piwik no script img

Integrationsdebatte und RassismusBitterer Nachgeschmack

Gastkommentar von Tuba Ahmed-Butt

Der Diskurs über die Hintergründe der Gewalt in der Silvesternacht ist wenig zielführend. Konstruktive Lösungsansätze kommen dabei viel zu kurz.

Nicht nur im rechtsextremen Milieu ist Rassismus verbreitet Foto: imago stock

W as muss ich sein oder machen, damit ich deutsch bin?“, fragt Dilan Sözeri. Die 17-jährige Jugendliche war von mehreren Tätern rassistisch beleidigt und dann zusammengeschlagen worden. Betrachtet man die seit der Silvesternacht in Deutschland stattfindende Integrationsdebatte in der Metaebene, so wird schnell deutlich, weshalb Politikwissenschaftler Carlo Masala diese Debatte „nicht gut für die Zukunft dieses Landes findet“ und anführt, dass sie „komplett aus dem Ruder läuft“.

Wenn wir nämlich so weit sind, dass die führenden deutschen Politiker von „Integrationsverweigerern“ (Faeser, SPD) und dem „Phänotypus: westasiatisch, dunkler Hauttyp“ (de Vries, CDU) sprechen, von „bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund“ (Fae­ser, SPD), „kleinen Paschas“ und „Jugendlichen aus dem arabischen Raum“ (Merz, CDU) zusammen mit „ungeregelter Migration“, „gescheiterter Integration“ (Spahn, CDU) und „kultureller Überfremdung“ (Adler, FDP) und wenn keine dieser polemisch verwendeten Begriffe und Denunzierungen aus dem AfD-Milieu, sondern aus der bürgerlichen Mitte stammen, dann müssen wir doch laut aufschreien.

Es muss diesen Politikern doch bewusst sein, dass mit ihrer Sprache nicht nur die sozioökonomisch benachteiligte, kriminell auffällig gewordene und vom Rechtsstaat geahndete kleine Gruppe von 38 Personen in Berlin-Neukölln ansprechen, sondern alle 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Die Debatte über Integration, Migration und dunklen Hauttyp trifft unweigerlich uns alle.

Der gravierendste Fehler bei der Debatte nach Silvester ist die irrtümliche Annahme, der Migrationshintergrund der gewalttätigen Jugendlichen sei Grund für die Gewalt gegen Polizei und Rettungssanitäter. Tatsächlich ist Gewalt, in der Polemik der aktuellen Debatte formuliert, auch deutsche Norm. Stichwort Dresden 2021, Borna 2022, Lützerath 2023. So sieht auch Jugendrichter Andreas Müller nicht die Herkunft als das Problem, sondern vielmehr „ob diese Jugendlichen eine Perspektive haben“.

Tuba Ahmed-Butt

ist gebürtige Frankfurterin mit Migrationshintergrund. Die studierte Humanmedizinerin und Mutter schreibt regelmäßig Gesellschafts- und Medienkritiken zum Thema Spaltung und Ungerechtigkeit.

Entscheidend ist der Vorname

Gewalt gegen unsere Einsatzkräfte und Rettungskräfte ist zu verurteilen und strafrechtlich zu verfolgen. Die Polemik dieser entgleisten Integrationsdebatte ist dennoch fatal, denn sie perpetuiert rassistische Narrative. Menschen mit Migrationshintergrund wird „kulturelle Überfremdung“ angelastet, anstatt sie als Bereicherung wahrzunehmen. Das ist die laute Debatte, die geführt wird. Das bleibt in den Köpfen hängen.

Das Ziel, dass Menschen mit Migrationshintergrund irgendwann auch tatsächlich als Deutsche wahrgenommen werden und nicht als Fremde, rückt damit nicht gerade näher. Die Diskriminierung deutscher Tatverdächtiger anhand ihrer Vornamen ist der Gipfel der rassistischen Narrative. Der Soziologe und Bildungsforscher El Mafaalani bringt es auf den Punkt: „Das Signal ist, selbst wenn ihr eingebürgert seid, selbst wenn ihr hier geboren seid, am Ende gucken wir uns noch mal euren Vornamen an.“

Das Signal ist das Gegenteil von dem, was eine sinnvolle zukunftsorientierte Integrationspolitik wäre. Ironischerweise wird die aktuelle Integrationsdebatte weder zu einer verbesserten Sicherheitssituation unserer Rettungskräfte führen, noch zu mehr Achtung und Respekt vor dem Staat. Im Gegenteil: Das Ergebnis ist Frustration, ist Verbitterung und Spaltung auf beiden Seiten. Die einen kämpfen darum, als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden, und die anderen rufen laut, dass sie hier nichts zu suchen haben.

Einen Tag nach dem Auftritt des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz bei Markus Lanz, wo er sich darüber echauffiert, dass in Deutschland alle Menschen die gleichen Chancen hätten, veröffentlicht die Integrationsbeauftragte und Beauftragte für Antirassismus, Reem Alabali-Radovan, einen Bericht, der genau das Gegenteil belegt. Merz setzt obendrauf, dass Deutschland durch die heute 8-jährigen Grundschüler, die er als „kleine Paschas“ denunziert, eine Bedrohung besteht.

40% der unter Fünfjährigen

Das sind Kinder, für die wir als Gesellschaft die Verantwortung tragen. In welcher verzerrten Realität leben Merz und seines Geistes Brüder? Glücklicherweise positionierte sich Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey umgehend gegen diese „absurde Debatte“, die uns keiner Lösung näherbringt. Welche Versäumnisse müssen wir jetzt aufholen? Wem müssen wir zuhören? Und wen müssen wir unterstützen? Wo investiert Deutschland in die Zukunft?

Wie sieht die Bildungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Migrationsgesellschaft aus? Schon heute weisen 40 Prozent der unter Fünfjährigen Migrationshintergrund auf. Welchen Lösungsansatz gibt es gegen den eklatanten Lehrermangel in Deutschland? Welche Projekte sind geplant, um gegen die Benachteiligung von Schülern und Schülerinnen mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem anzugehen? Das sind unsere eigentlichen Baustellen.

Die Ergebnisse des von Franziska Giffey initiierten Jugendgipfels sind die „ausgestreckte Hand“ und das „Stoppsignal“. Diesen Lösungsansatz gilt es, konsequent und langfristig voranzutreiben, wenn man sich gesellschaftlichen Frieden wünscht. Die Jugendlichen von heute sind unsere Lehr- und Pflegekräfte von morgen – mit oder ohne Migrationshintergrund. Das rassistische Narrativ ist nicht mehr nur rechts. Es ist mitten in der Politik, mitten in der Gesellschaft, steckt in unseren Köpfen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser liegt falsch: Diese Debatte kann nicht geführt werden, „ohne rassistische Ressentiments zu schüren“. Die letzten Wochen haben das einmal mehr gezeigt. Struktureller Rassismus ist tief in uns drin und der Lagebericht „Rassismus in Deutschland“ ein unwiderlegbarer Nachweis dessen, was 90 Prozent der Menschen schon lange fühlen: Deutschland hat ein Rassismusproblem.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ein Nachgeschmack ergibt sich in diesem Zusammenhang aus ganz anderen Gründen.

    Journalisten haben in großen Teilen eine objektive Berichterstattung über Fakten unterlassen, da sie die sich hieraus abzusehende Debatte als nicht zielführend erachtet haben. Der Pressekodex sieht anderes vor.

    Es wurde stets darauf verwiesen, dass erst alle Fakten aufgeklärt werden müssten, gleichzeitig wurde die Aufklärung von Fakten jedoch - auch politisch - torpediert.

    Auf dieser Basis wird sich nichts zum Besseren ändern. Eingeständnis, dass die Integration in Teilen nicht gelungen ist - Fehlanzeige. Benennung des Problems von Brennpunkten - Fehlanzeige. Verbesserung an Schulen - Fehlanzeige. Verbesserung der Jugendarbeit - Fehlanzeige. Strafverfolgung - Fehlanzeige. Das wird es alles nicht geben. Schulabbrecher in Deutschald 49.000 p.a.

    Wir würden keine 400.000 Facharbeiter aus dem Ausland brauchen, wenn wir Probleme ohne Scheuklappen benennen und diese auch anpacken würden.

  • Dem Beitrag ist nicht hinzuzufügen, als dass ein jeder in seinem Umfeld gegen diesen Rassismuss seine Stimme erhebt und das auch im Freundeskreis....