Inspektion von Öko-Betrieben: Hühner streicheln statt Aktenwälzen
Seit 2014 überprüfen Kontrolleure auf vielen Bio-Höfen, wie es dem Vieh geht. Jetzt arbeiten zwei Bundesländer daran, künftig alle Betriebe zu überprüfen.
Schmidt – 34 Jahre, diplomierte Agraringenieurin – ist Bio-Kontrolleurin. Heute soll sie prüfen, wie es den Tieren auf dem Ökohof von Christine Raffenberg im westfälischen Dorf Ostbüren geht. Nach einem Muster, das die Göttinger Öko-Kontrollstelle „Gesellschaft für Ressourcenschutz“ für die Agrarministerien von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen entwickelt hat und das jetzt erprobt wird.
Eine ähnliche Inspektion bekommen bereits Höfe, die den Ökobauernverbänden Bioland, Biokreis, Demeter, Gäa oder Naturland angehören. Diese Organisationen schreiben ihren Mitgliedern höhere Haltungsstandards als die Bioverordnung der Europäischen Union vor. Nur wenige Kontrollstellen führen Tierwohlchecks auch bei EU-Bio-Betrieben durch. Das neue Projekt soll nun die schätzungsweise 40 Prozent der Öko-Viehhalter erfassen, die bislang keine solche Überprüfung erhalten.
Auch diese etwa 6.000 Bio-Höfe müssen eigentlich wie alle Nutztierhalter von den Veterinärbehörden überwacht werden. Aber die Ämter sind so überlastet, dass sie lediglich wenige Ställe inspizieren. Die Bio-Kontrollstellen kommen zwar mindestens einmal im Jahr zu jedem Öko-Betrieb. Doch sie kümmern sich in erster Linie darum, wie groß etwa die Ställe sind, wie viele Luken nach draußen es für Geflügel gibt oder ob ein Auslauf vorhanden ist. Wie es den Tieren gehen soll, dazu macht die maßgebliche EU-Ökolandbau-Verordnung nur vage Angaben, etwa dass „hohe Tierschutzstandards beachtet“ werden müssten.
Kontrolle vor Ort
Prompt wurde nach Skandalen vor allem in großen Bio-Legehennenfarmen Kontrolleuren vorgeworfen, zu wenig die Hühner im Stall und fast ausschließlich die Akten im Büro inspiziert zu haben. Viele Hennen in den betroffenen Betrieben waren völlig zerrupft und teils verletzt, Kadaver lagen offenbar tagelang auf dem Boden. Und das, obwohl Verbraucher Umfragen zufolge sich vor allem deshalb für Bio entscheiden, weil sie artgerechtere Haltungsbedingungen unterstützen wollen. Aus diesen Gründen hat ihre Kontrollstelle Ann-Kathrin Schmidt heute zu dem Hof in Ostbüren geschickt. Zuerst hat sie anhand der Berichte aus dem Schlachthof kontrolliert, wie viele Schweine zum Beispiel Lungenkrankheiten hatten. Da war alles im grünen Bereich.
Jetzt streift sich Schmidt Plastiküberzieher über die Schuhe, damit sie keine Keime in die Ställe einschleppen kann. In den Schweineställen des Hofs geht sie von Abteil zu Abteil. So langsam wie möglich, damit die Tiere nicht zu schnell wegrennen. „Sonst kann man nicht erkennen, dass eines lahmt“, erläutert Schmidt. „Falls die sich jetzt alle da hinten in der Ecke drängen, wenn Menschen reinkommen, könnte das bedeuten, dass das Mensch-Tier-Verhältnis nicht gut ist und mehr Betreuung nötig wäre.“
Die Schweine laufen zwar zunächst weg, nähern sich Schmidt aber sofort wieder an. Ein Tier, das erst nicht aufsteht, scheucht sie auf. Nur wenige haben Kratzer oder husten. Keines hat einen angefressenen Schwanz. Aber in einem Abteil mit 12 Tieren ist das Stroh auf dem Boden sehr nass, die Schweine sind beschmiert mit Matsch. Es könnte sein, dass sie das so wollen, um sich abzukühlen an diesen 30 Grad heißen Sommertagen. Aber vielleicht stimmt auch etwas nicht mit der Tränke. „Das ist kein Verstoß gegen irgendetwas“, sagt Schmidt. Aber die Kontrollstelle wird den Bauern später diese Beobachtung mitteilen. In der kalten Jahreszeit will sie die Sache nochmals überprüfen.
Das kostet Geld und Zeit
Bei echten Mängeln verlangt die Kontrollstelle, dass der Tierhalter einen Plan vorlegt, wie er die Haltung verbessert. Dann kommt eine zusätzliche Inspektion. Das tut auch finanziell weh, denn alle Kontrollen muss der Hof selbst bezahlen. Wenn der Verdacht aufkommt, dass die Haltungsbedingungen gegen das Tierschutzrecht verstoßen, müssen die Öko-Kontrolleure die Veterinäre einschalten.
„Prinzipiell halte ich die Tierwohl-Kontrolle für nötig“, sagt Bäuerin Raffenberg. Aber dass das Ganze nun vier Stunden gedauert hat, „das ist schon nervig“, vor allem heute, wo sie ihre beiden Kinder betreuen muss, der Trecker kaputt ist und ihr Mann auf dem Feld arbeitet. „Bei einem kleinen Familienbetrieb, der bei der Regelkontrolle nie aufgefallen ist, sollte eine Stunde reichen“, findet die 28-Jährige. Sie hat ja nur 250 Mastschweine und 650 Legehennen. Manche Biofarmen haben beispielsweise Zehntausende Hühner.
Deshalb haben die Bioverbände bei mittleren Bestandsgrößen ihre Tierwohlchecks auf rund 30 Minuten je Tierart begrenzt. Das halten Schmidt und ihre Kontrollstelle für zu wenig. „Ich muss mir wirklich alle Herden anschauen“, sagt Schmidt. „Sonst könnte es ausgerechnet dort ein Problem geben, wo ich nicht war.“ Dennoch macht sie der Bäuerin Hoffnung: „Dieses Mal haben wir keine Probleme gefunden. Dann können wir in den nächsten Jahren voraussichtlich kürzer kontrollieren.“
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