Indiens neues Einbürgerungsgesetz: Die mutigen Musliminnen vom Sit-in

Indiens Frauen blockieren die Straßen – zuerst in Delhi, jetzt auch in Mumbai. Damit protestieren sie gegen ein diskriminierendes Einbürgerungsgesetz.

Frauen in bunten Gewändern

Zuerst in Delhi, seit vier Wochen in Mumbai: Frauen wehren sich gegen das Einwanderungsgesetz Foto: Adnan Abidi/Reuters

MUMBAI taz | Der Protest beginnt nur wenige Gehminuten von Mumbais Hauptbahnhof entfernt. Einige Hundert Frauen besetzen eine Seitenstraße – seit vier Wochen schon. Sie protestieren gegen Indiens umstrittenes neues Einbürgerungsgesetz. Täglich haben sie eine ­andere Aktion vorbereitet, erzählt die Therapeutin Safoora Shaikh. An diesem Abend lassen sie Luftballons in den Farben der ­indischen Flagge, Safran, Weiß und Grün, aufsteigen, gebunden an einen Drachen mit der roten Aufschrift „Kein Bürgerregister“.

„Mumbai Bagh“ wird der Protestort genannt. Besonders unter Musliminnen ist die Verunsicherung groß. Denn die neue Regelung, die bestimmten Flüchtlingen und Migranten den Erwerb der indischen Staatsbürgerschaft erleichtern soll, schließt Muslime ausdrücklich aus. Manche Inder sind über diese Neuregelung empört, Flüchtlinge aus Ländern wie Bangladesch und Afghanistan fürchten um ihren Verbleib.

Landesweite Demonstrationen gegen das Einbürgerungsgesetz in einigen Städten im Dezember haben sich inzwischen in Sitzproteste von mehrheitlich muslimischen Frauen verwandelt. Auf dem Instagram-Account „Mumbai Bagh“ werden neun weitere Städte angegeben. Viele der Frauen dort vermuten, das neue Gesetz sei erst der erste Streich von Innenminister Amit Shah. Darauf werde ein Bürgerregister folgen, bei dem alle erst ihre Staatsbürgerschaft nachweisen müssen, um eingetragen zu werden – mit entsprechenden Dokumenten, die mehrere Generationen zurückreichen, was die wenigsten indischen Familien können.

Innenminister Shah hat dieses Vorhaben bereits angekündigt. Premierminister Narendra Modi hat dementiert. So ganz will Nachwuchssportler Abdul das aber nicht glauben. Er wohnt im Hochhaus gegenüber von „Mumbai Bagh“. Der junge Mann kommt oft vorbei, um zu sehen, was die Frauen auf der Straße machen.

Vorbild: Eine Straßenblockade in Delhi

Denn für viele in Indien ist es ungewohnt, Frauen Tag und Nacht draußen sitzen zu sehen. Doch sie sind nicht allein. Neben den Männern, die hinter der Absperrung mit der bunt bemalten Wand stehen, sind etwa 20 Polizistinnen und Polizisten in drei Schichten vor Ort. Sie sollen dafür sorgen, dass es ruhig bleibt.

Den Spitznamen „Mumbai Bagh“ bekam das Sit-in nach einer Woche, angelehnt an einen Protest in Delhis Wohnviertel Shaheen Bagh, wo seit zwei Monaten Musliminnen eine Autobahn blockieren. „Es geht auch darum, die Frauen von Shaheen Bagh zu unterstützen, die mit so vielen Problemen konfrontiert sind“, sagt Shaikh in Mumbai. Sie kommt nach der Arbeit zum Sit-in und bleibt bis Mitternacht.

Unter den Frauen, die meist schwarze Schleier tragen, sind viele Hausfrauen und Ältere, aber auch Studentinnen, Mütter mit kleinen Kindern die interessiert herumlaufen.

Die Lokalregierung duldet die Sitzblockade, „die beste Revolution der Stadt“ laut Google-Review. „Was die Frauen hier tun, tun sie nicht nur für sich, sondern für alle in diesem Land“, sagt Sozialarbeiterin Naseefa, die an diesem Abend dazugekommen ist. Die 64-Jährige trägt ein pinkes zweiteiliges Gewand, eine „Rida“ aus einer Kapuzenbluse und einem langen Rock, was sie als Bohra-Muslimin von den anderen Frauen abhebt.

„Wir haben das Recht zu protestieren“

Verlässt man die Gegend, werden einige Mumbaier skeptisch: „Sind diese Frauen gebildet genug, um zu verstehen, für was sie da protestieren?“, fragt Verkäufer Chetan. „Ich habe das Gefühl, das sind von der Opposition bezahlte Proteste, wie sie sonst vor Wahlen vorkommen“, meint Kleinunternehmer Ravi. „Wir haben das Recht, zu protestieren“, entgegnet Safoora Shaikh solchen Kritikern. Die Frauen bestreiten, dass sie dafür Geld annehmen.

Shaikh vermutet, die Gerüchte hätten ihnen Ursprung darin, dass sich die Regierung vor ihrem Protest fürchtet. Teilweise kamen über tausend Menschen zusammen. Doch reicht das, um in der brodelnden Millionenstadt Mumbai Lärm zu machen?

Mitglieder der indischen Regierungspartei BJP schweigen über die Frauen von „Mumbai Bagh“. Kleinunternehmer Ravi, der mit der BJP sympathisiert, versichert: Keiner muss Angst haben, die Frauen auf der Straße werden sich ausweisen können, wenn es so weit ist.

Ihre Aktion hat den Frauen in Mumbai immerhin zu einem Gespräch mit LokalpolitikerInnen verholfen. Naseefa, Safoora Shaikh und die anderen hoffen aber auf mehr. Der Regierungschef des Bundesstaats Maharashtra, in dem Mumbai liegt, hat verkündet, ein Bürgerregister werde es in seinem Bundesstaat nicht geben. Das hätten die Frauen jetzt gern schriftlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Natalie Mayroth schreibt seit 2015 für die taz. Seit 2017 berichtet sie aus Indien und Südasien. Sie kam damals mit einem JournalistInnen-Stipendium nach Indien. In München absolvierte sie 2014 ihren Magister in Europäischer Ethnologie, Soziologie und Iranistik. Natalie Mayroth ist deutsch-iranischer Herkunft.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.