Internationales Literaturfestival Berlin: Kein Schnickschnack
Ist das Haus der Berliner Festspiele zu groß für das ILB? Unter anderem traten auf dem Festival Jeffrey Eugenides und Kateryna Mishchenko auf.
Einsam und verlassen steht im Foyer unter der Treppe: der Signiertisch. Sehr viel präsenter, nämlich riesig und unübersehbar, sobald man das Haus der Berliner Festspiele betritt, ist ein anderer Tisch. Jener, der die Bücher der Autorinnen und Autoren käuflich bereithält, die auf dem Internationalen Literaturfestival aufgetreten sind und auftreten werden.
Literatur scheint eine Sache, die aufgetischt werden muss. Über dem Tisch hängen wie Emanationen der Bücher Fotoporträts der Gesichter der größten Stars unter den auftretenden Autorinnen und Autoren, darunter auch Jeffrey Eugenides, der an diesem Abend etwas über „The Art of Writing“ verraten will.
Es ist die zweite Woche des Festivals, es ist umgezogen. In der ersten fanden die Veranstaltungen in der Staatsbibliothek Unter den Linden und im Collegium Hungaricum statt. Nun ist man hier, im ersten Jahr unter neuer Leitung von Lavinia Frey. Das Haus, das bis zur Abwicklung im Jahr 1992 die von Erwin Piscator im Westen neu gegründete Freie Volksbühne war, hat schon viel gesehen und beherbergt unter anderem das Theatertreffen und „Tanz im August“.
Der große Saal ist mit tausend Sitzen sehr groß, nicht einmal ein Bestsellerautor wie Eugenides kann ihn füllen – Werner Herzog vielleicht, der am nächsten Tag dran ist. In einem Gespräch, das ich belausche, beklagt Daniel Kehlmann, dass für sein Gespräch mit Adam Thirlwell zwei Tage später erst hundert Tickets verkauft sind.
Es sitzt nicht richtig
Es ist schon so, dass dieses Haus als Veranstaltungsort für die Literatur nicht richtig sitzt. Zu groß, zu sehr Theater und Bühne. Der wie bestellt und nicht abgeholt herumstehende Signiertisch ist dafür Symptom. Man gewinnt aber auch nicht den Eindruck, dass das Festival den Versuch einer Aneignung des Hauses, seiner Räume, seiner Ecken und Winkel, unternimmt; es bleibt lieber höflicher Gast.
Das Publikum, nicht zu verwechseln mit jenem der gerade auch stattfindenden Berlin Art Week, bleibt, so scheint es, zum großen Teil nicht für den Abend, es kommt zu einer Lesung und geht. Im oberen Stockwerk nennt sich eine Ecke mit Sofas und Büchern etwas hochtrabend Bibliothek, es ist der Ort für die „Book Talks“. Heute sprechen hier Judith Keller aus der Schweiz und Idza Luhumyo über Autor*innen und Bücher, die ihnen wichtig sind.
Nach seinem Auftritt im großen, gut gefüllten, aber bei Weitem nicht ausverkauften Saal wird Jeffrey Eugenides sich dann tatsächlich ans zuvor so stille Örtchen unter der Treppe begeben und brav eines der seltsameren Rituale der Literaturrezeption über sich ergehen lassen: Er schreibt mit der Hand seinen Namen in Bücher, auf deren Cover dieser Name schon steht. Rest-Auratisches, gratis. Die Schlange ist lang.
Eugenides ist an der Arbeit
Eugenides hat es mit drei Romanen in 30 Jahren – „Die Selbstmordschwestern“ (1993), „Middlesex“ (2002) und „The Marriage Plot“ (2011) – zu beträchtlichem Ruhm gebracht. An einem vierten Roman sitzt er. Wiederholt beruhigt er während seines Auftritts scherzhaft seinen Verleger auf Deutsch: „Ich bin an der Arbeit.“ Zum Schluss liest er eine kurze, lustige Szene aus dem neuen Buch, Weltpremiere. Es geht um Lehrer und Schüler, Briefe an Dickens.
Moderatorin Beatrice Faßbender hat ein Säcklein kluger Zitate und Fragen mitgebracht, auf die Eugenides souverän und mit routiniertem Witz reagiert; alles auf Englisch, es wird nicht übersetzt. Wie seine Bücher entstehen? Ohne Storyboard, der Plot entsteht erst beim Schreiben. Wann er weiß, dass er fertig ist? Wenn jede Veränderung das Buch nur noch schlechter macht. Rituale? Nein. Drogen? Kaffee.
Zwischendurch liest der Schauspieler Franz Dinda ein bisschen sehr selbstgenießiersch schauspielerhaft aus den deutschen Übersetzungen. Das Format ist mehr als vertraut. Vom Versuch, Alternativen zur Wasserglaslesung zu finden, ist beim Blick aufs Programm wenig zu spüren. Wohlwollender formuliert: Von Schnickschnack hält man hier nichts.
Begriffe für das Schreckliche
Weiter zur Seitenbühne. Die sehr viel kleinere Nebenspielstätte ist eher schütter gefüllt. Die Politikwissenschaftlerin Gwendolyn Sasse und die ukrainische Verlegerin und Autorin Kateryna Mishchenko, die in Berlin im Exil lebt und bei Suhrkamp gerade den Band „Im Nebel des Krieges“ herausgegeben hat, sprechen über Fremd- und Selbstbilder der Ukraine. Kurzes Auflachen, als die Moderatorin Eva Murašov eingangs erklärt, dass auf Wunsch auch Sasse und Mishchenko ihre Bücher signieren. Klares Gefühl, dass dieses atavistische Ritual hier deplatziert wäre.
Um Literatur im traditionellen Sinn geht es in diesem Gespräch nicht. Das Festival wirft in seinem Programmheft und anderen Paratexten – deren kompletter Verzicht auf Intellektualität doch etwas bestürzend ist – heftig mit Schlagworten und Floskeln zum Politischen um sich. Auch dieses Gespräch gelangt nur selten über das hinaus, was man in Talkshows zum Thema so hört.
An ein paar Stellen dann aber doch. Mishchenko, die in ihrem jetzt nicht mehr aktiven Verlag unter anderem Judith Butler publiziert hat, betont die Bedeutung, die im Krieg die Sprache gewinnt. Nicht nur, weil sie einerseits mit Ideologie und Propaganda getränkt ist.
Sondern, ganz und gar andererseits, wird sie zum Schauplatz, an dem auch Menschen, die keine Literatinnen sind, mit einer Situation, mit der man nicht zurande kommen kann, zurande zu kommen versuchen: Sie schreiben Texte, deren Sprache nach Bildern für die Empfindungen, nach Begriffen für das Schreckliche sucht. Das wäre dann wohl Literatur in einem ursprünglichen Sinn: der Versuch, existenziellem Schrecken wenn nicht Sinn, dann doch immerhin Ausdruck zu geben.
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