Indochina: „Grüßen Sie Halle!“
Eine Reise durch die Vietnam, Laos und Kambodscha. Begegnungen mit Einheimischen und deutsche Gespräche.
Nguyen Anh Tuan. Von 1981 bis 1985 in Deutschland. TU Dresden und Zentrales Institut für Schweißtechnik in Halle. Heute: Reiseleiter in Hanoi.
„Wenn Sie hier über die Straße gehen, gehen sie einfach langsam, der Verkehrsfluss nimmt sie auf“, rät Tuan. „Zebrastreifen bedeuten in Hanoi gar nichts.“ Und tatsächlich, es funktioniert: Langsam gehend, den Blick scheuklappenartig auf den Boden gerichtet, öffnet und schließt sich der unendliche Verkehrsstrom. Das Geschwader von Mopeds weicht dem Fußgänger aus wie Wasser dem Fels.
Tuan führt uns zum Ho-Chi-Minh- Mausoleum beim Gouverneurspalast im Zentrum von Hanoi. Ein martialischer, marmorner Wallfahrtsort. Familien, Jugendgruppen und Touristen haben sich in die kilometerlange Schlange eingereiht. Bei brennender Sonne wahrhaft eine Demutsbezeugung. Das kommunistische Design lebt: Roter Stern, Hammer und Sichel, patrouillierende Ehrengarde. Über einen roten Teppich gelangt man zum Ziel der Anstrengungen: dem gläsernen Sarg im klimatisierten Raum. Hier ruht der käsige Revolutionsheld mit dem schmalen Gesicht und dem Spitzbart, bewacht von vier Ehrensoldaten. Fotografieren verboten! Ein kurzer Blick, dann wird man weitergeschoben.
Veranstalter: Begegnungsreisen nach Vietnam, Laos und Kambodscha in kleinen Gruppen bietet SKR Reisen: www.skr.de
Die Kombination bietet auch One World Reisen mit Sinnen: www.reisenmitsinnen.de, http://+/und Studiosus: www.studienreisen.de
taz-Reisen in die Zivilgesellschaft: Die taz-Reise nach Vietnam wird vor Ort von Vu Minh Anh (siehe Interview) organisiert und findet das nächste Mal vom 12. bis 27. Januar 2013 mit taz-Asienredakteur Sven Hansen als Reiseleiter statt. Alle Infos: www.taz.de/tazreisen oder Tel. (0 30) 25 90 21 17.
Vietnam-Airlines fliegt alle drei Destinationen an. www.vietnamairlines.com
Die oben beschriebene Begegnungsreise erfolgte auf Einladung von SKR Reisen und Vietnam Airlines.
Tuan lenkt uns im Fluss der pilgernden Menge durch den weitläufigen Park des Gouverneurspalastes zum „bescheidenen Haus“ Ho Chi Minhs, das er vorbildhaft dem Leben im luxuriösen Palast vorzog. Das schlichte Holzhaus am Lotusteich ist heute ein aufpoliertes touristisches Aushängeschild mit Ho-Chi-Minh-Devotionalien. In flüssigem Deutsch erzählt Tuan über Ho Chi Minh, was man auch in jedem guten Reiseführer nachlesen kann. Beim Verlassen des überfüllten, überall bewachten Parks schmettert von einem einsamen Riesenbildschirm auf der grünen Wiese der Opernsänger Trung Duc die Nationalhymne. Willkommen in Vietnam!
„Wir sind modern, aber immer noch kommunistisch“, betont Tuan etwas naiv. Der Kommunismus ist formale Hülle und Feigenblatt einer zentralistischen Altmännerherrschaft. Den großen Ho Chi Minh braucht man anscheinend zur nationalen Veredlung des ungezähmten Kapitalismus der Gegenwart.
Tuan zeigt uns die Seidenläden von Hanoi in der Hang-Gai-Gasse, den Schildkrötenturm auf dem Hoan-Kim-See, den Blumenmarkt. Zwischendrin erzählt er immer wieder von seiner Zeit in Deutschland, in Halle. Es ging ihm dort gut. „Grüßen Sie Halle!“ Nur das Essen war gewöhnungsbedürftig. „Zu wenig Obst und Gemüse.“
Und „zu wenig Farbe“. Aber wie sollte es die als grau verschriene DDR auch mit dem strahlenden Weiß der Lotusblüte, dem Blau der Chrysanthemen, dem Violett der Lilien aufnehmen? Während sich auf dem bunten Blumenmarkt von Hanoi ein rostiges Moped unter vielen den Weg bahnt, vollgeladen mit Körben, in denen eingesperrte Hühner ihres Endes harren, fährt die neue Bourgeoisie im Wohnviertel am Westsee ihren Reichtum auf: Ferrari, Porsche, Maybach. Hier trifft man sich in schicken Hotelbars zum Cocktail. Das schrille Altstadt-Hanoi scheint weit weg.
„Es geht uns heute in Vietnam viel besser als je zuvor“, sagt der immer korrekte, unauffällig Tuan. „Was uns stört ist die Korruption und die Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter auseinandergeht.“
Le Quoc Anh ist 1982 in Hanoi geboren. 1992 übersiedelte er mit seiner Mutter nach Frankfurt am Main zu seinem Vater. Der hatte als Vertragsarbeiter in der DDR gearbeitet. Heute arbeitet Le Quoc Anh für Vietnam Airlines in Frankfurt und fährt regelmäßig nach Vietnam.
Le Quoc Anh lebt gerne in Deutschland und isst gerne in vietnamesischen Garküchen Streetfood. „Das schmeckt am besten, das ziehe ich dem Essen in jedem Luxusrestaurant vor.“ Er lädt uns ein. Eine vertauensbildende Maßnahme. In der Altstadt von Hanoi, nicht weit vom Gouverneurspalast, sitzen wir auf niederen blauen Plastikhockern am Straßenrand und essen Buncha: Hackfleischröllchen vom Holzkohlengrill mit Reisnudeln und einer würzigen Brühe.
Populär und plastikbestuhlt ist auch das Koto, in dass Anh uns später führt. Eine angesagt Adresse in den internationalen Reiseführern. In dem dreistöckigen Restaurant speisen überwiegend Amerikaner, Australier und Europäer. Koto – „to know one, to teach one“ – ist ein Projekt für Straßenkinder. Die Jugendlichen von der Straße, die hier bedienen, kochen, spülen, werden zu Gastronomiefachleuten ausgebildet. (www.koto.com.au) „Ein von Australiern initiiertes Projekt“, sagt Anh. „Vietnamesen haben nicht so viel Verständnis dafür.“
Quoc Anh hat in einem der schmalen, langgestreckten Altstadthäuser mit Innenhof ein eigenes, sehr deutsch anmutendes Zimmer in der Wohnung seiner Großmutter. Sein Eigentum. „Eine gute Investition“, sagt er. „Die Preise für Häuser steigen hier ins Unendliche. Der Wert hat keinen Vergleich mit Deutschland, er ist viel höher. Auch wir haben längst eine Finanzblase.“
Vietnam Fo, die Moritzburgerin. 1956, sie war 11 Jahre alt, fuhr sie mit dem Zug von Vietnam nach Moritzburg in der DDR ins Internat. Fo kam 1962 zurück nach Hanoi, machte dort Abitur und studierte ab 1968 an der Martin-Luther-Universität in Halle Chemie. 1972 ging sie zurück nach Vietnam, wo sie als Chemieingenieurin arbeitete. Heute ist sie Reiseführerin und Geschichtsvermittlerin.
„Wir sind der DDR sehr dankbar und halten immer noch Kontakt“, erzählt Vietnam Fo bei Tee und Obsthäppchen im modernen Wohnzimmer ihres Sohnes, des Architekten. Sie wohnt in einem Wohnviertel am Stadtrand von Hanoi, wo die elektrischen Leitungen sämtlicher elektronischer Modernisierungen sich wie dicke Girlanden von Haus zu Haus spannen. Wo ältere Ehepaare in den engen Gassen Federball spielen und nur ab und zu von einem Moped gestört werden. Wo es nach Fischsoße und Räucherstäbchen riecht. Fo erzählt Besuchern ihre Geschichte. Es ist auch eine DDR-Geschichte.
Rund 150 Jungen und Mädchen gehörten zu den auserwählten Vietnamesen, die Mitte der fünfziger Jahre in der DDR zur neuen Elite ausgebildet werden sollten. Ho Chi Minhs Truppen hatten den acht Jahre langen Krieg gegen die französischen Kolonialherren gewonnen. Kaderkinder, die Sprösslinge von Funktionären und Kampfgefährten, wurden in sozialistische Bruderländern verschickt. 15.000 Kilometer fuhren die Kinder über Peking, Ulan Bator, Moskau, Warschau, Dresden nach Moritzburg. Drei Wochen dauerte ihre Reise.
„Schlechte Erlebnisse hatte ich kaum“, sagt die agile, schmale 67-Jährige. „Selbst an Leberwurst und Rollmops haben wir uns gewöhnt. Wir mussten so lange sitzen bleiben, bis wir aufgegessen hatten. Und das war gut so“, erzählt sie. „So haben wir Disziplin gelernt.“ Sie zeigt Fotos aus alten Zeiten, ihre LehrerInnen, Mitschüler, Kollegen aus dem Kombinat „Wolke“. Heute studiert Fos Tochter in Bonn. „So halte ich Kontakt zu Deutschland, dem ich sehr verbunden bin“, sagt sie. „Es hat sich alles rasant verändert. Die DDR war das Paradies des Sozialismus.“
Als sie 1972 nach ihrem Studium in Halle nach Hanoi zurückkam, „wollten uns die Amerikaner in die Steinzeit zurückbomben. Es war schrecklich. Heute wollen wir mit der Vergangenheit abschließen, die Beziehungen zu den USA normalisieren. Auch die Amerikaner haben bereut. Traurig sind die Nachwirkungen des Giftgases Agent Orange bis in die dritte Generation.“
Kham Chan, goldener Mond, lebte von 1987 bis 1997 in Deutschland. In Halle studierte er bis zur Wende „Kommunismus“. Nach der Wende kam er, wie er es ausdrückt, „auf die schiefe Bahn“. Zurück im laotischen Luang Prabang arbeitet er als Minenentschärfer und inzwischen als Reiseleiter.
Kommt man von Hanoi ins laotische Luang Prabang, genießt man die ländliche Idylle des Ortes. Junge Backpacker treffen sich in den vielen kleinen Restaurants und Cafés. Sie verlangen Nutella zum Frühstück, fotografieren mit dem I-Phone und schmusen an den Ufern des Mekong und Nam Khan, den beiden Flüssen, die sich hier vereinen. Vom Tempelberg Phou Si aus überblickt man diese spektakuläre tropische Landschaft.
Luang Prabang wirkt wie ein gerade entdecktes Hippiedorf mit Weltkulturerbe-Status. Die alte Königsresidenz mit ihren goldenen Tempeln, Klöstern und der Kolonialarchitektur ist noch heute ein Traumbild des kolonialen Indochinas. Jeden Morgen stehen die Touristen Spalier, um den Almosengang der circa 200 Mönche zu beobachten. Eine safrangelbe Schlage, die sich dann durch die ganze Stadt zieht.
„Mit den Touristen kam das Lifestyle-Business“, sagt Kham Chan. Und zeigt uns Fairtrade-Läden, Karaoke-Bars und Antiquitätenläden. Auf dem täglichen Nachtmarkt bieten ausschließlich Frauen ihre selbstgenähten Taschen, Röcke, Tücher an. Manchmal aufdringlich, aber stets freundlich – kein Vergleich mit den testosterongeprägten arabischen Basaren.
Kham Chan führt uns zum Kloster Wat Aham, wo er als zehnjährige Junge selbst lebte. „Wir waren zehn Kinder. Im Kloster hatte man zu essen und bekam eine Ausbildung. Nach meinem Aufenthalt in Deutschland und meiner etwas schwierigen Lebenssituation nach der Wende, dem schlechten Leben am Rande der Gesellschaft, ging ich zunächst wieder in mein altes Kloster. Das hat mich wieder auf den richtigen Weg gebracht.“
Yim Dima lebte von 1971 bis 2003 in Berlin. Er studierte Volkswirtschaft in der DDR und arbeitete in der kambodschanischen Botschaft. Nach dem Tod seiner deutschen Frau kehrt er 2003 zurück ins kambodschanische Siem Reap. Er arbeitet dort heute als Reiseleiter.
Angkor Wat. Die Tempelanlage der Superlative in Siem Reap. Das touristische Highlight Kambodschas. Yim Dima schwärmt von Berlin, von Eisbein und Bier, während wir die Schönheit der barbusigen himmlischen Tänzerinnen auf den Reliefs des Tempels bewundern. Zielstrebig führt er uns durch die Touristenschar aus China, Frankreich, Spanien, Vietnam zu Emmeline Decker. Sie arbeitet für die GIZ an der Restaurierung. Abgewetzte Reliefs, zerfallene Sandsteine, fehlende Statik, rücksichtslose Touristen – „das Weltkulturerbe schreit nach Maßnahmen zu seinem Erhalt“, sagt Emmeline.
„Siem Reap ist ein schnell gewachsenes Dorf. Früher war hier fast nichts. Erst seit zwei Jahren haben wir eine Kläranlage“, sagt Yim Dima. Der Tourismus nach Kambodscha, vor allem nach Angkor Wat, ist sprunghaft gewachsen, inzwischen gibt es in Siem Reap 150 Hotels, drei Golfplätze und an jeder Ecke einen Moped- und Handyladen. „Diese Geschäfte laufen hier gut“, sagt Dima.
Wir fahren mit dem Bus nach Phnom Penh über die holprige Nationalstraße 6. Vorbei an grasgrünen Reisfeldern, Holzhäusern auf Stelzen und „ohne Klo“, wie Yim Dima betont. „Chinesen geben die meiste Entwicklungshilfe. Man nimmt sie nicht gern, weil man Großmachtansprüche vermutet“, sagt er. Auf den kleinen Teichen, die traditionell vor jedem Haus angelegt sind, blühen Seerosen und Lotusblüten. Das Elend kommt malerisch daher. Dazwischen Müllhaufen.
Stopp in Skuon, der Stadt der Spinnen: Der Vogelspinnenmann verlangt einen Dollar und lässt den Besuchern dafür einen fetten Spiderman über den Arm krabbeln. Kinder bieten Bananen und Mangos an. Ein Dollar. Sie weinen, als die Touristen nichts kaufen. Yim Dima unterrichtet Straßenkinder. Er weiß von der Verelendungsproblematik und der zunehmenden Kinderprostitution durch einen aggressiven Sextourismus in Kambodscha.
Am Wegesrand werden massenhaft tönerne Buddhastatuen und Khmertänzerinnen angeboten. Die Gartenzwerge der Kambodschaner. Zwei küssende Wasserbüffel im Teich. „Sonst küsst sich hier doch niemand“, stellt eine Mitreisende fest.
Im modernen, wieder großstädtischen Phnom Penh führt uns Yim Dima ins Tuol-Sleng-Museum. Das ehemalige Foltergefängnis der Roten Khmer, die Phnom Penh von 1975 bis 1979 entvölkerten und bis zu zwei Millionen Kambodschaner töteten. Das karge ehemalige Schulgebäude mit Fotos der Gefangen und Gefolterten wirkt unendlich trist.
Und Yim Dima redet nicht gerne von dieser Vergangenheit, er sei demütig geworden. „Ich habe fünf Brüder und meine Eltern durch die Terrorherrschaft der Roten Khmer verloren. Meine letzten zwei Brüder standen schon auf ihrer Todesliste. Nur der Einmarsch der Vietnamesen hat sie gerettet. Das ist alles sehr schwer zu verstehen. Ich bin zurückgekommen, um etwas für mein gebeuteltes Land zu tun.“ Gerade läuft der Prozess gegen die frühere Sozialministerin des Pol-Pot-Regimes, Ieng Thirith. Eine Genugtuung? „Nein, die kann es nicht geben“.
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