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Initiative von Jurastudierenden in BerlinStudis geben Flüchtlingen recht

Mit der Refugee Law Clinic wollen Studierende der Humboldt-Uni Geflüchteten nicht nur helfen, sondern auch politische Debatten anstoßen.

Ein Zimmer zu haben ist gut, wenn man als Flüchtling in Berlin ankommt. Aber die juristischen Probleme löst das noch nicht. Foto: dpa

Im deutschen Behördendschungel finden sich nur wenige Menschen alleine zurecht. Noch schwieriger wird es, wenn man das System gar nicht kennt, die Sprache nicht spricht und fremd im Land ist. Geflüchtete benötigen darum eigentlich eine juristische Begleitung, damit es ihnen möglich ist, den Weg zum Asylantrags zu bewältigen. Vor zwei Jahren beschlossen Berliner Studierende, diese Situation zu verbessern.

An der Humboldt-Universität (HU) haben Jura-Studierende, eine Refugee Law Clinic (RLC) zur Flüchtlingsberatung etabliert. „Law Clinics“ nennen sich studentische Rechtsberatungsstellen. Sie entstanden aus der Not heraus: Im juristischen Studium ist der praktische Teil der Ausbildung erst spät vorgesehen, anders als bei Medizinern, die direkt in der Klinik ihr Handwerk lernen.

An mehreren deutschen Universitäten versucht man darum seit einigen Jahren, gleich zwei Probleme auf einmal zu lösen: Der schwierige Zugang zum Recht für Geflüchtete und die fehlende Praxis in der juristischen Ausbildung. Studierende schulen sich darum selber im Asylrecht, um Asylbewerber später bei Behördengängen und im Prozess der Antragsstellung begleiten und beraten zu können.

Jura-Student Moheb Shafaqyar, heute 22 Jahre alt, ergriff 2013 die Initiative und wandte sich über den Fachschaftsrat an seine Mitstudierenden. Die Idee kannte er aus seiner Heimatstadt Köln, und auch in Berlin war das Echo riesig. Innerhalb kürzester Zeit erhielt er fast 100 Rückmeldungen von KommilitonInnen, die das Projekt unterstützen wollten. Nach einigen Treffen entschied man sich zur Gründung eines Vereins. Dann folgte die Kooperation mit der Universität.

Zwei Probleme auf einmal

Den Studierenden gelang es, dass die HU im Wintersemester 2014/2015 einen Lehrauftrag für eine Vorlesung erteilte. Um die 100 Studierende hörten sich die Einführung in deutsche und europäische Asylsystem an – freiwillig, weil viele von ihnen endlich einen größeren Sinn im Jurastudium sahen: „Man sitzt in einigen Vorlesungen und fragt sich, wofür mache ich das hier eigentlich? Mit der Law Clinic können wir zeigen, wie wir als Juristen den Menschen direkt helfen können. Das motiviert viele, zu uns zu kommen“, erklärt Shafaqyar.

Die Teilnahme an der Vorlesung ist Voraussetzung für die Beratung in der RLC. Außerdem müssen die BeraterInnen ein Praktikum bei einer Anwaltskanzlei mit Schwerpunkt Asylrecht oder bei einer NGO nachweisen, damit sie auch praktisch für die Arbeit mit den Geflüchteten gewappnet sind.

In der Rechtsberatung sind aber nicht nur Juristen gefragt. „Bei uns kommen die Studierenden etwa zur Hälfte aus anderen Fachbereichen. Die Refugee Law Clinic steht jedem offen“, sagt Shafaqyar. Er sieht die RLC jedoch nicht als aktivistisches Projekt: „Als professionelle RechtsberaterInnen versuchen wir eher den rechtspolitischen Handlungsbedarf aus menschenrechtlicher Perspektive in den Vordergrund zu stellen. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass das Asylrecht einen Platz in der juristischen Ausbildung benötigt.“ Das Asylrecht ist ein Untergebiet des Verwaltungsrechts, im Jurastudium hat man jedoch wenig Zugang zu dem Gebiet.

Moheb Shafaqyar betont, wie wenig der politische Hintergrund der Arbeit ins Gewicht fällt. „Wir betrachten das als eine Art Win-win-Situation, nicht als reine Selbstlosigkeit. Die Studierenden können zum ersten Mal mit Menschen und echten Fällen arbeiten und erhalten einen Einblick in die Berufstätigkeit. Im Gegenzug erfahren jene, die sonst nur schwierig Zugang dazu haben, eine qualitativ hochwertige Rechtsberatung.“ Ziel sei es, das Asylrecht in der juristischen Ausbildung zu verankern. „Wenn wir uns an der Uni etablieren wollen, müssen wir die politische Brisanz um das Thema ein wenig in den Hintergrund stellen.“

Großes Defizit überall

Auch wenn die Studierenden mehr Wert auf die rechtspolitische Debatte legen, ist ihr Engagement wichtig in der deutschen Flüchtlingspolitik, sagt Pro Asyl. „In Deutschland gibt es keine obligatorische Rechtsberatung für Flüchtlinge. Hier herrscht ein großes Defizit auf allen Ebenen“, so Bernd Mesovic, Sprecher der Menschenrechtsorganisation. „Die Arbeit von Refugee Law Clinics und NGOs kann dies aber nur zum Teil auffangen.“

Wer in Deutschland Asyl beantragt, wird zu einer Anhörung vorgeladen. Dort sollen die Geflüchteten darstellen, warum sie in Deutschland Asyl suchen. Viele werden vor dem Gespräch nicht beraten und wissen nicht, was auf sie zu kommt. Selbst wenn sie Zugang zu einer Rechtsberatung haben, können Anwälte weniger Zeit in die Vorbereitung des Gesprächs investieren, als es den Studierenden möglich ist.

Das Rechtsberatungsgesetz besagt, dass auch Menschen ohne abgeschlossene juristische Ausbildung beratend tätig sein dürfen, wenn sie dabei von einem Volljuristen unterstützt werden. Studierenden dürfen jedoch keine Gerichtsprozesse begleiten. Darum sieht man an der Humboldt-Universität die Hauptaufgabe darin, die Asylbewerber auf ihr Erstgespräch vorzubereiten. Sie können den Geflüchteten etwa helfen, Belege über die Fluchtgründe zu sammeln, um dem Antrag mehr Nachdruck und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Anwälte, die die Flüchtlinge sonst unterstützen, können für solche Aufgaben nur wenig Zeit aufbringen.

Kurz vor ersten Einsatz

Die nötige Zusammenarbeit mit Anwälten und NGOs ist in der Hauptstadt einfacher als in anderen Städten, da die Flüchtlingsproblematik hier sehr präsent ist. Insbesondere die Geschehnisse um den Oranienplatz haben die Geflüchteten in Berlin in den Fokus gerückt. Auch die hohe Dichte der Asylrechtsanwälte und ihre gute Vernetzung ist hilfreich.

Die RLC steht kurz vorm ersten Einsatz. Der genaue Zeitpunkt steht noch nicht fest, doch die 30 Studierenden, die die interne Ausbildung abgeschlossen haben, wollen noch diesen Sommer mit der Beratung beginnen.

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