Internetüberwachung in Russland: Instrument des Feindes
Die Kontrolle des Internets in Russland wird verschärft. Zehntausende Webseiten sind blockiert. Auch Server und soziale Netzwerke sind betroffen.
MOSKAU taz | Russland fühlt sich bedroht. Nicht nur die Nato hat es auf Moskau abgesehen, auch das Internet scheint sich aus russischer Sicht zu einer scharfen antirussischen Waffe entwickelt zu haben. Die Medienüberwachungsbehörde „Roskomnadsor“ kündigte zu Wochenbeginn an, dem gegen Moskau geführten „Informationskrieg“ den Kampf anzusagen. Meinungsfreiheit bedeute nicht, „dass alles erlaubt ist“, meinte Alexander Scharow, Chef der Überwachungsbehörde.
Noch dramatischer sieht der Vizevorsitzende der Duma, Sergej Schelesnjak, die aktuelle Lage: „Roskomnadsor steht in vorderster Front des Informationskrieges, der gegen unser Land und unsere Werte entfacht wurde“, sagte er vor Regierungsvertretern. Schelesnjak ist ein antiwestlicher Scharfmacher, dessen Tochter in der Schweiz studiert.
Bislang blockiert die Behörde den Zugang zu rund 2.100 Websites. Insgesamt sind aber 56.000 Seiten von der Blockade betroffen, da sie die gleiche IP-Adresse wie die auf der schwarzen Liste geführten Seiten teilen. Seit dem Inkrafttreten des neuen Antiextremismusgesetzes im Februar hat die russische Staatsanwaltschaft den Zugang zu weiteren hundert Seiten blockiert. Darunter sind solche, die zu Protesten gegen das Vorgehen Moskaus in der Ukraine aufgerufen haben.
Laut der Tageszeitung Kommersant laufen die Arbeiten zur Verschärfung der Kontrolle über das Internet auf Hochtouren. Demnach soll verboten werden, dass sich DNS-Server und russische Domänen außerhalb Russlands befinden. Auch die Zuständigkeit des bisherigen Koordinationszentrums für die Domänen .ru und .rf (Variante der kyrillischen Schreibweise) soll an eine Regierungsinstanz übertragen werden. Die Eile, mit der das Projekt vorangetrieben wird, sei auf die Zuspitzung des Konfliktes mit dem Westen zurückzuführen.
Instrument des Feindes
Letzte Woche hatte Präsident Wladimir Putin auf einem Treffen der russischen Volksfront, seinem persönlichen Wahlverein, das Internet als ein „Spezialprojekt des CIA“ bezeichnet und es damit zu einem Instrument des Feindes erklärt. Um die Datensicherheit zu erhöhen, schlug Putin vor, die Server populärer russischer Seiten nach Russland zu verlegen.
Persönlich soll der Präsident das Internet nicht nutzen und sich nach wie vor auf Schriftsätze des Beraterstabs verlassen. Besonders misstrauisch begegnete Wladimir Putin auf der Volksfrontveranstaltung der Suchmaschine yandex.ru und dem russischen Pendant zu Facebook Vkontakte. Yandex hätte sich „westlichem Einfluss unterworfen“ und sei teilweise im Ausland registriert, meinte der Kremlchef. Diese Falschinformation kostete Yandex an der Börse eine Milliarde Dollar.
Inzwischen haben kremlnahe Kräfte auch Vkontakte übernommen. Der Gründer des erfolgreichen sozialen Netzes Pawel Durow verlies letzte Woche Russland. An eine Rückkehr denkt er nicht mehr, teilte er mit. Erst wurde er zum Verkauf genötigt und dann als Generaldirektor entlassen. Durow hatte sich geweigert, Adressen russischer Oppositioneller herauszugeben und dem Geheimdienst den Zugang zu oppositionellen Nutzern in der Ukraine einzuräumen.
Letzte Woche passierte ein Gesetz in zweiter Lesung die Duma, das Bloggern vorschreibt, sich als Medien registrieren zu lassen, sobald sie am Tag von mehr als 3.000 Lesern besucht werden. „Wir sind nur einen Schritt von der großen chinesischen Firewall entfernt“, meint der Sicherheitsexperte Andrej Soldatow. Die Regierung verfüge jetzt über alle Instrumente, um ausländische Netzwerke zu beschneiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an