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Internationale GartenschauIm Vorgarten der Marzahner

Oft war über die IGA geschrieben worden, dass sie an den Marzahnern vorbeigehen würde. Für Christian Scholl gilt das nicht. Ein Spaziergang

Verbindet Marzahn und Hellersdorf: Die Seilbahn auf dem IGA-Gelände in 25 bis 30 Metern Höhe Foto: Sebastian Wells

Bei schönem Wetter musste Christian Scholl zweimal am Tag auf den Wolkenhain, einmal für die Aussicht und dann nochmal für den Sonnenuntergang. Heute, am letzten Montagvormittag vor dem Ende der Interna­tio­nalen Gartenschau in Marzahn-Hellersdorf, ist ausnahmsweise der Himmel blau. Hier oben, auf der 120 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Aussichtsplattform, geht der Wind frisch. Scholl zieht sich die helle Schirmmütze über die Stirn. Er trägt schnittige Jeans und eine silberne Windjacke. Der Mann, der sich selbst als eher scheu beschreibt und sich „nicht von vorn“ auf einem Foto in der Zeitung zeigen will, spricht hier oben häufiger Leute an.

Denn Christian Scholl, 68 Jahre alt und Rentner, kennt sich aus. Er wohnt in einer Platte am Blumberger Damm, direkt gegenüber vom Haupteingang der IGA, der ab Dezember wieder der Haupteingang der Gärten der Welt sein wird. „Die IGA war mein Vorgarten“, sagt er. Seit vielen Jahren besitzt er die Dauerkarte für die Gärten der Welt und darum natürlich jetzt auch die für die IGA. „Wegen der Gartenausstellung sind wir dieses Jahr extra nicht in den Urlaub gefahren“, sagt Scholl. Schon während der ersten Minuten seiner vierstündigen Führung durchs Gelände wird klar, dass es falsche Bescheidenheit ist, wenn er sagt: „Ich interessiere mich nicht so für Botanik.“

Seit 1980 lebt Christian Scholl hier im Bezirk, er gehört zu den so genannten Erstbeziehern, die gern von den Anfangsjahren als „Gummistiefelzeit“ erzählen. Damals als die Großsiedlung Marzahn-Hellersdorf gebaut wurde, gab es noch keine festen Straßen, die Gärten der Welt wurden erst sieben Jahre später eröffnet.

Scholl steht auf dem Wolkenhain und deutet nach unten. Er erinnert sich gut, wo damals die Treibhäuser der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften standen. Er weiß, wo die allerersten Plattenbauten der Großsiedlung gesetzt wurden und wo gerade einige der schicksten Wohnungen im Bezirk entstanden sind: m Marzahner Tor, nördlich der IGA.

Marzahn symbolisierte einen echten Aufbruch

Wie für viele der gutbürgerlichen Erstbezieher, die in den medialen Beschreibungen Marzahns oft fehlen und die den Bezirk doch mit ihrem nachbarschaftlichen Engagement davor bewahrt haben abzustürzen, symbolisierte Marzahn bei ihrem Einzug einen echten Aufbruch. Vor dem Umzug lebte die Familie Scholl in einer dunklen Altbauwohnung in der Heinrich-Roller-Straße in Prenzlauer Berg, mit Klo auf der anderen Seite des Hinterhofs. Auch als Richter der DDR pflegte Christian Scholl aus vielen Gründen große Distanz zum politischen System, sicher auch deshalb musste er so lange auf seine Wohnung warten – so wie alle anderen DDR-Bürger.

taz-Serie Marzahn-Hellersdorf

Der Bezirk

Marzahn-Hellersdorf hat rund 262.000 Einwohner, hier befindet sich die größte Großsiedlung, die in industrieller Plattenbauweise in der DDR errichtet wurde. Nach der Wende erfuhr der Bezirk Abwanderung und Abwertung. Heute ziehen so viele Menschen dorthin wie seit DDR-Zeiten nicht mehr.

Die Serie

Seit April bringt die Internationale Gartenausstellung viele Besucher nach Marzahn. Die taz begleitet den Wandel im Bezirk mit einer Serie – ob im Gespräch mit der Bezirksbürgermeisterin oder zu Gast beim Balkon-Kino. (taz)

Für Scholl war immer klar, dass Marzahn ein guter Ort zum Leben ist – auch wenn der Bezirk nach der Wende unter Abwanderung litt und gerade einkommensstarke Einwohner wegzogen. Und auch, obwohl es hier mehr Proteste gegen den Bau von Flüchtlingsheimen gab als irgendwo sonst in Berlin. Christian Scholl blieb trotzdem. „Für mich wurden in Marzahn längst nicht genug Flüchtlinge aufgenommen“, sagt er.

Wegen der Gartenausstellung sind wir dieses Jahr extra nicht in den Urlaub gefahren

Marzahner Christian Scholl

Doch nun geht es zunächst einmal runter vom Kienberg, über die Tälchenbrücke, hinein in die IGA. Fast zu jedem Land, das hier in den Themengärten präsentiert wird, hat Christian Scholl viel zu erzählen, erklärt, warum der Kies im Japanischen Garten geharkt wird, wie die traditionelle balinesische Wohnanlage zur IGA mit der Tropenhalle überbaut wurde, warum der Lavendelduft im neu eröffneten Englischen Garten so wichtig ist.

Der Bezirk werde wenig in die IGA strahlen

In den Medien war viel darüber berichtet worden, dass einige Themen der IGA wohl an den Marzahnern vorbeigehen würden. Dass sie zudem mit 20 Euro fürs Tagesticket zu teuer wäre für all die Arbeitslosen, die Armen, die Alleinerziehenden hier. Der Bezirk werde wenig in die IGA strahlen und die IGA wenig in den Bezirk, hieß es. Christian Scholl aber ist das beste Beispiel dafür, dass das nicht stimmt. Und er ist nicht allein: Viele seiner Nachbarn und Bekannten im Kiez haben ebenfalls eine Dauerkarte, erzählt er. Leute wie er wüssten zu schätzen, dass der Bezirk nicht nur die IGA bekommen hat, sondern auch Millionen für die Infrastruktur um die Gartenausstellung herum. Die neuen, topmodernen U-Bahn-Stationen am Kienberg etwa und auch das goldene Bezirksinformationszentrum.

Der Marzahner Scholl wirkt wie ein Weltbürger, würde gern noch viel weiter reisen, „wenn meine Frau keine Flugangst hätte“. Auf seiner Führung berichtet er nicht nur begeistert von der weißgelben Blüte der Franggipani, die in Indonesien für Gelassenheit und Unsterblichkeit steht und gerade auch bei ihm zu Hause blüht – oder von der Verbrennung von Land für die Fruchtbarkeit des Bodens durch die australischen Ureinwohner. Interessiert hat er sich auch für angesagtere Inhalte auf der IGA: Themen wie nachhaltige Stadtentwicklung oder die Förderung der Artenvielfalt, die etwa rund um den Weltacker verhandelt wurden. Alles Themen, die man vielleicht eher jüngeren Besuchern aus der Innenstadt zugetraut hätte. Für Christian Scholl steht fest: Die IGA hat seinem Bezirk zu dem Ruf verholfen, den das Bildungsbürgertum in Marzahn schon immer hochgehalten hat.

Am Ende seiner Führung zeigt der Rentner mit dem schnellen Schritt der schlappen Journalistin ein Restaurant am Haupteingang. Er findet den Laden „fetzig“, vieles erinnert an Pizzerien in Mitte: Betonfußboden, große Ledercouchen. Als Scholl später erhobenen Hauptes von der Toilette wiederkommt, wirkt er einen winzigen Moment lang so, als hätte er sich diese Pizzeria und diese ganze schöne IGA vor seiner Haustür ganz alleine ausgedacht.

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