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Internationale Debatte über Nahost-KriegViele Binnen­flüchtlinge in Gaza

Die G7 fordern humanitäre Feuerpausen für den Gazastreifen. Außerdem solle ihn Israel weder besetzen noch verkleinern, sagt die US-Regierung.

Die IDF veröffentlicht am 7. November ein Bild, das ihre Soldaten im Zentrum der Stadt Gaza zeigt Foto: Israel Defense Forces/Imago

Berlin taz | Eine „humanitäre Pause“ bei den Kämpfen im Gazastreifen haben am Mittwoch die Außenminister der G7-Staaten nach einem zweitägigen Treffen in Tokio gefordert, um mehr humanitäre Hilfe zu ermöglichen und die palästinensische Zivilbevölkerung zu schützen. Einen Waffenstillstand forderten die Vertreter der wichtigsten Industriestaaten nicht.

Außerdem stand die Zukunft des Gazastreifens im Zentrum des G7-Gipfels. Für einen Frieden im Gazakonflikt dürfe es, sagte US-Außenminister Antony Blinken nach dem Treffen, weder eine Vertreibung der Palästinenser noch eine erneute Besetzung des Gazastreifens geben: „Keine Wiederbesetzung des Gazastreifens nach Beendigung des Konflikts, kein Versuch, den Gazastreifen zu blockieren oder zu belagern, keine Verkleinerung des Gebiets von Gaza“, so der US-Außenminister.

Die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schloss sich dieser Linie an. Ein entscheidender Punkt sei, „dass es keine Besetzung von Gaza geben darf, sondern bestmöglich einen internationalen Schutz“. Dabei müsse sichergestellt werden, dass keine weitere terroristische Gefahr für Israel besteht.

Dauerhafte Besetzung des Gazastreifens

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Montag in einem Interview mit ABC News angekündigt, Israel werde nach dem Krieg für unbestimmte Zeit die „allgemeine Verantwortung für die Sicherheit“ im Gazastreifen haben. Eine vage Äußerung, die jedoch auch als Ankündigung zur Besetzung des Gazastreifens verstanden werden konnte.

Außenministerin Baerbock will internationalen Schutz für den Gazastreifen

Währenddessen verließen am Mittwoch wie schon in den Tagen zuvor Tausende Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen den Norden des Küstenstreifens über einen humanitären Korridor. Israel verlängerte den Zeitraum der Öffnung angesichts der hohen Zahl von Fliehenden. 1,5 Millionen Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation nun Binnenflüchtlinge in Gaza. Insgesamt leben dort lediglich rund 2 Millionen.

Mögliche Eskalation im Westjordanland

Die Versorgungslage ist weiterhin dramatisch. Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser seit Kriegsbeginn vor einem Monat steigt nach Angaben des Hamas-kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 10.569.

Sicherheitsbeamte warnen außerdem seit Wochen vor einer möglichen Eskalation auch im Westjordanland. Nun beraumte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für Mittwoch ein Treffen mit Ver­tre­te­r*in­nen der Siedlerbewegung im besetzten Westjordanland an. Dort und in Ostjerusalem wurden seit dem Überfall der Hamas auf Israel und dem Ausbruch des Krieges 153 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Razzien des israelischen Militärs getötet. Siedlerangriffe auf Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen im West­jordanland nahmen erneut und sprunghaft zu.

Aus Washington kamen bereits mehrfach Aufforderungen an Regierungschef Netanjahu, extremistische Sied­le­r*in­nen für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. Zuletzt betonte dies Vizepräsidentin Kamala Harris am Dienstag in einem Gespräch mit dem israelischen Präsidenten Itzhak Herzog. Dass es dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Denn die ultrarechte Netanjahu-Regierung besteht zu großen Teilen aus ebendiesen ideologischen Siedlern, und der schwer angeschlagene Netanjahu unternimmt alles, um seine Regierungskoalition aufrechtzuerhalten.

Heftige Kritik kam von Ver­tre­te­r*in­nen der Kibbuzim und Ortschaften im südlichen, an den Gazastreifen angrenzenden Israel. Dass Netanjahu sich mit den Sied­ler­füh­re­r*in­nen trifft, während er seit dem Großangriff der Hamas noch kein einziges Treffen mit den Betroffenen im Süden organisiert hat, sorgte für großen Unmut. Kurz darauf verkündete Netanjahus Büro auch ein Treffen mit ihnen.

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3 Kommentare

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  • Die WHO erklärt soeben, dass die ersten beunruhigenden Zeichen für Masseninfektionen in Gaza sichtbar sind. Die Anzahl der an Durchfall leidenden Kinder haben sich verzehnfacht, es seien mehr als 30000. Auch Läuse und Krätze breiten sich aus.

    Sie weist darauf hin, dass mangelernährte und an Wassermangel leidende Menschen besonders empfindlich für Infektionserkrankungen seien. Es gebe keine Impfungen etc. mehr, keine Maßnahmen, um Infektionen verhindern zu können.

    Das Wetter werde kälter und die durch Nahrungsmittelmangel geschwächten Menschen werde dann noch anfälliger werden für Masseninfektionen.

    Besonders gefährdet seien 50000 schwangere Frauen und mehr als 300000 Kinder unter 5 Jahren.

    Was die WHO berichtet ist, dass - wenn es so weiter geht - wir Masseninfektionen unter durch Hunger und Wassermangel geschwächten Menschensehen sehen werden. Bei Schwächung durch Unger und Wassermangel werden sich Erkrankungen noch einmal schlimmer auswirken.

    Das Ergebnis könnte geradezu unvorstellbar sein. Aber wenn wir dann sagen, es sei unvorstellbar gewesen, ist es in Wirklichkeit falsch. Hinter den trockenen Worten der WHO verbirgt sich die Botschaft, dass erste Infektionstrends erkennbar sind. Es ist also vorhersehbar.

    Am Ende könnte ein erheblicher Teil der Menschen einfach sterben, wenn das schlimmste passiert. Leider ist das laut WHO nicht übertrieben.

    Hier die Stellungnahme der WHO:

    www.emro.who.int/m...ems-disrupted.html

    In einem Fokus-Interview berichtet eine deutsche Psychologin, dass sie nur 700 Kalorien pro Tag in Gaza erhalten habe und jetzt lernen müsse, zu essen. Sie war für Ärzte ohne Grenzen tätig und hat daher mehr Kalorien bekommen als andere.

    Lese ich die WHO-Stellungnahme, ergreift mich Grauen. Was, wenn das kommt, wofür nun die Anzeichen beginnen?

    Die Bedingungen sind da, schon morgen können Masseninfektionen ausbrechen.

    • @PolitDiscussion:

      Herzlichen Dank für Ihren alarmierenden Bericht! Himmelschreiende Verhältnisse sind das.

  • Mahnung aus Washington

    „Die Verantwortlichen sollten sich nicht der Illusion hingeben, dass mit roher Gewalt ein gewünschtespolitischesErgebnis erzielt werden könnte. Sowohl in Afghanistan als auch im Irak haben die USA auf die harte Tour gelernt, dass überlegene militärische Macht zwar nützlich ist, um Gegner auszuschalten, aber selten das angestrebte politische Ziel erreicht.“ (Charles A. Kupchan, Washington D.C., Professor für internationale Beziehungen an der Georgetown University und Senior Fellow beim Council on Foreign Relations, Sonderberater des Präsidenten Barack Obama und leitender Direktor für europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat. Quelle: IPG, 6.11.2023)