Insolvenzantragspflicht gilt wieder: Mehr Pleiten, weil Sonderregeln
Ab Oktober müssen zahlungsunfähige Unternehmen wieder zügig Insolvenz anmelden. Das trifft vor allem kleine Einzelhändler.
Eine wirkungsvolle Regel endet aber zum 1. Oktober. Mussten seitdem Frühjahr Firmen, die überschuldet oder zahlungsunfähig waren, nicht mehr zwingend Insolvenz anmelden, gilt diese Lockerung bei Zahlungsunfähigkeit nun nicht mehr. Für überschuldete Unternehmen gilt die Lockerung noch bis Jahresende. 90 Prozent aller Pleiten erfolgen aber aufgrund von Zahlungsunfähigkeit.
„Es wird klar einen deutlichen Anstieg der Insolvenzzahlen geben, wenn die Sonderregeln wieder auslaufen“, fürchtet Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Inwieweit das gesamtwirtschaftlich dramatisch sein wird, müsse jedoch abgewartet werden. „Zum Teil werden einfach jene Insolvenzen nachgeholt, die es in den vergangenen Monaten nicht gegeben hat.“
Ähnliches befürchtet auch der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. „Es ist aus meiner Sicht tatsächlich mit einer Insolvenzwelle zu rechnen. Allerdings könnte sie etwas milder ausfallen als zunächst noch befürchtet, denn in vielen Branchen hat sich die Auftragslage in den vergangenen 2-3 Monaten doch erheblich verbessert.“
Meiste Firmen haben doch ganz gute Polster
Südekum verweist darauf, dass die diversen Stützungsmaßnahmen der Regierung, etwa die Liquidititätskredite der KfW, nicht so stark in Anspruch genommen wie zunächst gedacht. Das deute darauf hin, dass die meisten Firmen doch ganz gute Polster aus den 10 außerordentlich erfolgreichen Jahren vor der Krise hatten, die sie jetzt durch die Krise gebracht haben.
Als zahlungsunfähig gilt, wer mehr als 10 Prozent seiner Rechnungen nicht begleichen kann. Die Firma muss dann innerhalb von drei Wochen einen Finanzplan vorlegen, der darlegt, wie innerhalb von drei bis sechs Monaten sämtliche ausstehenden Rechnungen gezahlt werden. Diese Pflicht war seit dem Frühjahr ausgesetzt. Nun gilt sie wieder. Und sie dürfte vor allem kleine Unternehmen treffen: Gastronomie, Kulturbetriebe, kleine Buchläden und Einzelhändler um die Ecke.
Aber auch für viele Unternehmen der besonders von Corona gebeutelten Reise- und Veranstaltungsbranche dürften die kommenden Monate hart werden. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) hat erst jüngst in einer Umfrage unter seinen Mitgliedsunternehmen ermittelt, dass 61 Prozent ihre Existenz gefährdet sehen.
Für die Beschätigten, deren Firmen in die Insolvenz gehen, stehen Ökonom Südekum zufolge erstmal schwere Zeiten an. Denn es werde nicht so einfach werden wie vor der Krise, einfach anderswo einen neuen Job zu finden. „Die Beschäftigungsdynamik wird erstmal noch abgeschwächt sein“, sagt Südekum. „Diese Menschen sind auf dem Arbeitsmarkt die deutlichsten Corona-Verlierer.“
Keine Insolvenzwelle
Christoph Niering vom Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) rechnet dennoch nicht mit einer Insolvenzwelle. Das Kurzarbeitergeld, das bis Ende 2021 verlängert wurde, und andere Überbrückungshilfen dürften viele Betriebe am Leben halten.
Ökonom Steffen Müller vom eher marktgläubigen Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle sieht in der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes hingegen das Hauptproblem. Wenn sich die beginnende Erholung der Wirtschaft fortsetze, sei klar, dass dann vor allem solche Betriebe von dem Instrument Gebrauch machten, die schon vor Corona Probleme hatten. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sieht Müller weniger als Problem.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat ohnehin vor, Unternehmen in finanzieller Not über Corona hinaus Möglichkeiten zur Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu geben. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, Unternehmen, denen es gelingt, Gläubigern eine realistische Perspektive aufzuzeigen, ein Sanierungskonzept auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu ermöglichen. Im April 2021 soll das Gesetz in Kraft treten – wahrscheinlich zu spät für viele Betriebe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu