Und die kürzlich verstorbene Claire Bretécher, ihre „Frustrierten“ haben mich damals sehr beeindruckt. Was für geniale Zeichnungen! Aber auch Charles M. Schulz mit seinen „Peanuts“, da hab ich schon als Kind unbewusst viel gelernt übers Timing von gezeichneten Geschichten. Heute steh ich auf Nicolas Mahler und Fil. Und vermisse Walter Moers, der schreibt ja nur noch Fantasy-Romane. Ich würde gern wissen, was das „Kleine Arschloch“ heute so treibt.
War „Der bewegte Mann“, zumal dessen Verfilmung, der Marker, der über das schwule Spektrum hinaus Fame brachte?
Ja, klar. Das Buch wird heute als erste deutsche Graphic Novel gehandelt, weil es sich nicht um Form und übliche Seitenzahlen scherte. Dabei hab ich mir damals nichts gedacht: Billiger Filzstift und los! Mit der Verfilmung später ging’s natürlich nochmal richtig rund, obwohl ich damit wenig zu tun hatte. Die Popularität mit dem Film war für mich ein paar Tage irritierend.
Ruhm ist Ruhm!
Vorher war ich so’n Szene-Insider-Typ, und plötzlich hatte auch ich jede Menge Heteros, die mein Zeug lasen. Ich wollte Schwule ja keinesfalls zur Belustigung vorführen! Aber letztlich entschied ich mich fürs Ehrlichbleiben. Soll’s lesen, wer will.
Woher rühren die Charakteristika Ihrer Figuren?
Ich gebe wieder, was ich mir so denke, was ich erlebe oder bei anderen sehe. Das ist schon meistens nah an mir dran, von wegen Hosen runterlassen.
Wann hatten Sie für Ihr legendäres Männerpaar Konrad & Paul den entscheidenden Zeichenstrich raus?
Wenn man Figuren wie sie über Jahrzehnte zeichnet, findet eine kleine Evolution statt. Die Nasen ändern sich allmählich, werden länger, kleiner, runder. Am liebsten würde ich die alten Sachen alle neu zeichnen, weil ich denke, heute bin ich besser.
Wer sind die beiden – Konrad & Paul?
Konrad ist der gutbürgerliche, kultivierte Klavierlehrer, Paul die kleine geile Ledersau. Ich bin weder auf Leder noch auf Klavier, aber das sind schon zwei widersprüchliche Seiten in mir, die ich mit beiden aus mir heraus zeige, da fallen die Dialoge leicht. Wenn Paul dies sagt, entgegnet Konrad das, darauf sagt Paul wieder jenes, und Konrad bringt einen genervten Abschlussspruch. Ich höre den beiden fast nur zu.
Sind beide immer gern schwul gewesen? Und Sie selbst?
Konrad war in jungen Jahren mal hetero, das war ich nie. Aber sonst betrachte ich mein Schwulsein als großen Lottogewinn des Lebens. Es war ein Tabuthema in den Achtzigern und Neunzigern, darum ging das mit den Comics sofort gut ab. Aber auch sonst … Mein Penis und ich hatten immer viel Spaß miteinander, gern auch mit anderen Penissen.
Wie finden Ihre Eltern Ihre Arbeit, sind sie stolz auf ihren Sohn?
Meine Eltern sind über 90, die haben andere Sorgen, als stolz zu sein, aber ja, als das losging mit der Karriere, waren sie beeindruckt. Zuerst nicht so, wegen schwul, wir waren ja auf dem katholischen Dorf in Westfalen. Wobei meine gesamte Familie nie wirklich Comics gelesen hat, die fanden eher Zugang durch die Kinofilme oder das „Kondom des Grauens“-Puppentheater damals.
Wie war es, als Junge in der Provinz aufzuwachsen – womöglich früh zu wissen, nicht Mädchen, sondern anderen Jungs hinterherzugucken?
Bei aller Heimlichkeit war das sehr spannend. Mit 11 entdeckte ich die Pornos im Nachtschrank meines Vaters, da war die Pubertät geritzt. Mit den Pornos war ich der King. Das Elternhaus stand abseits des Dorfes, und da floss ein kleiner Bach, da wurden von einer Sauerkrautfabrik die Abwässer eingelassen. Das roch dann oft säuerlich, aber wir Jungs haben uns da hinter den Büschen getroffen und auf die Pornos gewichst. Ich müsste einen Sauerkrautfetisch haben! Klar, später dann unglücklich in den Jungen verliebt, der an der Schulmauer das Mädchen abknutscht, aber Heimlichkeit hat ja auch ihren kreativen Reiz. Umso erlösender später die Befreiung, mit 18, 19.
Hat sich für schwule Männer seither viel zum Besseren, Möglicheren verändert?
Sicherlich. Allein durch all die Information und Aufklärung heutzutage. Ich las damals unter der Bettdecke Rosa von Praunheims „Sex und Karriere“, das Buch hatte ich zufällig am Bahnhofskiosk entdeckt. Da ging’s dann gleich um Tunten und Lederfetischszene mit Pissbadewannen in New York, aber ich erfuhr, da ist eine Welt da draußen, da will ich hin!
Empfinden Sie weniger Homophobie heutzutage als früher?
Puh. Ich selbst erlebe keine Homophobie, das mag daran liegen, dass ich seit Jahrzehnten der schwule Comiczeichner bin und mitten in Köln lebe, ich habe mein Umfeld, und zu meinen Lesungen kommen nur die Leute, die meine Comics geil finden. In den Neunzigern war es noch ein politisches Statement, Arm in Arm mit meinem Freund durch die Dortmunder Fußgängerzone zu laufen, das hatte nichts Entspanntes. Ich weiß nicht, ob es heute für Jugendliche einfacher ist mit dem Coming-out, womöglich nicht. Mich machen vor allem die Zustände in anderen Ländern betroffen, Polen, Russland, auch dieser lustfeindliche religiöse Wahn, egal, welcher Gott was gegen Sex hat. Wie viel Angst da überall sein muss und Leid, furchtbar!
Sind Sie glücklich mit den Figuren, die Sie zeichnen?
Glücklich? Die Figuren machen Spaß, Buchabgabetermine und Schreibkrisen weniger. Aber die Nasen sind auch ein Ventil, Frust abzulassen und mich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Beziehungsstress, Liebeskummer, schlechter Sex, geiler Sex, Angst vor Krankheiten und Altwerden, das kriegen alles meine Nasen ab. Da bin ich froh, dass ich mit dem Scheiß nicht allein bin.
Was war Corona für Sie – die Fülle Ihrer Zeichnungen auf Facebook deutet auf eine erhebliche Erfrischung für Sie hin?
Ja, der Lockdown war ein erfreulicher kreativer Arschtritt. Ich wäre sonst nie auf den Gedanken gekommen, jeden Morgen einen Konrad-&-Paul-Strip auf Facebook und Instagram zu posten. Mit Umsonstbespaßung war ich sonst immer zurückhaltend, ich lebe nun mal vom Buchverkauf und hoffe, die vielen Tausend Leute sind fair und kaufen die gesammelten Strips später auch als Buch.
Sind Sie queer?
Nein, ich bin schwul. Den Ausdruck haben wir damals aus der Schmuddelecke geholt. Queer ist für mich ein Oberbegriff für alles, was nicht den heterosexuellen Üblichkeiten entspricht.
Empfanden Sie die „Ehe für alle“ als einen Markstein schwuler und lesbischer Bürger(recht)lichkeit?
Der Konrad in mir sieht das so, ja. Mich hat das Thema „Homo-Ehe“ damals zu rot-grünen Zeiten gar nicht interessiert, da musste erst mein Rowohlt-Verlag kommen und mich aufmerksam machen, ob das nicht ein Thema für mich sei. Daraus wurde „Sie dürfen sich jetzt küssen“, ein gutes Buch, hat Spaß gemacht. Aber grundsätzlich sagt der Paul in mir, Beziehungen ändern sich und es könnte unklug sein, staatlichen Zement draufzugießen.
Ralf König – ein Vater für junge Schwule?
Wohl eher der Opa! Weiß nicht, ob junge Schwule meine Comics lesen, wohl eher nicht. Und zum geilen Daddy eigne ich mich nicht, ich bin weder stämmig noch behaart. Leider.
Sie sind von queeren Kreisen angefeindet worden, ja, man beschmierte Ihr Wandbild im Zentrum des Regenbogenlebens in Brüssel. Was war da los?
AktivistInnen meinten, die schwarze Lesbe auf einem Gruppenbild von mir in Brüssel habe zu rote Lippen, und die Trümmertunte sei eine Transfrau, die traurig guckt, weil sie behaart ist und dick. Also besprühten sie eines Nachts das Bild mit den Worten „transphob“ und „rassistisch“. Mein Kommentar war, dass die jung sind, nie ein Buch von mir gelesen und sich vorm Sprühen nicht interessiert haben, wer ich bin und wofür ich mit den Comics seit 40 Jahren stehe. Wenn sich jemand ernsthaft beleidigt fühlt, sollen sie das Bild wegmachen, es ist ja ihre Wand, dachte ich! Aber mir in einer langen Mail darzulegen, was Karikatur darf und was nicht, und mich aufzufordern, den Entwurf dahingehend zu verschönern, fand ich dreist. Immerhin war das Bild eine Auftragsarbeit vom Rainbowhouse in Brüssel selbst, es wurde damals feierlich eingeweiht und war vier Jahre lang in Ordnung.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Hat Köln als Lebensmittelpunkt Sie geerdet gehalten, etwa im Vergleich mit dem oft überheizten Berlin?
Ach, Köln! Ich bin mit 30 hierhergezogen, das war im Vergleich zu Dortmund Sex and Drugs und Karneval. Und hier wohnen auch Konrad & Paul, klar. Jetzt bin ich 60 und find’s zu eng und zu laut. Aber ich hab meine Freunde hier, die packt man ja nicht einfach in den Koffer und zieht aufs Land. Olaf, mein Partner, lebt in Prenzlauer Berg, da ist es im Vergleich tiefenentspannt.
Ist schwuler Humor, etwa im Hinblick auf Frauen, out?
Der Vorwurf, frauenfeindlich zu sein, begleitet mich von Anfang an. Dabei sind bei mir auch die Männer Dumpfnasen oder ständig testosteronbesoffen. Und zum Glück sind gut die Hälfte meiner Leser Leserinnen, die herzhaft mitlachen. Ich glaube nicht, dass schwuler Humor out ist, wer sollte das bestimmen, die politisch Korrekten? Im Gegenteil, gut, mal aus einer anderen Geschlechterperspektive zu lachen.
Müssen Sie mehr auf Trans*präsenz in Ihren Zeichnungen achten – oder trägt man Ihnen dies an?
Bisher hat das niemand gefordert, und wenn ich das mache, dann hoffentlich aus meinem eigenen Interesse und Erleben heraus. Ich erzähle lieber Geschichten über das, wo ich mich einigermaßen auskenne, und das sind vor allem schwule Männer. Darum kommen bei mir auch so wenig Lesben vor, nicht weil ich die nicht komisch finde – Lesben sind sehr komisch –, sondern weil ich nicht weiß, wie sie untereinander drauf sind, wie sie miteinander reden. Ähnlich ist es bei Transleuten. Ich fühle mich aber auch nicht in der Pflicht, sämtliche Strömungen in der queeren Szene zu verknollnasen, da können gern andere Zeichner und Zeichnerinnen ran, die näher am Geschehen sind.
Sie haben sich vor Jahren in die Debatte um die Mohammed-Karikaturen eingemischt – und dafür plädiert, dass man vor Religionen wie dem Islam nicht zurückweicht. Können Sie uns das erläutern?
Na ja, was gibt’s zu erläutern. Wo Religion das Sagen hat, steht’s um Menschenrechte schlecht.
Aber zugleich haben Sie sich aus diesem Themenfeld zurückgezogen …
Das war zehn Jahre später, nach den Morden in der Charlie-Hebdo-Redaktion in Paris. Da stand das Telefon nicht still, weil ich der religionsverwurstende Zeichner war, alle wollten mit mir reden, von Bild-Zeitung bis Talkshow. Mein Agent kannte einige der Erschossenen persönlich und war sehr panisch drauf, er verlangte, dass ich mich diesmal nicht in der Öffentlichkeit äußere, aus Angst vor Nachahmern. Da hatte ich aber schon was dazu auf Facebook gepostet. Ich sollte das löschen. Wir haben uns sehr gestritten, dann hab ich’s schließlich entnervt gelöscht. Und prompt titelte der Tagesspiegel: „Ralf König zieht kontroversen Cartoon zurück!“ In den Foren war ich plötzlich der Feigling der Nation, das war schon übel. Inzwischen kriegt man den Shitstorm, wenn man sich kritisch zum Islam äußert, siehe bei meiner Kollegin Franziska Becker. Das ist dann gleich rassistisch.
Wie ist es, 60 Jahre geworden zu sein? „Herbst in der Hose“, wie einer Ihrer neuesten Buchtitel heißt?
Ich bin jeden Tag überrascht, dass ich schon ein alter Sack bin. Und wenig erfreut. Draußen im Sommer überall die jungen schönen Kerle mit den Vollbärten, und da geht dieser Opa über den Gehweg! Das mit der Libido überprüfe ich jeden Tag, noch alles okay, Danke der Nachfrage. Und wenn da mal was nachlässt, kriegt es Paul ab, die arme Sau.
Ihr Geburtstag …
… meine runden Geburtstage waren immer rauschende Feste mit kostümierten Partygästen und Tuntenshow und Tanz und Knutsch. Wie soll das gehen mit Sicherheitsabstand und Maske! Es ist ein Jammer, aber diesmal fand nicht viel statt.
What makes you tick – was hat Sie innerlich immer angetrieben?
Sex! Ich bin so billig. Eine Energiequelle sondergleichen, als Trieb sowieso, aber auch als Thema. Wenn ich nicht ’n bisschen erotisiert bin, geht’s mir auch nicht gut, da bin ich gleich deprimiert.
Ihre Pläne für die nächsten 30 Jahre?
Erotisiert bleiben. Ich werde sowieso eher alterspeinlich als altersmilde. Scheint mir unterhaltsamer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht