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IntegrationRespektierte Minderheit

Deutschenfeindlichkeit ist an einem Hamburger Gymnasium ein Fremdwort. Die gemeinsame Perspektive hält Migranten und Deutsche zusammen.

Kommt in der Schule mit allen gut klar, ob Moslem oder Christ, Deutsch oder Nicht-Deutsch: Orhan Uzun. Bild: Miguel Ferraz

"Diskriminiert habe ich mich noch nie gefühlt", sagt Tim Borchert. Der 20-Jährige besucht das Emil-Krause-Gymnasium in Hamburg-Dulsberg. Obwohl er zur Minderheit der deutschen Schüler gehört, fühlt er sich wohl in dieser Schule. "Hier herrscht eine gute Atmosphäre, egal woher man kommt", sagt der angehende Abiturient.

Seit Monaten steht Deutschenfeindlichkeit an Schulen auf der Agenda der Integrationsdebatte ganz oben. Mobbing und Ausgrenzung an Schulen mit einem hohen Ausländeranteil richteten sich immer öfter gegen die Minderheit der deutschen Schüler. Diese würden beschimpft, bedroht und angegriffen, "weil sie Deutsche sind", sagt die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU).

Deutschenfeindlichkeit hat Tim bislang nicht erfahren, obwohl er eine Schule besucht, an der in den vergangenen zehn Jahren der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund von etwa 50 auf 75 Prozent gestiegen ist. Hier lernen Schülerinnen und Schüler aus 58 verschiedenen Nationen zusammen. Multikulturalität und Multikonfessionalität sind am Emil-Krause-Gymnasium ein fester Bestandteil des Schulalltags. So ist auch das alte Schulmotto "Bei Krause ist die Welt zu Hause" kein visionäres, sondern eine schlichte Beschreibung der Gegebenheiten.

Tim gehört mit seinen drei Mitschülerinnen Mandy Kiewel, Angela Büsching und Jennifer Mohr zu den wenigen Deutschen in seinem Englischkurs. So genau wissen die Vier aber auf Anhieb nicht, wie viele Deutsche und Migranten es in dem Kurs gibt. Bei diesen ganzen Integrationsdebatten habe er sowieso nie richtig mitbekommen, "was überhaupt Migrationshintergrund ist", sagt Tim. Wenn die Eltern schon dreißig Jahre in Deutschland leben, hat man da noch einen Migrationshintergrund? Eine Frage, die für Tim gar keine ist: "Ich würde sie als Deutsche ansehen."

Für die Schüler sei es gar nicht so wichtig, welchen Hintergrund ihre Mitschüler haben, sagt Englischlehrerin Antje Josch. In erster Linie seien sie durch das Lernen miteinander verbunden. "Sie fragen sich teilweise nicht einmal, woher sie kommen", sagt auch Schulleiter Rüdiger Radler. "Sie erleben sich als Schüler dieser Schule." Die Gemeinschaft stehe im Vordergrund. Vor dem Lehrerzimmer hängt eine Art Schul-Grundgesetz, 1994 von einer zehnten Klasse angefertigt. In nahezu jeder Zeile hebt es die Bedeutung der Schulgemeinschaft hervor. "Ich und Gemeinschaft leben voneinander", heißt es dort. Radler sagt: "Diese Regeln wollen wir leben."

An Diskriminierung kann sich nur Jennifer erinnern. Es geht um einen Fall in der Grundschule. Da wurde allerdings nicht sie, sondern "eine türkische Mitschülerin von den Deutschstämmigen in der Klasse so ein bisschen ausgegrenzt", erzählt die 18-Jährige. Ausgrenzung oder "irgendwelche rassistischen Bemerkungen" habe sie auf dem Emil-Krause-Gymnasium "noch nie erlebt", sagt auch Mandy.

Selbst im Religionsunterricht, in dem es manchmal "heiß hergeht", seien die Schüler einander gegenüber sehr tolerant, sagt Religionslehrerin Saskia Joeres. Da säßen bekennende Atheisten neben gläubigen Muslimen und diskutierten über Gott und Glauben. Dies seien aber stets inhaltliche Diskussionen. Der Umgang der Schüler miteinander und auch mit den Lehrkräften sei "von einer gegenseitigen Akzeptanz geprägt". Seit November hat die Schule das gewissermaßen verbrieft: Vom Verein Aktion Courage bekam sie den Titel "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" verliehen.

Er komme mit allen gut klar, sagt Orhan Uzun. Er unterscheide nicht zwischen Moslem und Christ, Deutsch und Nicht-Deutsch. "Ich bin hier um zu lernen, und nicht um Party zu machen. Deswegen brauche ich gar nicht zu unterscheiden", sagt der 19-Jährige. Überhaupt sei diese Vielfalt an der Schule bereichernd, sagen die Schüler. "Ich habe viel Neues gelernt über andere Kulturen", sagt Tim. Diese Vielfalt finde sie "einfach schön", sagt Mandy. Auch Madina Nazari fühlt sich wohl auf der Schule, "weil so viele Kulturen vorhanden sind". Die Afghanin findet das "nur positiv".

Anders als die deutschen Schüler in dem Kurs, reagieren die meisten Schüler mit Migrationshintergrund jedoch beim Thema Diskriminierung sichtlich emotional. Fast alle von ihnen wurden schon mal diskriminiert. Ihr Gefühl für Heimat und ihr Verhältnis zum Deutschsein ist stets geprägt von der von ihnen wahrgenommenen Sicht der Deutschen auf die Migranten. Fremd- und Selbstwahrnehmung scheinen bei dieser Frage unauflöslich miteinander verbunden zu sein. Murat Polat sagt, er sei ein "deutscher Migrant". Er fühlt sich als Deutscher, weil er hier geboren und aufgewachsen ist, "aber gleichzeitig fühle ich mich auch als Migrant, weil von manchen Leuten immer noch deutlich gemacht wird, dass ich ein Ausländer bin, weil ich so aussehe", sagt Murat. Diskriminierung erfahre er fast täglich. In der Bahn werde er zum Beispiel oft von älteren Damen angemacht, wenn er Türkisch spreche. Da fielen Sätze wie: "Das ist hier Deutschland. Sprich mal Deutsch du Asi." Er möchte gar nicht mehr mit der Bahn fahren, sagt der 18-Jährige. Die Vorstellung, dass Deutsche wie Nicht-Deutsche ein Teil Deutschlands seien und somit eine Einheit bildeten, sei eine Utopie, ist sich nicht nur Murat sicher.

Warum es am Emil-Krause-Gymnasium trotz der unterschiedlichen religiösen, kulturellen aber auch sozialen Herkunft der Schüler nicht zu Ausgrenzung und zu Feindseligkeiten kommt, dafür haben fast alle Schüler eine Antwort parat: Weil Emil-Krause eben ein Gymnasium ist. "Das ist immer noch was anderes als eine Hauptschule", sagt Tim. "Vielleicht auch, weil es hier bestimmte Regeln gibt, die eingehalten werden müssen", sagt Jennifer. Ansonsten "kriegt man halt auch richtig Ärger".

Für viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sei das Abitur "ein besonderes Ziel", sagt Schulleiter Radler, denn viele von ihnen seien auf "Umwegen und Irrwegen, einschließlich teilweise Flucht, Vertreibung und politischer Verfolgung schließlich in diese Schule gekommen". Diese Schüler wüssten "viel mehr, was es bedeutet, hier eine Bildungschance zu erhalten".

Die Autorin hat am Emil-Krause-Gymnasium 2006 Abitur gemacht

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5 Kommentare

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  • Y
    Y.S

    Ich habe am Emil-Krause-Gymnasium 2009 Abitur gemacht.

     

    Es ist alles richtig was im Artikel steht. Ich habe es selbst erlebt aber ich finde auch, dass das Zusammenleben gut funktioniert, gerade weil mehrere Nationen vorhanden sind und keine Nation in Mehrheit ist nicht mal die Türken. Was ich sagen will, wäre z.B nur 2 Nationen beispielweise Türken und Deutsch denn hätte das Zusammenleben nicht wirklich funtioniert und es gäbe Mobbing, Ausgrenzung und Grupenbande. Mann kann andere Schulen bzw.Gymnasium besuchen wo es wirklich 2 oder 3 Nationen, die in Mehrheit sind, gibt und da wird nur von viele Probleme hören.

  • Y
    Y.S

    Ich habe am Emil-Krause-Gymnasium 2009 Abitur gemacht.

     

    Es ist alles richtig was im Artikel steht. Ich habe es selbst erlebt aber ich finde auch, dass das Zusammenleben gut funktioniert, gerade weil mehrere Nationen vorhanden sind und keine Nation in Mehrheit ist nicht mal die Türken. Was ich sagen will, wäre z.B nur 2 Nationen beispielweise Türken und Deutsch denn hätte das Zusammenleben nicht wirklich funtioniert und es gäbe Mobbing, Ausgrenzung und Grupenbande. Mann kann andere Schulen bzw.Gymnasium besuchen wo es wirklich 2 oder 3 Nationen, die in Mehrheit sind, gibt und da wird nur von viele Probleme hören.

  • E
    E.A.

    Ich habe 2009 auf dem Emil-Krause Gymnasium Abitur gemacht und diese Schule ist die positivste Erfahrung meines Lebens gewesen.

    Diskriminierung war während dieser Zeit für mich ein Phänomen aus dem Fernseher und aus der Zeitung, denn diese Schule war für mich der Inbegriff des friedlichen Zusammenlebens verschiedenster Kulturen. Erst hier habe ich erlebt, was Integration im Wortsinn bedeutet: Beibehaltung der eigenen kulturellen Identität und friedliches Leben an einem Ort. In der öffentlichen Diskussion wird dies oft mit Assimilation verwechselt (ich finde das nicht grundsätzlich negativ: Ich bin auch zum Großteil assimiliert, weil ich vieles aus meiner ursprünglichen Kultur verlernt/vergessen habe und mich mehr Deutsch fühle als türkisch). Auch ich habe mich mit so gut wie allen verstanden auf dieser Schule und da bin ich nicht der einzige, der diese Erfahrung machen durfte.

    Die ersten Erfahrungen der Diskriminierung habe ich gemacht, als ich diese Schule vor einem Jahr verlies und mein Studium in Heidelberg begonnen habe. Eine völlig ungewohnte Situation, ausgeschlossen zu werden, zu beobachten, wie sich homogene ethnische Gruppen bilden, die sich von anderen völlig abschotten. Meine anfängliche Kontaktfreudigkeit schwankte um in Zurückhaltung und ich merke selber an mir, wie ich mich mehr und mehr "türkisch" fühle, einfach deshalb, weil ich so behandelt werde. Klar habe ich auch hier viele Freunde gefunden, denen das egal ist, aber das Grundgefühl des "Andersseins" ist nicht weg.

     

    Integration kann so einfach sein und es will mir auch nicht in den Kopf rein, wieso jemand einen anderen ausschließt, nur weil er einen anderen Ursprung hat als er. Damit meine ich nicht nur die "Deutschen", sondern auch die Migranten.

  • OU
    Orhan U.

    Guten tag auch,

    sehr guter Artikel kann ihc nur sagen.

    Ich bin Orhan U. aus dem Artikel und wollte eigentlich nur meine Aussage verdeutlichen, denn so wie sie nun ist scheint sie mir doch recht unverständlich. Es handelt sihc um "Ich bin hier um zu lernen, und nicht um Party zu machen. Deswegen brauche ich gar nicht zu unterscheiden" um diese Stelle. Der kontext wäre wohl nützlich zu wissen um zu verstehen was ich damit sagen will :), nähmlich das ich außerhalb der Schule darauf achte mit wem ich verkehre.Zum beispiel feier ich mit freunden die ähnlichkeiten mit mir haben (zb. nicht Trinken oder eine gewisse art von ähnlichkeit in unserer Moral und in unsererm Verhalten herschen). uUnd nun müsste meine Aussage kiommen : "Ich bin hier um zu lernen, und nicht um Party zu machen. Deswegen brauche ich gar nicht zu unterscheiden"

     

    mfg

    Orhan U.

  • K
    Kamabi

    Dieser Artikel, reflektiert eine Perspektive die die Gemeinschaft im Fokus hat. Endlich mal ein Artikel wo die betroffenen selbst befragt werden und wo die verschiedenen Perspektiven von deutschen oder nicht deutschen oder deutschen mit Migrationshintergrund oder deutsch deutsche oder einfach nur Schüler die von wo anders herkommen, hervorgehoben wird ohne ein Abbild von einer heilen romantischen Welt vor zu gaukeln. Der gemeinsamer Nenner, wie im Artikel vorgehoben, ist die Schulbildung das Abitur. Künstliche Grenzlinie finden bei den befragten nur spott. Ich danke der Verfasserin des Aritkels für diesen Ausschnitt aus dem Alltag . Ich hoffe, dass sich das Miteinander auf dieser Schule, sich auf andere Schulen und auf die Gesellschaft überträgt.