Indonesischer Film „Before, Now & Then“: Dem Wesen nach ist sie Wasser
„Before, Now & Then“ erzählt in traumartigen Bildern von einem Frauenschicksal. Im Hintergrund fließt die gewaltvolle Geschichte Indonesiens.
Nana (Happy Salma) hat sich als Ehefrau des gut situierten Unternehmers Mr. Darga (Arswendy Bening Swara) dazu entschieden, den Umständen, die ihr Leben bestimmen, mit einer stoischen Anmut zu begegnen, anstatt dagegen anzugehen. In der Gegenwart, es ist das Jahr 1966, sind es eine streng patriarchal organisierte Gesellschaft in Indonesien und deren Versessenheit auf Etikette und Sitte, die ihr Dasein definieren.
„Ich bin geschmeidig wie Wasser. Ich passe mich an“, sagt sie ihrem Spiegelbild als eine Art der Rückversicherung an sich selbst. Wenige Augenblicke zuvor übergab sie sich in einem seltenen Akt des stillen Aufbegehrens, um ihren Organismus von dem gerade verzehrten Fleisch, das die Geliebte ihres Ehemanns ihrer Familie zukommen ließ, zu befreien.
Das Drama „Before, Now & Then“ beleuchtet allerdings auch ihr Gestern, das eng mit der Geschichte ihrer Heimat verwoben ist und gleichsam unaufhörlich in ihr Heute ragt. Die indonesische Regisseurin und Drehbuchautorin Kamila Andini eröffnet ihren Film zu der Zeit, als das Land um seine Unabhängigkeit von der niederländischen Kolonialmacht kämpfte.
Mit einer sphärischen Auftaktsequenz, in der die junge Nana mit einem Säugling in den Armen auf einer Lichtung im Dschungel sitzt und in der Ferne die Schemen ihres im Unabhängigkeitskrieg (1945-49) verschollenen ersten Ehemannes (Ibnu Jamil) herbeifantasiert, setzt sie den träumerisch entrückten Ton, der die gesamte Handlung durchdringen soll.
Ihre Schwester (Rieke Diah Pitaloka) muss sie ermahnen, weiterzuziehen. Sie offenbart ihr, dass sie sich auf der Flucht vor Rebellen befinden, die Nana mit ihrem Anführer verheiraten wollen. Der Vater schickte beide Töchter fort, um ihnen ein solches Schicksal zu ersparen, und bezahlte dafür mit dem Leben. Die Vorstellung seiner grausamen Ermordung gehört zu den Schreckensvisionen, die Nana auch nach vielen Jahren noch allabendlich in ihren Albträumen heimsuchen.
Schweigsame Protagonistin
„Before, Now & Then“. Regie: Kamila Andini. Mit Happy Salma, Laura Basuki u.a. Indonesien 2022, 103 Min.
Die Schatten eines früheren Lebens, die Erinnerungen an ihre eigentliche Liebe sind Teil des Verdrusses, der verhindert, dass Nana selbst als vierfache Mutter und nach fünfzehn Jahren der Ehe mit einem wohlhabenden Sudanesen Frieden finden kann. In ihrer Gegenwart, der das Hauptaugenmerk des Filmes gilt, hat sie die Heirat mit dem Unternehmer vor der Armut bewahrt, sie trägt die Verantwortung für den Haushalt und zunehmend auch für seine Geschäfte.
Die für ihr eigenes Leben obliegt ihr aber nach wie vor nicht. Mäandrierend wie das Wasser, das Nana sein möchte, folgt ihr „Before, Now & Then“ in ihre Melancholie darüber, und nähert sich dem enigmatischen Seelenleben seiner schweigsamen Protagonistin vor allem über atmosphärische Aufnahmen ihres Alltags an. Dieser bewegt sich zwischen erdrückenden Begegnungen in den elitäreren Zirkeln ihres Standes und der zunehmenden Konfrontation mit Zeichen für die Untreue ihres Gatten.
Mal ist es ein fremder Schal, den sie auf ihrem Schminktisch entdeckt, mal persönlich entgegengenommene parfümierte Briefe und schließlich Fleischsendungen, welche die in einer Metzgerei tätige Ino (Laura Basuki) als dessen jüngere und sozial niedriger gestellte Geliebte ihres Mannes zu erkennen geben. Entgegen gängiger Erzählmuster und anfänglicher Aversionen kommt es zwischen Nana und Ino allerdings nicht zur weiblichen Rivalität.
Stattdessen entsteht eine innige Frauenfreundschaft, geprägt von kleinen Ausbrüchen und vertrauten Gesprächen, über die erstmals tiefere Einblicke in die Gefühlswelt von Nana gegeben werden. Als sich Nanas Vergangenheit schließlich erneut Bahn bricht, ist es ausgerechnet die eigenwillige Frau an ihrer Seite, die zu einer Art Katalysator für ihre Selbstbefreiung aus der Kasteiung wird.
Erzählung einer allmählichen Emanzipation
„Before, Now & Then“ ist so nicht nur eine stimmungsvoll-brütende Studie eines passiven Frauenschicksals vor den gewaltvollen Wirren der indonesischen Geschichte. Denn sie rahmt als Subtext fortlaufend das Geschehen, etwa über Radiobeiträge, die vom antikommunistischen Putsch und der Machtergreifung des despotischen Generals Suharto berichten.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Before, Now & Then“
Kamila Andinis eindringliches Drama erweist sich letztlich auch als eine ausgesprochen bedächtige Erzählung einer allmählichen Emanzipation: Nana wird am Ende wirklich Wasser sein. Das passt sich seinem Wesen nach an. Und mit genug Zeit ist es selbst im Stande, Strukturen zu durchbrechen.
Vor dem Hintergrund dieser leisen Handlung ist es der einsamen Schönheit der Einstellungen, dem ätherischen Score von Ricky Lionardi und dem anmutigen Schauspiel der einnehmenden Hauptdarstellerin Salma zu verdanken, dass „Before, Now & Then“ schließlich eine phantastische Opulenz entfaltet, die ihren Nachhall findet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“