Indigenen-Vertreterin über Naturschutz: „Wir haben uns versammelt und gesagt: Wir machen das falsch“
Indigenen-Vertreterin Karen Ulchur fordert mehr Macht bei den UN-Verhandlungen zum Schutz der Natur. Ihr Volk der Nasa in Kolumbien löse Umweltprobleme.
taz: Frau Ulchur, was erwarten Sie vom derzeitigen Weltnaturgipfel im kolumbianischen Cali?
Karen Ulchur: Uns Frauen interessiert besonders, die Mutter Erde besser zu beschützen. Wie bewahren wir den Páramo, also unsere Hochmoorlandschaften. Welche Institutionen helfen uns, unser Land vor kriminellen Banden und Konzernen zu schützen? Die indigenen Gemeinden haben von je her am meisten für die Umwelt getan, aber sie können die Verantwortung nicht alleine tragen. In den Verhandlungen auf der COP sind wir zu unsichtbar. Dabei sind wir es letztendlich, die wissen, was auf unseren Territorien passiert. Wir brauchen echte Teilhabe. Bislang dürfen wir aber nur zusehen, nicht mitentscheiden.
Karen Ulchur Fernández (22) stammt aus dem Reservat Jebalá. Das liegt in der Region Cauca. Sie gehört dem Volk der Nasa an. Seit 2021 ist sie Mitglied des Regionalen Indigenen-Rats Cauca (CRIC), der schlagkräftigsten und ältesten indigenen Organisation Kolumbiens.
taz: Wie ist es denn dort, wo Sie herkommen?
Ulchur: Unser Reservat Jebalá ist im unteren Teil eben und warm, im oberen bergig und gemäßigt. Es gibt verschiedene Lebensräume. Wälder, einen Wasserfall, ein Schutzgebiet, das wir nicht betreten. Im unteren Teil wird Kaffee angebaut. Der höchste Punkt heißt loma de la culebra, Schlangenberg. Man kann unser Reservat mit dem Motorrad in etwa einer Stunde abfahren. Es leben 2.300 Menschen in Jebalá, nicht alle an einem Ort, sondern verstreut. Wir haben weder Gas noch Trinkwasser aus der Leitung, sondern kochen Wasser vom Berg ab. Strom gibt es seit Kurzem in manchen Häusern. Fürs Abwasser nutzen wir Klärgruben und Latrinen.
taz: Ist die Umwelt intakt in Jebalá?
Ulchur: Wir haben ein Problem mit der Wasserversorgung. Im Sommer, in der Trockenzeit, scheint die Sonne viel zu stark und unsere Quellen trocknen aus. Die Mehrheit der Bewohner:innen hat dann kein Wasser und ist auf Tankwagen angewiesen. Das war schon immer schwierig bei uns. Aber es ist wegen der Abholzung immer schlimmer geworden. Vor sechs Jahren wurde es schließlich gefährlich.
taz: Wer hat denn bei Ihnen abgeholzt?
Ulchur: Das war unsere Gemeinschaft selbst – wegen Kohle, Agavenfaser und Brennholz. Die Kohle und die Agavenfaser, die wir nutzen, um Schnüre oder Taschen herzustellen, sind Einkommensquellen. Mit dem Brennholz kochen wir.
taz: Sie haben sich selbst das Wasser abgegraben. Und dann?
Ulchur: Wir haben uns versammelt und gesagt: Wir machen das falsch. Wir schaden uns. Wenn wir nichts ändern, haben wir in fünf Jahren kein Wasser mehr. Ohne Wasser ziehen die Leute weg. Also haben wir unser Verhalten geändert. Meine Rolle dabei war, Strategien zu entwickeln, wie wir Bäume herbekommen, Bewusstsein schaffen. Ich habe gemeinschaftliche Versammlungen geführt.
taz: Konnten Sie das Wasserproblem lösen?
Ulchur: Wir haben bestimmte Gebiete um die Quellen abgesperrt und dort mit einheimischen Baumarten aufgeforstet. Statt der Holzkohle verkaufen wir jetzt nur noch Agavenfaser und daraus gefertigte Taschen. Das Brennholz gewinnen wir jetzt aus dem Teil des Reservats, wo Rinderweiden sind. Und wir sammeln in der Regenzeit das Wasser, das von den Dächern herunterfließt. Wir merken, wie sich die Situation verbessert hat. Wir haben jetzt den ersten Sommer ohne Tankwagen überstanden! In den drei Monaten hat sich die Wassermenge zwar stark verringert, aber wir haben es geschafft. Das war eine gemeinschaftliche Leistung.
taz: In der Region Cauca gibt es viele Probleme mit illegalen bewaffneten Gruppen. Bei Ihnen auch?
Ulchur: In letzter Zeit ist das sehr ausgeprägt mit der ELN-Guerilla und der Farc …
taz: … das sind Farc-Splittergruppen, die sich nicht dem historischen Friedensabkommen von 2016 angeschlossen haben.
Ulchur: Genau, sie haben allen, die Alkohol trinken, mit einer sozialen Säuberung gedroht – also, dass sie sie ermorden werden. Unsere indigenen Autoritäten versuchen, ihnen Grenzen zu setzen und sie zu vertreiben. Damit riskieren sie ihr Leben.
taz: Was wollen die bewaffneten Gruppen auf Ihrem Land?
Ulchur: Was sie genau wollen, wissen wir nicht. Wir haben keine illegalen Drogenpflanzen wie Coca und Marihuana und wollen auch keine. Aber durch unser Reservat führt die Verbindung zwischen Gemeinden, die für den Drogenhandel wichtig sind. Bisher haben sie zum Glück noch nicht versucht, Kinder zu rekrutieren. Vor einer Woche stahlen sie auf der Panamericana mehrere Jeeps und brachten sie auf unser Land. Die Armee reagierte schnell und vertrieb sie. Aber auf unserem Land sollten weder illegale Gruppen noch staatliche Sicherheitskräfte sein. Das ist verboten.
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