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Informationsflut in sozialen MedienDie Autoritären glauben an die Macht des Worts

Mit der digitalen Revolution beschleunigt sich die Informationsvermittlung. Das kann der Aufklärung und Gerechtigkeit dienen – oder den Rechten.

Eine beliebte Strategie bei Autokraten: „Flood the zone with shit“ Foto: Artem Priakhin/SOPA/imago

W enn in der stillen Weite des Urwalds ein Baum umfällt und wir unter ihm begraben werden – ist das dann wirklich passiert? Dass Nachrichten auch in Zeitungspapier gewickelte Lügen sein können, ist keine neue Erkenntnis. Dass sie uns einfach nur erschlagen, scheint mir auch kein gänzlich neues Gefühl zu sein.

Schon das lineare Fernsehen erhöhte über Jahrzehnte die Taktzahl und -tiefe der Nachrichtenübermittlung deutlich gegenüber dem gemütlichen Zeitalter der „Wochenschau“ im Kino, wo Kanonendonner bisweilen schneller heranrollte, als der Regisseur „Action!“ rufen konnte.

Marshall McLuhan schrieb schon 1964 davon, dass die Geschwindigkeit elektrischer Verbindungen das Bild der Welt implodieren ließ und damit das Bewusstsein einer eigenen Zuständigkeit ins geradezu Unermessliche steigerte. Das permanent verfügbare mediale Fenster hob vormals ignorierte gesellschaftliche Gruppen nicht nur über die Wahrnehmungsschwelle. Die eigene Verantwortung für die Lage der Dinge wurde individuell spürbar.

Etwas sehen begründet zwar nicht zwingend Teilnahme, ist aber doch implizite Aufforderung. Gewalt, Hunger, Diskriminierung – Fernsehkameras beendeten die stillschweigende, gegebenenfalls räumlich eingeschränkte Verhandlung gesellschaftlicher Widersprüche.

Die Erleuchtung der digitalen Revolution

Mit der digitalen Revolution beschleunigte sich die Informationsübermittlung nochmals. Die Demokratisierung der Technologie, preisgünstiges Equipment und simpel zu bedienende Social-Media-­Kanäle erlauben es, noch jede Nische hell auszuleuchten. Und doch erscheint das jeweils andere inzwischen wieder weiter entfernt als die Milchstraße. Das Medium hat seine Botschaften offenbar längst überholt.

War es bei der Informationsvermittlung vielleicht einmal der Wunsch, den Dingen auf den Grund zu gehen, sie wirklich zu kennen, ist er in sein Gegenteil verkehrt. Nicht die Nachricht, sondern ihre oberflächliche Performance bestimmt die Wahrnehmungen und damit letztlich die Realität. Die autoritäre Renaissance hängt wesentlich davon ab, Wahrnehmung zu begrenzen und das Bewusstsein jeglicher Zuständigkeit noch für irgendetwas auf der Welt abzutöten. Flood the zone with shit.

Doch damit nicht genug. Kaum jemand glaubt so sehr an die Macht des Worts und korrekter Information wie autoritäre Herrschaft. Die Verbote inklusiver Sprache zum Beispiel sind deshalb nicht einfach nur Symptom eines hitzigen Kulturkriegs. Genauso wenig wie „Say Their Names“ lediglich Pfand sentimentaler Trauer ist. Beides ist Ausdruck zweier Seiten eines Machtkampfs.

Das andere oder, entscheidender, die anderen unsichtbar zu machen, ist Bedingung ihrer Unterdrückung. Sie hingegen dem Vergessen zu entreißen, heißt, Verantwortung zu übernehmen. Über sie zu sprechen, manifestiert Wahrheit. Realität ist schließlich so komplex und divers wie ein Urwald. Und wenn in dessen stiller Weite ein Baum gefällt wird, gibt es keine Unbeteiligten.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt

5 Kommentare

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  • Nur ein kleines Beispiel in einem großen Kontext:



    Anstatt von der *Gesellschaft* zu sprechen, hört man in letzter Zeit vermehrt das Wort *Volk*. Das ist zwar kein neues Wort, aber es beinhaltet eine kleine und durchaus signifikante Diskursverschiebung.



    Denn zu einem *Volk* gehört ein *Führer*..wohingegen die Paarung *Gesellschaft - Führer* nicht funktioniert.



    Entsprechend kann man aus der momentanen Verwendung des Wortes *Volk* häufig auf eine damit einher gehende Sympathie des/r SprecherIn schließen.



    Und es gibt genügend Belege, daß die afd diese Veschiebung des Wording aktiv befördert.



    Aber wie gesagt, nur ein kleines Beispiel von vielen. Sprache und die Verwendung bestimmter Worte verändern halt das Bewußtsein. Und das ist nicht erst jetzt hochpolitisch.







    Achten Sie mal drauf..

    • @Wunderwelt:

      Volk ohne vorangestellten Artikel ist für mich die richtige Ansprache für diejenigen, die ständig vom Volk schwadronieren.

    • @Wunderwelt:

      Das würde ich so nicht unterschreiben, ein Volk bezeichnet eine Gruppe Menschen mit realen oder fiktiven Gemeinsamkeiten, seien es Abstammung oder kulturelle Gemeinsamkeiten, eine Gesellschaft ist etwas breiter gefächert, kann also mehrere Völker beinhalten.....dass hier unbedingt ein Führer von Nöten ist, das mag die Definition der Rechten sein, die teile ich aber nicht und die ist auch sonst nirgendwo festgeschrieben

      • @PartyChampignons:

        O.k. dann versuchen wir es mal so..was klingt plausibler.?:







        -> *demokratische Gesellschaft*



        Oder



        -> *demokratisches Volk*







        Der Passus "demokratisches Volk verursacht, jedenfalls in meinem Kopf, einen befremdlichen Widerspruch. Und deswegen behaupte ich, die Verwendung des Begriffs *Volk* durch die afd ist eine sehr subtile, aber eben auch besonders perfide, weil entfremdende Form von Demokratiefeindlichkeit..

        • @Wunderwelt:

          Empfinde ich tatsächlich überhaupt nicht so auch wenn ich total verstehe was du meinst und mir sagen willst. Der Begriff Volk ist in meinem Kopf nicht negativ vorbelastet und man sollte die Deutungshoheit über diesen Begriff mM auch nicht den Rechten überlassen. Der Begriff Volk kann auch durchaus positive Assoziationen wecken, wie zum Beispiel gemeinsame Werte und Interessen, gemeinsame Kultur, gemeinsame Erfahrungen, dann gibt es ja auch noch Begriffe wie Völkerverständigung oder Vielvölkerstaat die ebenfalls durchaus positiv zu verstehen sind