Infizierte in Augsburger Wohnanlage: Ein Heim, das keines sein soll
Nach einem Corona-Ausbruch in einer Augsburger Seniorenwohnanlage sterben 14 Menschen. Pfleger und Besucher werden bis heute nicht getestet.
So müssen Besucher in dem Haus 4, in dem Pflegebedürftige untergebracht und betreut werden, nach wie vor weder einen negativen Covid-19-Test vorweisen noch FFP2-Masken tragen, wie es die Infektionsschutzmaßnahmenverordnung für bayerische Pflegeheime vorschreibt. Angehörige von Verstorbenen haben gegenüber der taz bestätigt, dass auch das Pflegepersonal häufig keine FFP2-Masken getragen habe, obwohl auch dies seit dem 20. Januar für Pflegeheime Pflicht ist.
Zur Erinnerung: Anfang Februar wurde bekannt, dass sich 66 der einst 87 Bewohner sowie 19 Beschäftigte im Haus mit Covid-19 infiziert hatten. Ein anonymer Hinweisgeber hatte berichtet, dass verschiedene Regeln zum Schutz vor Infektionen nicht eingehalten worden seien. Nach Angaben der taz sind bis heute 14 Pflegebedürftige verstorben.
Dennoch könnte das alles ohne Folgen bleiben. Der Albaretto-Geschäftsführer Bernhard Spiegelberger schreibt der taz in einer Stellungnahme: „Das Albaretto ist vom Rechtlichen her eine Wohnungseigentümergemeinschaft.“ Haus 4 sei kein Pflegeheim. Deshalb würden auch die Vorschriften für Eigentümergemeinschaften gelten.
Personal wird nicht getestet
Die Betreuung wird ambulant von Pflegediensten übernommen. Pflegepersonal muss seit dem 15. Dezember 2020 laut Verordnung regelmäßig getestet werden. Der Geschäftsführer hingegen meint: „Das Albaretto ist kein Pflegeheim, und daher muss das Personal auch nicht getestet werden.“ Dass das Team „bis heute nicht getestet“ sei, liege laut Spiegelberger an der zuständigen Ärztin. Die habe die Zusammenarbeit aufgekündigt.
Die Stadt Augsburg, deren Gesundheitsamt für Pflegebedürftige zuständig ist, gibt Spiegelbergers Darstellung sogar teils recht. Gesundheitsreferent Reiner Erben sagt auf Anfrage: „Das Albaretto Haus 4 gilt nicht als Seniorenresidenz im Sinne der Verordnung“, vielmehr sei es „eine private Wohnanlage für seniorengerechtes Wohnen mit Gemeinschaftseinrichtungen“.
Alle, die mit dem Haus 4 zu tun haben, sehen das anders. Es sei genau wie ein Pflegeheim. Es gebe sogar eine eigene Etage für Demenzkranke, die abgesperrt ist, damit die Menschen nicht davonlaufen. So haben es Angehörige von Pflegebedürftigen gegenüber der taz geschildert.
Da die Stadt das Haus als „private Wohnanlage“ einstuft, kam dort bisher auch kein Impfteam vorbei, wie dies mittlerweile in fast allen Heimen in Bayern geschehen ist. Auch wird die Anlage nicht wie sonst üblich vom Medizinischen Dienst kontrolliert. Mittlerweile gibt es zwei Termine für Anfang März, die der Geschäftsführer nach eigenen Angaben selbst organisiert hat.
Pflegeexperte nicht verwundert
Es ist wie ein Pflegeheim und erfüllt auch exakt dessen Aufgaben – wird aber nicht als solches angesehen. Deswegen werden die Bewohner offenkundig weit höheren Risiken ausgesetzt. Kann das sein? Claus Fussek, bekannter Münchner Pflegeexperte und -kritiker, sagt zur taz: „Mich wundert das überhaupt nicht. Im Bereich der Pflege gibt es nichts, was es nicht gibt.“ Fussek fragt: „Wo sind da die Angehörigen, wo ist das Personal, das auf die Barrikaden steigt?“
Wie man es anders machen kann, erzählt Gerold Mück-Krell, Leiter einer Anlage des Roten Kreuzes im niederbayerischen Bad Füssing. Dort gibt es einen Pflegebereich, betreutes Wohnen sowie ambulante Pflege. Um Corona-Infektionen irgendmöglich zu verhindern, werden schon seit Längerem Bewohner und Personal täglich getestet. Besucher müssen am Eingang einen Coronaschnelltest machen.
Im gesamten Haus gilt FFP2-Maskenpflicht für das Personal und für Besucher, auch Bewohner sollen den Schutz nach Möglichkeit tragen. Über die Impfung von Bewohnern und Mitarbeitern sagt Mück-Krell: „Wir sind durch.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“