Internet-Inselprojekt auf Fidschi: Klick ins Paradies
Auf einer Pazifikinsel huldigt ein Stamm dem Häuptling Tui Mali: Junge Menschen aus aller Welt haben sich ihm für 260 Euro per Internet Untertan gemacht.
Vor rund einem Jahr hatten zwei junge Briten die Idee, sich ein Paradies zu kaufen. 53.000 Dollar zahlten sie für die 81 Hektar große Fidschi-Insel Vorovoro östlich von Australien, die vorher fast unbewohnt war. Jetzt tummeln sich abenteuerhungrige Touristen aus aller Welt auf dem kleinen Eiland. 1.234 Mitglieder hat der Stamm aktuell. Für rund 260 Euro pro Woche bekommen sie zwar wenig Luxus, aber viel unberührte Natur. Für das Nötigste ist mittlerweile gesorgt: Es gibt ein Schlafhaus, drei Komposttoiletten mit praktischen Kokosnussschwingtüren und zwei Eimerduschen unter freiem Himmel. Die Einheimischen haben den neuen Bewohnern beim Bau allerdings kräftig geholfen. Mittlerweile erzeugt die Insel ihren eigenen Strom mit einem Windrad. Der anfallende Müll wird so gut wie möglich wiederverwertet. 2009 ist das Projekt zu Ende. Die Gebäude bekommen dann die Fidschianer geschenkt.
Das Paradies ist rund 500 Meter lang und 300 Meter breit: Unten klatschen türkisfarbene Wellen ans Ufer, oben baumeln Kokosnüsse an den Palmen, geradeaus: nichts als die Weite des Pazifiks. Häuptling Tui Mali schlendert durch den weißen Sand - als wäre alles wie immer.
Doch seit recht genau einem Jahr ist auf der kleinen Fidschi-Insel Vorovoro nichts mehr wie immer: Denn Tui Malis Inselspaziergang kann man im Internet auf YouTube sehen und die Stammesmitglieder, die ihm auf dem Video wenig später ihre Opfergaben hinschieben, sind keine Fidschianer. Vor Tui Mali knien regelmäßig Österreicher und Australier, Schweden und Briten, Amerikaner und Italiener nieder. Über tausend Menschen gehören zu Tui Malis neuem Stamm.
Ein Jahr ist es her, dass Ben Keene und Mark James, zwei junge Briten, eine Idee hatten: Sie wollten einen Internetstamm gründen, der aber nicht nur virtuell zusammenarbeitet. Die Mitglieder sollen abwechselnd auf einer wirklichen Insel wohnen, fernab der Zivilisation. Dort sollen sie kleine Bambushütten bauen, sie sollen wenig Müll produzieren, das Wasser nicht verschmutzen und nur erneuerbare Energien nutzen. Damit es vor Ort keinen Streit gibt, stimmen alle Stammesmitglieder per Online-Abstimmung über die Pläne auf der Insel ab. Die Aufenthaltsdauer wird begrenzt, damit sich niemand auf die Nerven fällt. Kein Streit, nur Natur und Freude. Ben und Mark hatten einen Plan; einen Plan vom Paradies.
Fortan begutachteten die Briten Inseln: Die eine war ihnen zu groß, andere zu gefährlich. Vorovoro aber war genau das Stückchen Erde, das sie sich vorgestellt hatten: klein, keine Hurrikane, Bürgerkriege, Erdbebengefahr oder andere Unannehmlichkeiten. Abenteuer ohne Risiko.
Es folgten Verhandlungen mit den Einheimischen. Der Stamm von Häuptling Tur Mali zählt 400 Mitglieder. Die meisten leben aber auf der größeren Nachbarinsel Mali und kommen nur zum Fischen nach Vorovoro. Schließlich konnten sich Mark und Ben mit Tui Mali einigen: 53.000 Dollar zahlten sie für drei Jahre Pacht der Insel, zusätzlich spendeten sie 26.000 Dollar an die Einheimischen. Und wenn das Projekt nach drei Jahren ausläuft, dann sollen alle Gebäude den Fidschianern gehören. Alles war geregelt, der Hippietraum konnte wahr werden.
Die beiden Männer starteten die Internetseite tribewanted.com - Stamm gesucht. Das Angebot: 260 Euro zahlen, Stammesmitglied werden und für eine Woche nach Vorovoro kommen. Wer länger bleiben will, zahlt mehr. Einmal im Monat wird unter den Mitgliedern ein Häuptling gewählt, der die Fäden auf der Insel in der Hand hält. Jeder kann mitbestimmen, was auf der Insel passiert. Sozialismus zum Kaufen. Urlaub, ohne Tourist sein zu müssen. Das zog.
Auf einen Schlag hatte der Stamm 900 Mitglieder: Investmentbanker und Rentner, Hausfrauen und Schauspieler, Kinder und Weltreisende. Von ihnen wünschten sich Ben und James vor allem Respekt vor den Einheimischen und der Natur.
"Und das hat geklappt", sagt Stammesmitglied Bettina Foof aus Ravensburg. Die 24-Jährige war im Sommer auf Vorovoro. "Wenn man auf Vorovoro ankommt, muss man sich bei Tui Mali bedanken, dass man auf der Insel sein darf. Man legt ihm die Kava-Pflanzen vor, als Geschenk, und rutscht auf Knien zu ihm hin." Wenn Tui Mali auf der Insel ist, müssen alle ein Gewand anhaben, aus Respekt. Die Fidschi-Inseln waren einst eine britische Kolonie. Für die Fidschianer ist es wichtig, dass die neuen Weißen Respekt vor ihrer Kultur haben.
Einige Einheimische wurden von dem neuen Stamm eingestellt, um den Bau der Hütten zu leiten. Das war für Tui Mali wichtig, seine Leute sollten Arbeit bekommen. Die Mitglieder des Internetstamms sollen helfen, zum Beispiel im Garten. Im Juli gab es den ersten Tubu-Teitei-Tag: Der Stamm versuchte, nur von selbst angebautem Gemüse, den Hühnern und gefangenem Fisch zu leben. Am Abend aber war der Fisch alle und die Bäuche waren leer. Die Fidschianerinnen, die in der Küche arbeiten, öffneten wieder ihre Büchsen.
Selbst versucht der Stamm so umweltfreundlich wie möglich zu leben. Das bedeutet vor allem Verzicht: auf Duschen und Klos mit Wasserspülung, auf Plastikverpackungen und Duschgel. Und vor allem auf Licht. "Das ist wirklich schwierig, vor allem, wenn man nachts auf die Toilette oder in die Küche will", sagt Bettina. Das Problem hat sich aber inzwischen erledigt: Ein britisches Ökostromunternehmen hat der Insel ein kleines Windrad gestiftet. Licht für Vorovoro - und vielleicht bald einen Kühlschrank. "Wir haben die industrielle Revolution ausgelassen und sind direkt vom Kokosnussbaum zur Windturbine übergegangen", schreibt Ben auf der Internetseite. "Wir hoffen, dass unsere Freunde aus Nord-Fidschi - wie wir - beginnen einzusehen, dass erneuerbare Energie leiser, billiger und sauberer ist als die lauten Generatoren." Internetstamm und Fidschianer lernen bestenfalls gemeinsam, wie Umweltschutz funktioniert. "Ich bin zum Beispiel zu einer Schule auf der Nachbarinsel gefahren, um den Kindern dort etwas über Umweltschutz zu erklären, etwa, dass man Plastiktüten und -flaschen wiederverwerten kann", sagt Bettina.
Um möglichst nachhaltig zu leben, hat sich der Internetstamm wissenschaftliche Hilfe besorgt. Forscher des University College London haben einen Nachhaltigkeitsplan aufgestellt. Darin steht auch, dass der ganze Aufwand mit Bioklo und Kokosseife wieder zunichte gemacht wird, wenn die Stammesmitglieder mit dem Flugzeug etwa von Frankfurt nach Vorovoro anreisen. 12 Tonnen CO2 werden dabei ausgestoßen, damit könnten sechs Leute ein ganzes Jahr lang mit einem Golf durch die Gegend kurven. Daher sollen die Stammesmitglieder Geld in Klimaprojekte investieren, um den Schaden auszugleichen. Für 12 Tonnen CO2 wären da etwa 250 Euro fällig. Ob sich alle daran halten, kontrolliert tribewanted nicht.
Ansonsten hat die Internetgemeinde ein wachsames Auge auf alles, was ihre Stammesbrüder und -schwestern auf der Insel treiben. Alle Entscheidungen werden online diskutiert. Probleme gibt es trotzdem: Etwa als die Einheimischen im August sieben große Schildkröten für eine Zeremonie fingen. Tagelang lagen die Schildkröten ohne Essen und Wasser auf dem Rücken, bis sie getötet wurden. Der Stamm steckte in einem Dilemma: Einerseits wollen sie der Tradition der Fidschianer Respekt zollen, andererseits finden sie das Leiden der Tiere unnötig. Vielleicht wird man Tui Mali vorschlagen, dass der Stamm im Meer einen Käfig für die Schildkröten baut, in dem die Tiere bis zur Schlachtung leben können.
Doch nicht jedes Problem lässt sich so leicht lösen. Zweimal stand die Gemeinschaft kurz vor dem Aus: Erst kam im Internet das Gerücht auf, die Insel gebe es gar nicht. Ben und Mark seien Abzocker. Die Beitritte stagnierten. Mark bekam wohl kalte Füße und stieg aus dem Projekt aus. Dann gab es Ende 2006 auf Fidschi einen Militärputsch. Wieder: keine neuen Mitglieder und kein neues Geld. Inzwischen stellen sich auf der Website wieder ständig neue Mitglieder vor. Der Traum vom Paradies ist nicht geplatzt. Der Traum von Mark und Ben, damit irgendwann Geld zu verdienen, schon.
5.000 Mitglieder wollte der Stamm ursprünglich haben. Davon ist man weit entfernt, so viele Besucher könnte das kleine Stück Land auch gar nicht aufnehmen. Erst kürzlich hat die Internetgemeinde darüber abgestimmt, dass im Durchschnitt etwa 30 Besucher auf der Insel sein sollen.
Vorovoro ist nur 80 Hektar groß und damit kleiner als Helgoland. Durch das tribewanted-Projekt hat es das kleine Fidschi-Eiland aber mittlerweile zu einiger Berühmtheit gebracht. Sogar bis ins kleine Braunfels in Hessen schwappte die Vorovorobegeisterung. Dort fand das größte Treffen der Stammesmitglieder außerhalb der Insel statt. 50 Menschen aus aller Herren Länder kamen im Sommer in den Luftkurort, es gab ein rauschendes Fest, inklusive Liveschaltung vom Brauhaus Obermühle direkt nach Vorovoro. Bürgermeister Wolfgang Keller war begeistert: "Da machen wir mit." Braunfels und Vorovoro sollen Partnerstädte werden. Darüber muss der Stamm aber natürlich erst abstimmen.
Das Projekt ist begrenzt. 2009 ist der ganze Spuk vorbei. Dann werden die Wellen an das Ufer platschen und die Koskosnüsse an den Palmen baumeln. Und vielleicht wird Tui Mali durch den Sand stapfen - als wäre nichts geschehen.
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