Instrumentenbau im Senegal: Der Klang des Flaschenkürbis

Die Kora ist ein traditionelles Musikinstrument aus Westafrika. Sie zu bauen ist aufwändig, wie der Blick in eine senegalesische Werkstatt zeigt.

Fertiggestellte Koras lehnen an einer Wand in der Werkstatt von Monsieur Mendy im Senegal

Fertiggestellte Koras in der Werkstatt von Monsieur Mendy im Senegal Foto: Katrin Gänsler

Jean-Paul Mendy sitzt auf einem Metallhocker vor einer Werkbank, auf der Schraubenzieher in verschiedenen Größen, Pinsel, Stimmgerät und ein Tuch liegen. Auf seinen Beinen balanciert er einen langen, schmalen Steg aus Holz, an dem über schwarze Wirbel Saiten befestigt sind. Der große Klangkörper liegt auf dem Hocker links neben ihm.

Stets zupft Mendy nach und nach an jeder Saite – 21 bis 25 sind es üblicherweise – und lauscht dem Klang hinterher. Ansonsten ist es in der Werkstatt still. Wenn er noch nicht ganz zufrieden ist, dreht er minimal am Wirbel. Es dauert nicht mehr lange, bis er die nächste Kora aus dem Benediktinerkloster Keur Moussa in Senegal fertiggestellt hat.

Jedes Jahr werden in der Werkstatt bis zu 50 dieser Stegharfen gebaut. Das rund sieben Kilogramm schwere Instrument hat in Teilen Westafrikas eine lange Tradition und wird außer in Senegal vor allem in Mali, Guinea und Gambia gespielt. Viele Mu­si­ke­r:In­nen gehören der Ethnie der Mandinka an.

Sterne als Soundsignatur

Verantwortlich für die Korawerkstatt ist Mönch Lazare Gomis. „Einige Instrumente haben zwei Sterne“, sagt er und zeigt auf die kleinen Metallsterne, die am Steg befestigt sind. „Sie stehen für einen besonders guten Klang.“ Dafür müssen Käu­fe­r:In­nen umgerechnet mehr als 1.000 Euro bezahlen. Gegründet wurde das Kloster kurz nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1963 von neun Benediktinermönchen.

Nach Westafrika kamen sie ursprünglich aus der Abtei Sankt Peter zu Solesmes im Nordwesten Frankreichs, bekannt für ihre gregorianischen Gesänge. Als Standort wählten sie Keur Moussa, eine Autostunde östlich der Hauptstadt Dakar gelegen. Aus Wolof, der am meisten gesprochenen Sprache im Land, übersetzt heißt das „Haus des Moses“. Bis heute ist Senegal allerdings durch und durch muslimisch geprägt, Chris­t:In­nen machen nur etwa 5 Prozent der knapp 18 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen aus. Alle sprechen von einem guten Zusammenleben. Mit Léo­pold Sédar Senghor war zudem der erste Präsident ein Katholik.

Die Zeit der Gründung fiel ins Zweite Vatikanische Konzil, das mehr als drei Jahre tagte und schließlich im Dezember 1965 endete. Gerade für die vielerorts noch junge Kirche in Afrika waren die Änderungen von großer Bedeutung. Gottesdienste durften in lokalen Sprachen gefeiert und traditionelle Instrumente genutzt werden.

Airplay im Radio

Gleichzeitig kamen die ersten Mönche mit der Kora in Kontakt, hörten ihre Klänge im Radio und erhielten als Geschenk ein Instrument. Lazare Gomis zeigt auf die jahrzehntealte Kora, die bis auf kleine Unterschiede – die Wirbel waren damals noch nicht schwarz und aus Plastik – noch so aussieht wie das neueste Exemplar, das Jean-Paul Mendy gerade stimmt.

Der Klosterleitung gefiel die Idee offenbar gut, traditionelle Lieder und Instrumente – dazu gehören auch das Balafon, welches einem Xylophon ähnelt, sowie die Djembé, eine Bechertrommel – zu nutzen. „Bruder Dominique Catta wurde beauftragt, danach zu suchen“, sagt der Mönch. Nach und nach wurden sie sowohl mit der Liturgie wie auch gregorianischen Gesängen, die ihren Ursprung wiederum im Europa des 7. oder 8. Jahrhunderts haben, verknüpft. Diese Verbindung gilt weltweit als einzigartig und hat das Kloster weltberühmt gemacht.

Dabei wurde die Kora ursprünglich nicht für religiöse Zwecke als genutzt. Stattdessen ist sie das Instrument der Griots. Das sind berufsmäßige Sänger, Dichter und Geschichtenerzähler, die einst in Teilen Westafrikas von Dorf zu Dorf zogen. In Zeiten ohne Internet und Fernsehen versammelten sich die Be­woh­ne­r:In­nen abends unter freiem Himmel, um ihren Vorträgen und Liedern zuzuhören.

Verschwundene Tradition Griots

Es heißt, dass der französische Kapuzinermönch Alexis de Saint-Lô, der von 1633 bis 1639 in das heutige Guinea und Mali entsandt wurde, zum ersten Mal über den Begriff Griot schrieb. Inzwischen ist die Tradition weitgehend verschwunden. In einigen Ländern gibt es im staatlichen Fernsehen noch Märchenstunden für Kinder. In Benin beispielsweise haben sich moderne Griots zum Nationalen Netzwerk der Griots von Benin (RENAGRiB) zusammengeschlossen und organisieren Workshops und besuchen Schulen.

Zum Erhalt der Kora tragen aber auch immer mehr Künst­le­r*in­nen aus Westafrika bei, die längst nicht mehr nur auf Weltmusik-Festivals auftreten, sondern ein viel breiteres Publikum gefunden haben. Zu ihnen gehört der 2020 verstorbene Mory Kanté aus Guinea. Sein Song „Yéké Yéké“ wurde 1988 in Europa zum Hit, mit dem er in Deutschland und der Schweiz jeweils Platz zwei der Charts erreichte. Ein Remix stammt vom deutschen Techno-Duo Hard­floor.

Ebenfalls aus Guinea und einer Griots-Familie kommt Sekou Kora Kouyaté, der die Kora mit Elementen aus Jazz, Blues, Soul, Funk und Afro-Pop mischt. Mitunter wird er als „Jimi Hendrix der Kora“ bezeichnet. Im Video zu seinem Song „Dérangé“ ist der Künstler samt Kora in einer französischen Großstadt zu sehen.

Bindeglied

In einem Interview mit Sitanews, einem Internetmagazin für Kultur- und Kunstthemen aus Afrika und der Diaspora, sagte er 2020: „Die Kora hat mir die Tür zu einer Zusammenarbeit mit vielen berühmten Künstlern geöffnet.“ Es sei eine Freude zu sehen, wie eine junge Generation nun Kora spiele. Die Verbindung zwischen Tradition und Moderne gelingt.

Frauen spielen das Instrument bis heute allerdings äußerst selten, da Wissen und Fertigkeiten traditionell an männliche Nachfahren weitergegeben wurden. Bekannte Stegharfen-Spielerinnen sind allerdings Madina N’Diaye, die aus Timbuktu im Norden Malis stammt, sowie die gambisch-britische Künstlerin Sona Jobarteh. Sie hat am Royal College of Music in London Cello, Klavier und Cembalo studiert. 2015 gründete sie The Gambia Academy in ihrem Heimatland, eine Musikschule, an der die Schü­le­r:In­nen auch Unterricht an traditionellen Instrumenten erhalten.

Meist einen Kora-Kurs pro Jahr bietet das Kloster Keur Moussa an. Als das Instrument in den Gottesdiensten der kleinen, schmalen Klosterkirche immer häufiger zum Einsatz kam, interessierten sich auch andere Klöster in der Region für die Stegharfe. 1972 entstand schließlich die Werkstatt, in der bis heute 2.203 Exemplare des Instruments gebaut wurden. Einige werden bis nach Europa verkauft. Eines ist garantiert: Jedes Instrument ist ein Unikat.

Getrocknete Hülle der Kallebasse

Das liegt schon an dem ungewöhnlichen Klangkörper, einer Kalebasse. Das ist ein halber, ausgehöhlter und getrockneter Flaschenkürbis, der üblicherweise zum Transport von Wasser und Getränken genutzt wird. Um zur Kora weiterverarbeitet zu werden, muss die Hülle ein Jahr lang getrocknet werden. „Es passiert, dass die Kalebasse dadurch Risse bekommt und unbrauchbar wird“, sagt Mönch Lazare Gomis. Bespannt wird sie anschließend mit Kuhleder, das mit Metallnieten befestigt wird.

Danach folgen der Steg aus Holz sowie die Wirbel und die Saiten. Letztere wurden ursprünglich aus Tierdarm hergestellt und die Wirbel einst aus Holz geschnitzt, was die Kora zu einem absolut lokalen Produkt machte. Einfach sei das Stimmen aber nicht gewesen, so Gomis, weshalb letztere heute in Japan bestellt werden. Aufgabe der Werkstatt sei es in den vergangenen 50 Jahren auch gewesen, das Instrument zu verbessern und weiterzuentwickeln.

Damit ist Keur Moussa zu einer Attraktion für Tou­ris­t:In­nen geworden, die dafür aus Dakar anreisen. Zur Hauptmesse am Sonntag um 10 Uhr finden längst nicht alle in der Kirche einen Platz. Vor dem Eingang ist deshalb ein Zelt aufgebaut. Extra aus Thiès angereist ist Céline Diop. Sie könnte auch in jede andere Kirche gehen. Die Kora, findet sie, eigne sich jedoch hervorragend als Instrument für Gottesdienste. „Mit ihr entsteht einfache Musik. Damit komme ich wirklich zur Ruhe.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.