Inexistente Dopingkontrollen: Lizenz zum Spritzen
In vielen Ländern wird nur noch wenig auf Doping getestet. In den USA und auch in Deutschland gibt es aber ein paar innovative Ansätze.
Dopingtester bleiben momentan zu Hause, zumindest in weiten Teilen Europas. „Das klassische Dopingkontrollsystem mit den bekannten Blut- und Urinkontrollen haben wir eigentlich schon seit dem 23. März komplett zurückgefahren. Es war einfach aus gesundheitlichen Gründen für Athletinnen und Athleten, aber auch für das Kontrollpersonal nicht mehr zu verantworten“, sagt Andrea Gotzmann der taz. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Nationale Anti-Doping Agentur Deutschland (Nada).
International ist das Bild ähnlich. „Die ITA musste eine Reihe von Testmissionen vorübergehend verschieben und beobachtet die Situation weiterhin sorgfältig Land für Land, um sicherzustellen, dass das Gleichgewicht zwischen öffentlicher Gesundheit an erster Stelle und Antidopingbemühungen an zweiter Stelle gefunden wird“, teilt Marta Nawrocka, Sprecherin der in Lausanne angesiedelten Internationalen Test-Agentur (ITA), mit. Die ITA, im Juli 2018 auf Betreiben des Internationalen Olympischen Komitees gegründet, koordiniert die Dopingtests in den meisten olympischen Sportarten weltweit.
Griff zum Medikament
Wie krass die Antidopingaktivitäten zurückgefahren wurden, lässt sich am besten bei den Laboren selbst erfahren. „Während zu Beginn des Jahres noch in üblichem Umfang reguläre Kontrollproben in Köln eingetroffen sind, ist der Probeneingang seit Mitte März um 90 bis 95 Prozent zurückgegangen“, sagt Mario Thevis, Leiter des Kölner Kontrolllabors. Fröhliche Zeiten für Doper also? Sportlerinnen und Sportler befürchten durchaus, dass manche Rivalin, mancher Kontrahent die Kontrolllücke ausnutzen könnte. Etwas Entspannung tritt ein, weil in vielen Sportarten der absolute Saisonhöhepunkt mit Olympia weggebrochen ist. Aber auch in der Grundlagenphase kann der Griff zu Spritze und Tablette Aufbauprozesse beschleunigen.
Dass die Kontrollen zurückgefahren sind, sieht man im Sport deshalb kritisch. „Bei den Kontrollen der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) und der Nada sind mir ja die Hände gebunden. Aber bei der CADF, die ebenfalls Kontrollen im Radsport vornimmt und die direkt von den Fahrern und den Rennställen finanziert wird, erwarte ich mir schon, dass sie sich Gedanken darüber macht, die Fairness im Sport aufrechtzuerhalten“, sagt Ralph Denk, Chef des deutschen Radsportrennstalls Bora hansgrohe, der taz. Wer etwas finanziert, wie in diesem Falle die Radrennställe die Dopingtests, will also auch Leistungen fürs Geld. Von der CADF war allerdings nicht zu erfahren, wie sie in Covid-19-Zeiten dieser Forderung nachkommen will.
Wichtig: soziale Distanz
In den USA ist man da erfindungsreicher. „Wir testen, jedenfalls in den Regionen, in denen das aufgrund der allgemeinen Lage möglich ist“, erzählt Travis Tygart, Chef der nationalen Anti-Doping-Agentur der USA, Usada. Die Kontrolleure seien dafür mit Gesichtsmasken aus dem OP-Betrieb sowie Handschuhen ausgestattet. „Kontrolleure und Sportler desinfizieren sich und halten auch die Abstände ein“, beschreibt Tygart das Prozedere. „Wir haben vorab mit den Sportlern gesprochen. Die einhellige Meinung unter ihnen war, dass weiter getestet werden soll. Und sie kooperieren auch bei den Kontrollen, indem sie selbst auf die soziale Distanz und das Einhalten der behördlichen Bestimmungen achten“, sagt Tygart.
Warum Antidopingagenturen anderer Länder nicht ähnliche Verfahrensweisen erproben, wollte er nicht kommentieren. Er zeigte sich auch zuversichtlich, dass über die individuellen Athletenpässe Betrügereien aufgedeckt werden können. „Man kann im Athletenpass einen Zeitraum vor Covid-19 nehmen und ihn mit einem Zeitraum nach Covid-19 vergleichen. Variationen dabei könnten auf Manipulationen hindeuten.“ Die Usada arbeite zudem an der Entwicklung neuer Entnahmeverfahren für Blut und Urin, Tests, die auch bei einem längeren Lockdown eingesetzt werden könnten.
Auch die deutsche Nada zeigt sich innovativ. Sie experimentiert derzeit mit dem Dried-Blood-Spot-Verfahren. „Dabei bringen Sportlerinnen und Sportler unter Videoaufsicht einen kleinen Tropfen Blut auf Millimeterpapier und lassen ihn der Nada zukommen. Hier gibt es ganz enorme Analysemöglichkeiten für die Labore. Damit können wir das Gap schließen helfen und geben auch sauberen Sportlerinnen und Sportlern die Möglichkeit, sich vor unberechtigten Dopingvorwürfen zu schützen“, sagte Gotzmann der taz. Das Verfahren war ursprünglich zur Detektion von Stoffwechselerkrankungen bei Neugeborenen gedacht.
Während beim Dried-Blood Spot-Verfahren die Antidopinganalytik von der allgemeinen Medizin profitiert, geht es in den USA gegenwärtig auch andersherum. Dopinglabore stellen Kapazitäten zur Covid-19-Forschung zur Verfügung. Das Labor in Salt Lake City ist an einem Großversuch beteiligt, Covid-19-Tests bei bis zu 15.000 Personen aus dem Umfeld des Sports vorzunehmen. „Dabei erhoffen wir uns vor allem Erkenntnisse über die Verbreitung von Covid-19 bei Personen, die keine oder nur geringe Symptome aufgewiesen haben“, erklärt US-Dopinganalytiker Travis Tygart.
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