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Industrielle LandwirtschaftDas ostdeutsche Acker-Imperium

Die KTG Agrar SE bewirtschaftet satellitengesteuert 30.000 Hektar in Ostdeutschland, so viel Land wie kein anderer Konzern im Land.

Die KTG Agrar wächst und wächst: 2013 hat der Konzern seinen Umsatz um 50 Prozent gesteigert, auf 165 Millionen Euro Bild: Alexander Labrentz

ORANIENBURG taz | Es war einmal ein Bauer, der hatte kein Land. Er wuchs auf einem Hof in Bayern auf, die Eltern bauten Spargel und Erdbeeren an. Doch den Hof erbte der ältere Bruder. Da zog er aus, sein Glück zu suchen.

Heute ist Siegfried Hofreiter Herr über den größten Landwirtschaftskonzern Deutschlands, die KTG Agrar, ein Imperium mit 23 Standorten, 775 Mitarbeitern und mehr als 40.000 Hektar, davon rund 32.000 in Ostdeutschland und auch noch 8.000 in Litauen.

Dazwischen liegen rund 30 Jahre und eine Geschichte, die eng verknüpft ist mit dem rasanten Wandel der Landwirtschaft in Ostdeutschland.

Der Bauer lebt in einem Haus, das aussieht wie von der bayrischen Alm nach Brandenburg teleportiert, Holzbalkone, Giebeldach, Heckenrosen. Es steht mitten auf dem Gelände des Standorts Oranienburg. Gegenüber erhebt sich ein Verwaltungsbau; weiter hinten liegen neue, saubere Maschinen- und Lagerhallen zwischen Erdbeerfeldern verstreut.

Aber der KTG-Vorstandsvorsitzende ist nicht da. Er ist in seinen Ländereien unterwegs. Stattdessen läuft Benedikt Förtig über die Einfahrt heran, 29 Jahre alt, ein stämmiger Baden-Württemberger mit Hornbrille und BWL-Diplom, der aus einer Bauernfamilie stammt und vor fünf Jahren eine E-Mail an Hofreiter schrieb, weil er „unbedingt Teil eines innovativen, wachsenden Unternehmens sein wollte“. Inzwischen hat er es in den Vorstand der KTG Agrar geschafft, die als SE – Societas Europaea – firmiert, als Aktiengesellschaft in der Europäischen Union.

Förtig weiß, dass die KTG in den Augen vieler für eine Entwicklung steht, die darauf hinausläuft, dass Geld und Land in den Händen weniger konzentriert sind. Investoren und Konzerne übernehmen immer mehr Flächen, die Preise für Kauf und Pacht steigen rapide. Förtig lächelt schmal und sagt: „Bei uns ist das so, dass wir uns mehr im internationalen Wettbewerb sehen. Wir schauen im Moment vor allem nach Osteuropa. Und verglichen mit den Verhältnissen dort, sind wir eher klein.“

Aber wer eine Weile in den ländlichen Gegenden im Osten unterwegs ist, hört andere Geschichten. Die handeln von einem Ausverkauf, der mit der Wende einsetzte. Bernd Graebert*, Landwirt in der Altmark, Sachsen-Anhalt, sitzt in seinem schmalen Wohnzimmer und erinnert sich, wie Siegfried Hofreiter Mitte der 90er Jahre mit seinem jüngeren Bruder Werner in der Region aufgetaucht ist.

Der Umsatz stieg auf 165 Millionen Euro

Nach dem Ende der DDR wurde aus der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) am Ort eine Agrargenossenschaft, die 1996 vor der Pleite stand. Dann kamen die Hofreiters, sagt er, und die Mitglieder ließen sich überreden, ihnen ihre Anteile günstig zu verkaufen. „Wir haben das selbstständige Wirtschaften nicht gelernt“, sagt er. „Die wussten, wie man mit Insolvenzen reich wird. Die standen immer gleich da, wo eine Agrargenossenschaft auf der Kippe stand.“

Er selbst konnte von Stadt, Kirche und dem Treuhand-Nachfolger BVVG 150 Hektar pachten. Nur wollten die Hofreiters das nicht einfach hinnehmen, sagt Graebert, zeigt aus dem Fenster. „Da unterm Nussbaum haben wir diskutiert.“ Sie hätten ihm gesagt: Er schaffe das doch allein nicht. Lieber solle er ihnen seine Flächen überlassen und für sie als Manager arbeiten. „Ich wollte das nicht“, sagt er leise. Viele Eigentümer aber hatten nichts dagegen, den Investoren Flächen zu verpachten, meist alte Leute ohne Bindung an ihr Land: „Die waren froh, als die Hofreiters kamen.“

Die KTG Agrar wächst und wächst: 2013 hat der Konzern seinen Umsatz um 50 Prozent gesteigert, auf 165 Millionen Euro. Ein Viertel der Flächen, die sie bewirtschaftet, ist Hofreiters Eigentum. Nun breitet sich das Unternehmen zunehmend nach Osten aus: In Rumänien und Russland ist die KTG bereits als Farmmanager aktiv.

In Oranienburg schlendert Benedikt Förtig durch den Schatten der Maschinenhalle, vorbei an riesigen Mähdreschern und Traktoren, die aussehen wie eine Mischung aus Marsfahrzeug und Panzer, gewaltige Maschinen mit 500 PS. Zwar hat jeder Standort einen eigenen Maschinenpark, sagt Förtig, zusätzlich aber gibt es eine Flotte von Mähdreschern, die sich zur Erntezeit wie eine mobile Einsatzgruppe von Süden nach Norden wälzt, bis nach Rügen, wo die Maschinen nach Litauen verschifft werden. „Wir haben in der KTG-Gruppe 40 Mähdrescher, die jeweils zwischen 350.000 und 400.000 Euro kosten. Die setzen wir so ein, dass das Erntefenster maximal ausgenutzt wird.“

Von Oranienburg aus werden die Aktivitäten auf allen Flächen des KTG-Imperiums gelenkt. Sämtliche Maschinen sind per Satellit und GPS mit der Zentrale verbunden. Förtig tritt auf einen Trecker hinter der Maschinenhalle zu. Über eine Leiter geht es hoch zum Führerhäuschen. Neben dem Sitz hängt ein Tablet, auf dem der Fahrer alles sehen kann. Der Trecker fährt sogar von selbst seine festgelegte Route ab, vollautomatisch. „Alles ist vernetzt“, sagt Förtig, „alles ist ein System.“

Marktführer Öko-Anbau

Inzwischen ist die KTG nicht mehr nur im Feldbau aktiv, sondern will die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Sie hat zuletzt eine Reihe insolventer Firmen aufgekauft, den Tiefkühlkosthersteller Frenzel, die Anklamer Ölmühle, den Ökovermarkter Bio-Zentrale. Im Öko-Anbau ist die KTG schon länger Marktführer, 50 Prozent seiner Flächen bewirtschaftet der Konzern nach EU-Öko-Verordnung. Nun nimmt die Zahl der Veganer zu, und deswegen konzentriert man sie sich jetzt auf gentechnikfreie Soja, sagt Förtig: „Da gibt es enorme Potenziale.“

Zudem betreibt die KTG Biogasanlagen. Dort werden Mais und Hirse verwertet, die vorwiegend aus eigenem Anbau stammen. Zweimal im Jahr wird geerntet, sagt Förtig, erst Getreide, dann Biomasse. Er hat sich in die Kantine gesetzt, in einer Vitrine am Eingang stehen Fertiggerichte und Kartoffelpüree zur Schau. Die KTG vertreibt die Produkte unter der Marke „Die Landwirte“, die mit Slogans von Nachhaltigkeit und Bildern wie aus einer Landlustfotostrecke für sich wirbt. „Der Trend geht in Richtung Regionalität“, sagt Förtig. „Bio wird immer wichtiger. In den nächsten zehn Jahren sehen wir eine Riesenchance, diesen Markttrend mitzugestalten.“

Rund 100 Kilometer weiter im Osten, im Oderbruch, bleibt von den glänzenden Werbebildern nicht viel übrig. Dieter Frerichs*, ein ortsansässiger Bauer, fährt von seinem Hof. Am Fenster zieht das Geschachtel der Felder vorbei, Frerichs zeigt nach rechts und links. „Das ist KTG“, sagt er, „das ist Odega“, eine weiterer Agrargroßkonzern. „Da wieder KTG.“

„Gegessen wird immer“

Nach wenigen Minuten tauchen neben der Straße riesige graue Fassaden auf, Betonhallen, von denen die Farbe blättert. Der Betrieb wirkt wie stillgelegt. Die KTG hat die Siwuk Agrargesellschaft vor sechs Jahren übernommen. Von den Beschäftigten sei nur ein Traktorist geblieben: „Den lassen sie da, weil die sonst gar nicht wissen, welches ihre Felder sind.“ Frerichs lacht laut auf, die Arbeiter kämen ja nur zur Ernte angefahren: „Die sind immer zwei, drei Tage im Dorf, arbeiten Tag und Nacht und sind dann wieder weg.“

Mit seinem Agrarreich hat Siegfried Hofreiter eine Wette auf die Zukunft abgeschlossen, die sich auf zwei Gewissheiten stützt: Die Weltbevölkerung wächst. Zugleich werden die Ackerflächen wegen Erosion und der Ausbreitung der Städte kleiner. Oder, wie er selbst oft sagt: „Gegessen wird immer.“

Trotzdem ist unklar, ob das Geschäftsmodell auf die Dauer funktionieren kann. Denn der Konzern ist stark von den EU-Flächenprämien abhängig. Die KTG kassiert pro Jahr rund 10 Millionen Euro Subventionen. „Das Unternehmen hat sein Wachstum mit Schulden erkauft“, sagt ein Finanzexperte, der anonym bleiben will. Als die KTG Agrar 2007 an die Börse ging, hat er große Erwartungen in sie gesetzt. Heute sagt er: „Es klingt wie eine schöne Geschichte, doch man sollte sich nicht blenden lassen: Sie haben viel investiert, aber die Rückflüsse sind nicht wie gewünscht.“

Kleinere Betriebe aber können im Wettbewerb mit den Großkonzernen kaum mithalten. In Oranienburg beschäftigt die KTG 25 landwirtschaftliche Arbeitskräfte auf 4.000 Hektar, das sind 0,6 pro 100 Hektar. In Ostdeutschland liegt der Durchschnitt bei 1,8, im Süden sogar bei 4,6. Um zu verstehen, wie die Bedingungen in den hoch rationalisierten Betrieben für die Beschäftigten aussehen können, hilft ein Anruf bei Jan Bröcker*. Er hat bis 2013 am KTG-Standort Marxdorf gearbeitet. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Biomasse zu den Biogasanlagen zu fahren. „Es gab nur Stress, Stress, Stress. 16 Stunden Arbeit am Tag waren normal.“ 6,50 Euro pro Stunde habe er verdient, und wenn sich einer beschwerte, sagt er, hieß es immer: „Na, ihr wollt doch arbeiten!“

Profitabilität steigern

Benedikt Förtig spaziert zwischen den Erdbeerfeldern. „In der Vergangenheit war es so, dass man im Osten sehr günstig Arbeitskräfte anstellen konnte“, sagt er. Inzwischen aber sei es schwer, gute Mitarbeiter zu finden. Deswegen werde das Entlohnungssystem gerade umgestellt, zudem gebe es Prämien und Aufschläge. Niemand, sagt er, arbeite für 6,50 Euro für die KTG.

Nur, wie groß soll der Konzern noch werden? „Wir werden weiterhin organisch wachsen, aber nicht mehr in dem Maße investieren. Unser Ziel ist jetzt, die Investitionen zu strukturieren und die Profitabilität zu steigern.“

Ringsum dehnen sich die Äcker aus. Der Mais steht mannshoch, das Getreide leuchtet sattgelb, Acker schließt an Acker, bis zum Horizont. So könnte die Zukunft der Wirtschaftsstruktur im ländlichen Raum aussehen, oder ihr Ende. Demnächst wird die Ernte beginnen.

*Namen geändert

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4 Kommentare

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  • @ DUBIOSOS

     

    “Aber was will man dem Konzern denn vorwerfen?”

     

    Solche Sauereien z.B.:

    http://www.taz.de/Konflikt-um-Ackerland-im-Osten/!142776/

    Da kann man lesen, mit was für verbrecherischen Methoden diese feinen Herren an ‘ihr’ Land kommen – besonders übel stösst mir auch in diesem Fall mal wieder die Verwicklung von korrupten Behörden in das Geschehen auf.

     

    “Trotzdem ist unklar, ob das Geschäftsmodell auf die Dauer funktionieren kann.” – Logisch, denn bei mal angenommen 5% Gewinn und 165 Mio Umsatz sind die 10 Mio staatlicher Zuschuss genau das, was übrig bleibt – ohne das ist es ein Verlustgeschäft … eben ein Börsen-zocker-spiel, auf dem Rücken der ehemaligen Kleinbauern!

     

    Und zum Soja das hier (hilft gegen die allgemeine Desinformation):

    http://www.mmnews.de/index.php/i-news/9344-soja-sondergiftmuell

    Auszug aus dem Text:

    Soja ist kein natürliches Nahrungsmittel für den Menschen.

    Soja-Protein ist kein komplettes Protein.

    Unfermentierte Soja-Produkte sind unverdaulich und wertlos bis schädlich.

    Industriell verarbeitete Soja-Produkte enthalten mehrere kanzerogene / karzinogene Substanzen und gesundheitsschädliche Stoffe.

    90 % der Welt-Soja-Ernte sind von Monsanto & Co. gentechnisch verändert.

     

    Es gibt ein Wort für diese weltweiten Machenschaften: Agrarfaschismus!

    • @shumil:

      man könnte dem betrieb zum beispiel vorwerfen das ihr nachhaltigkeitsprinzip einzig und allein auf die geldbörse abzielt.

      solche betriebe dürften wörter wie ökolandbau oder nachhaltigkeit nicht mal in den mund nehmen!

      auf kosten unserer gesundheit und der artenvielfalt in feld und flur so viel gewinn wie möglich zu generieren kann nur von bwl'ern kommen..

      • @Vogt Oliver:

        sollte eigtl an den vorredner gehen..bzw. wollte ich mal einen anderen blickwinkel eröffnen..

  • Und was soll der uns der Artikel jetzt sagen? Irgendwie kommt ja das Bild rüber, dass das ein böser Konzern ist und das soll wohl scheinbar als Gegensatz zum ehrbaren Landwirt gelten. Aber was will man dem Konzern denn vorwerfen?

    Er hat nach der Wende billig Land gekauft, das kann man in einer Marktwirtschaft nun schwerlich jemandem vorwerfen, im Artikel heißt es ja auch, dass viele Leute froh darüber waren. Solange da niemand über den Tisch gezogen wurde, finde ich das im Rahmen ok.

    Er bekommt viele Millionen EU-Fördergelder? Nun gut, das ist auf Grund der großen Fläche logisch, dass die Beträge auch größer sind. Alle deutschen Beuern sind von EU-Subventionen abhängig, warum soll das jetzt bei dieser Firma anders sein?

    Im Gegenteil finde ich klingt es doch super, dass sie immerhin 50% ihrer Fläche nach Biostandard bewirtschaften.

    Und sollen die 6,50€ jetzt schlimm sein? Ersten wird ja jetzt scheinbar mehr gezahlt und ganz ehrlich ist das im Osten bis vor wenigen Jahren, gerade in ländlichen Regionen, ein durchaus annehmbarer Lohn gewesen. Natürlich nicht gut, aber die Frage ist doch, ob anderen Bauern denn so viel mehr zahlen? ich bezweifle dies, bei uns im Ort (beim lokalen Bauern, kein Konzern) kamen auch immer die Saisonarbeiter aus Polen zur Ernte, weil die Leute aus dem Dorf "zu teuer" waren.

     

    Mein Statement soll nicht für große Konzerne sein, nicht dass hier missverständnisse auftauchen. Aber ich finde auch nicht, dass große Konzerne automatisch böse sind, und kleine Bauern automatisch gut.