Indigene in den USA: Gewalt und Missbrauch
Auch in den USA gab es Zwangsunterbringung indigener Kinder an Internaten. Ein neuer Bericht des Innenministeriums spricht von hunderten Todesfällen.
Zwischen 1819 und 1969 hat es demnach mehr als 400 solche Schulen für Indigene gegeben. Der Startschuss fiel mit dem „Indian Civilization Act“ aus dem Jahr 1819: Die Vereinigten Staaten setzten mithilfe von Kirchen eine Art staatliches Schulsystem um, bei dem nordamerikanische Ureinwohner*innen im Kindesalter zwangsweise in spezielle Schulen außerhalb ihrer Herkunftsorte und Familien gesteckt wurden. Mit den Internaten hätten die USA ein doppeltes Ziel verfolgt, heißt es im Bericht – das „der kulturellen Assimilation und territorialen Enteignung von Ureinwohnern“.
Die Kinder sollten ihre Identität zurücklassen. Systematisch seien in den Schulen Methoden angewendet worden, um das zu erreichen: Sie bekamen neue, englische Namen, ihnen wurden die Haare abgeschnitten, ihnen wurde verwehrt, ihre Muttersprache zu sprechen oder ihre Religion auszuleben.
Dazu kam Misshandlung: „Grassierender körperlicher, sexueller und emotionaler Missbrauch, Krankheiten, Unterernährung, Überbelegung und Mangel an medizinischer Versorgung in indianischen Internaten sind gut dokumentiert“, heißt es im Report.
„Starkes Signal in Richtung Gerechtigkeit und Heilung“
„Die Folgen der Internatspolitik für Ureinwohner*innen – einschließlich des generationsübergreifenden Traumas durch Familientrennung und kultureller Vernichtung – die Generationen von Kindern schon ab einem Alter von vier Jahren auferlegt wurden, sind herzzerreißend und unbestreitbar“, erklärte Innenministerin Deb Haaland. Sie stamme von Opfern des Internatswesens ab, für das genau das Ministerium verantwortlich sei, das sie heute leite. Haaland ist die erste indigene Ministerin der USA, sie zählt sich zum „Pueblo of Laguna“ im heutigen New Mexico.
Man werde nicht aufhören, sich dafür einzusetzen, „bis die Vereinigten Staaten den an den Kindern der Ureinwohner*innen begangenen Völkermord vollständig aufklären“, sagte Deborah Parker von der Initiative NABS (National Native American Boarding School Healing Coalition) in einem emotionalen Statement zum Bericht. Der Bericht des Innenministeriums sei „ein starkes Signal des Fortschritts in Richtung Gerechtigkeit und Heilung für vergangene und künftige Generationen“, heißt es von Seiten der Organisation National Congress of American Indians.
Dem Report soll noch ein zweiter Teil folgen.
Im vergangenen Jahr hatten grausige Funde in Kanada die Öffentlichkeit wachgerüttelt. Auch dort hatte es sogenannte „residential schools“ für indigene Kinder gegeben, die meist von der katholischen Kirche betrieben waren. Im Sommer 2021 waren an den Standorten mehrerer solcher Schulen etliche unmarkierte Gräber sowie Überreste von Kinderleichen gefunden worden.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott