Interview mit Berliner CDU-Chef: „Mit mir gibt es keinen Rechtsruck“
CDU-Landeschef Kai Wegner sieht bei den Berliner Christdemokraten eine Mehrheit für Friedrich Merz als Bundesparteichef. 2021 will er mitregieren.
taz: Herr Wegner, Sie haben uns beim Großthema CDU-Vorsitz verwirrt …
Kai Wegner: Das war nicht meine Absicht.
…. denn Sie mochten sich erst nicht auf einen Favoriten festlegen und wollten einen Vorschlag der Parteiführung abwarten – doch kaum zwanzig Stunden später haben Sie sich ohne einen solchen Vorschlag hinter Friedrich Merz gestellt.
Mir war sehr schnell klar, dass die CDU sich nicht in langwierigen, lähmenden Personaldebatten verlieren darf. In den letzten Wochen bin ich persönlich immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass die CDU jetzt jemanden wie Friedrich Merz braucht. In der Berliner CDU gibt es auch Unterstützung für Jens Spahn und auch Unterstützung für Armin Laschet – aber ich spüre auch eine breite Mehrheit an der Basis der Berliner CDU, die sagt: Friedrich Merz soll es werden.
Und als Merz’ Ambitionen öffentlich wurden, war keine Zurückhaltung mehr geboten?
Nach meinem Gespräch mit der taz gab es noch sehr viele Telefonate und verschiedene Begegnungen mit Menschen aus der Partei und der Stadtgesellschaft. Danach habe ich entschieden, meine Haltung öffentlich zu machen.
Wieso Merz? Was kann er, was Laschet nicht kann?
Zuallererst gilt: Wir brauchen alle drei. Armin Laschet, weil er für starkes Regierungshandeln in Nordrhein-Westfalen steht, Jens Spahn, weil er für mich einer der besten, wenn nicht der beste Bundesminister ist. Doch wir brauchen auch noch mehr Köpfe in einem solchen Team: Selbstverständlich müssen auch Frauen dazugehören und Persönlichkeiten mit einem klaren sozialpolitischen Profil. Ich will ja keine Merz-, Spahn- oder Laschet-CDU, ich will, dass wir die starke Volkspartei der Mitte bleiben.
Aber noch mal: Was ist Merz’ Alleinstellungsmerkmal?
Was ihn hervorhebt, ist: Er kann für einen richtigen Aufbruch sorgen. Viele Mitglieder sagen: Wenn Merz kommt, bin ich wieder dabei – er sorgt für Mobilisierung in den eigenen Reihen. Er ist einer, der immer eine klare Position hat. Das ist wichtig, auch in der politischen Mitte und gerade in Abgrenzung zur SPD. Deshalb wünsche ich mir ihn als Vorsitzenden, aber die anderen gehören zu einem starken Führungsteam dazu.
Team, Team, Team – letztlich sagt doch die Nummer 1, wo’s langgeht. Guido Westerwelle hat das mal so formuliert: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt, und das bin ich.“
Ich vergleiche das immer mit dem Fußball: Sie können einen noch so guten Mannschaftskapitän haben – wenn der keine guten Leute um sich herum hat, wird er keinen Erfolg haben. Bei mir ist das als Landesvorsitzendem auch so: Ohne Team geht es nicht. Einer muss eben – da stimmt der Westerwelle-Satz – der Kopf sein, der dieses Team zusammenhält und anführt.
Merz, Laschet, Spahn, jetzt auch noch Norbert Röttgen – dürfen bei dieser Vorsitz-Sache eigentlich nur Nordrhein-Westfalen mitmachen?
Nein (lacht). Der – oder die – Vorsitzende wird da für einen Ausgleich sorgen müssen: Ost – West, Stadt – Land, die Gegensätze müssen im Führungsteam vertreten sein. Das macht ja am Ende des Tages auch eine Volkspartei aus.
Vier Männer also, die das unter sich klären. Okay, hat ja auch lange genug eine Frau regiert und die Partei geführt, könnten Sie sagen. Aber Rita Süssmuth hat gerade erst Parität bei Listenplätzen gefordert.
Ganz klar, zu so einem Team müssen auch Frauen gehören. Selbstverständlich sind deshalb in meinem Vorstand auch 50 Prozent Frauen. Doch noch wichtiger ist mir das inhaltliche Angebot. Denn viele Frauen wünschen sich ein Politikangebot, das sie als Frau anspricht.
Ist man nicht auch bei der CDU längst darüber hinweg, bestimmte Politikfelder Frauen zuzuordnen?
Ich glaube, das ist nicht so. Frauen haben oft einen ganz anderen Blick auf Themen …
… aber interessieren sich doch nicht per se weniger etwa für Verkehr, Sicherheit oder Umwelt.
Na klar bewegt das auch die Frauen. Aber nehmen wir mal die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Da habe ich lange gedacht: alles prima in Deutschland. Seit ich selbst Papa bin, weiß ich, dass wir da viel Nachholbedarf haben. Das sind Punkte, bei denen ich sehe, dass sie die Frauen besonders stark bewegen und wo wir mehr tun müssen.
Das bringt aber nicht mehr Frauen in die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, wo ihr Anteil zehn Prozent beträgt.
Das stimmt, und da bin ich auch in Gesprächen mit der Frauen-Union. Für mich ist entscheidend, dass wir am Ende mehr Frauen gewinnen und sie bestärken, Ämter und Mandate für die CDU zu übernehmen. Denn mein Anspruch ist es, dass die CDU die Gesellschaft abbildet. Wir brauchen definitiv bei der nächsten Wahl einen deutlich höheren Anteil an Frauen auch im Abgeordnetenhaus.
Kommen wir mal zur AfD. Die Brandmauer steht, ist immer wieder zu hören. Aber was heißt das konkret? Ist im Parlament ein Ja zu einer Geschäftsordnungsfrage noch okay? Und was macht die CDU, wenn die AfD einen pragmatischen bürgernahen und unstrittigen Antrag stellt, den Sie auch im Kopf hatten?
Wenn wir einen Antrag einbringen, und die AfD stimmt dem zu, werde ich meinen Antrag nicht zurückziehen.
Aber wenn so ein Antrag mit CDU-Inhalt eben von der AfD kommt?
Mir sind keine Anträge der AfD bekannt, wo man sagen müsste: Hurra.
In einem Bezirksparlament dürfte das aber schon mal der Fall sein – je kommunalpolitischer, desto eher.
Kommunalpolitik ist ja noch mal was anderes – für das Schlagloch braucht man keine Ideologie, sondern eine pragmatische Lösung. Meine klare Ansage als Landesvorsitzender in Richtung AfD ist: Es wird weder Gespräche noch Zusammenarbeit noch eine Abhängigkeit von der AfD geben. Ich sehe die Entwicklung der AfD mit größter Sorge, die radikalisiert sich immer weiter. Diese „Flügel“-Truppe um Höcke halte ich für brandgefährlich. Trotzdem gilt auch: Wenn die AfD morgen behaupten würde, die Erde sei eine Kugel, würde ich nicht sagen: Nein, die Erde ist eine Scheibe.
Friedrich Merz meint, er könne die AfD halbieren – was heißt das nach Ihrem Verständnis in konkrete Politik umgesetzt? Da müsste die CDU abgewanderten Wählern ja ein Angebot machen.
Zur Wahrheit gehört ja auch: Die AfD speist sich aus Wählern von praktisch allen etablierten Parteien. Sie sind abgewandert, weil sie das Vertrauen verloren haben: nicht in die Politik, aber in die seit Langem agierenden Parteien. Ich spüre überhaupt keine Politikverdrossenheit, sondern viel Interesse – aber es gibt einen Verdruss über Parteien. Die Aufgabe ist also, Vertrauen dort zurückzugewinnen, wo wir die Erwartungen an uns enttäuscht haben. Das gilt auch für Berlin und unsere Regierungszeit von 2011 bis 2016.
Nennen Sie mal ein Beispiel.
Wenn ich mit Polizeibeamten spreche, höre ich, dass die Erwartungshaltung eine enorm hohe war, als wir den Innensenator stellten. Es hat sich ja was geändert, aber diese hohen Erwartungen haben wir nicht erfüllt. Ich glaube, wir waren 2011 auch nicht optimal vorbereitet auf Regierungsverantwortung, und deshalb arbeite ich daran, dass die CDU 2021 bei der Abgeordnetenhauswahl bestmöglich vorbereitet ist. Das ist die Aufgabe für mich als Landesvorsitzenden, und auf Bundesebene gilt das Gleiche für den nächsten Bundesvorsitzenden.
Die Frage war ja die nach konkreten Angeboten für AfD-Wähler. Vertrauen zurückgewinnen ist das eine. Aber es müsste ja auch ein inhaltliches Angebot für die nach rechts außen Abgewanderten geben – und dann sind wir eben doch bei einem Rechtsruck der CDU.
Mit mir wird es keinen Rechtsruck geben. Die Frage ist ja immer: Was ist rechts? Die CDU war immer die Partei von Sicherheit und Ordnung, die Partei des Rechtsstaats, und das muss auch wieder ihr unverwechselbarer Markenkern werden. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen nicht mehr das Gefühl haben, dass der Rechtsstaat durchgesetzt wird. Wenn die Verteidigung des Rechtsstaates, die Verteidigung von Demokratie und Freiheit, ein Rechtsruck ist, dann haben wir ein Problem in unserer Gesellschaft.
Sie geben sich immer so zuversichtlich, nach der nächsten Abgeordnetenhauswahl tatsächlich mit zu regieren. Was macht Sie da so sicher?
Drei Punkte will ich dazu nennen. Zum einen stelle ich fest, dass dieser rot-rot-grüne Senat so unbeliebt ist wie kein anderer vor ihm.
Und doch hat Rot-Rot-Grün trotz aller Unzufriedenheit, trotz allen internen Streits in Umfragen aktuell auf 57 Prozent zugelegt – bei der Wahl 2016 waren es nur 52,4 Prozent.
Viele Menschen sagen leider: Eine andere Partei, die ich wählen kann, gibt es ja gar nicht – die nehmen die CDU noch nicht als Alternative wahr. Daran müssen wir weiterarbeiten. Die Berlinerinnen und Berliner müssen merken: Die CDU ist viel offener und moderner, als wir denken: Die CDU hört zu, nimmt die Sorgen und Nöte ernst und hat einen Plan für die Zukunft unserer Stadt. Dafür haben wir noch eineinhalb Jahre Zeit. Der zweite Punkt ist, dass ich einen wirklichen Aufbruch in unserer Partei spüre. Ich höre sehr oft den Satz: „Ich habe jetzt wieder richtig Lust, mich zu engagieren.“
Und Punkt drei?
Dieser Senat ist so uneins wie kaum einer vor ihm. Die SPD macht gerade mit den Grünen, was schon die Linkspartei vor 2011 erlebt hat und was danach für uns galt: Wenn es der SPD nicht gut geht, sind immer die anderen schuld, also wird kräftig ausgeteilt gegen den Koalitionspartner. Ich wundere mich, dass die Grünen das mit sich machen lassen.
Es spricht Ihnen auch kaum einer ab, viel unterwegs zu sein und Ihre Parteifreunde zu begeistern – aber außerhalb dieser 12.000 Mitglieder schlägt sich das nicht nieder: Als Sie vor knapp einem Jahr ankündigten, Vorsitzender werden zu wollen, lag die CDU bei 20 Prozent, aktuell sind es gerade mal noch 16.
Natürlich wünsche ich uns bessere Werte. Aber wenn man einmal Vertrauen verloren hat, übrigens auch auf Bundesebene, dann ist das nachhaltig. Vertrauen zurückzugewinnen braucht Zeit. Das spornt mich an. Die CDU wird sich weiterentwickeln, 2020 wird das Jahr der Ideen.
„Jahr der Ideen“ klingt wie eine Beratersprechblase – können Sie das ein bisschen erden?
Nachdem wir mit unserer Idee des „Klimawaldes“ am Tempelhofer Feld und einer behutsamen Randbebauung für 20.000 Menschen überraschen konnten, wollen wir weiter daran anknüpfen. Wir haben beispielsweise am 6. Juni unseren Parteitag zum Thema Mobilität. Da wird die CDU einige neue Pflöcke einrammen.
Was ist denn da Ihre Vision?
Für Berlin stelle ich mir weder eine autogerechte Stadt noch eine fahrradgerechte Stadt vor, sondern ich möchte eine menschengerechte Stadt, die allen unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnissen der Berlinerinnen und Berliner gerecht wird. Nicht das Gegeneinander, das ich vor allem bei grünen Verkehrssenatorin erlebe, sondern das Miteinander soll im Vordergrund stehen. Ich möchte, dass Berlin besser regiert wird.
Und mit einer grünen Regierungschefin und der CDU als Juniorpartner wäre das so?
Mit einer CDU-Regierungschefin oder einem CDU-Regierungschef garantiert.
Dann müssten Sie ja noch mehr zulegen.
Die Grünen vier, fünf Prozent runter, wir vier Prozent hoch, schon sind wir auf Augenhöhe – das ist möglich. Wir sehen es doch jetzt vor der Wahl in Hamburg: Wenn es konkret wird, verlieren die Grünen an Zustimmung. Die Berliner Grünen profitieren vom Rückenwind, der von der Bundesebene kommt – das ist nicht selbst verdient. Mein Ziel ist es, dass die CDU bei der nächsten Wahl stärkste Kraft wird.
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