Indien nutzt G20-Treffen in Kaschmir: Konfliktregion als Tourismusgebiet
Indien nutzt seinen G20-Vorsitz für ein Tourismustreffen in Kaschmir und wirbt für den dortigen Fremdenverkehr samt seiner harten Politik.
Monatelang hatte Indiens Regierung ein Treffen vorbereitet, zu dem sie im Rahmen ihrer Präsidentschaft der Gruppe der führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) auch deren Tourismus-AG nach Srinagar eingeladen hatte, der Sommerhauptstadt des von Indien kontrollierten Teils von Kaschmir.
Unter den über 200 Veranstaltungen von Indiens G20-Vorsitz stechen zwei hervor: Das Technologietreffen im nordöstlichen Bundesstaat Arunachal Pradesh Ende März, das China wegen seiner eigenen Ansprüche auf „Südtibet“ absagte, und das Treffen in der ersten Hälfte dieser Woche in Srinagar.
Beide Treffen wurden wegen der umstrittenen Ortswahl von Indiens Nachbarn kritisiert, Srinagar vor allem vom Rivalen Pakistan, mit dem Indien seit 1948 um Kaschmir streitet. Peking kam die Kritik an Indien gelegen, worauf sich China Islamabad anschloss. „Wir lehnen jede Form von G20-Treffen in umstrittenen Gebieten ab“, erklärte Chinas Außenministerium.
Kleines Treffen, großer Konflikt
Zweifellos wollte Delhi mit dem Treffen zeigen, dass es die Konfliktregion kontrolliert. Knapp 60 ausländische Delegierte aus fast 30 Ländern kamen nach Kaschmir. Von der G20 blieben auch die Türkei und Saudi-Arabien fern. Riad schickte immerhin noch Tourismusvertreter.
Doch fehlten auch der Oman und Ägypten. Sie erklärten sich solidarisch mit Pakistan, das Indien unterstellt, seine G20-Präsidentschaft zu „missbrauchen“. Im vom Pakistan kontrollierten Teil Kaschmirs wurde gegen G20 protestiert.
Die Spannungen mit Pakistan waren ein Grund für die vielen Sicherheitsmaßnahmen. Dabei war das Treffen die erste internationale Großveranstaltung in der umstrittenen Region seit Delhi im August 2019 dem indischen Teil Kaschmirs die Teilautonomie entzogen hatte.
Heute ist der Bundesstaat in die Unionsterritorien Jammu & Kaschmir sowie Ladakh geteilt und Delhi direkt unterstellt. Kaschmirs Gouverneur Manoj Sinha (BJP) hob denn auch die positiven Veränderungen der letztem Jahre hervor. Die Region habe 30 Jahre lang unter dem von Pakistan staatlich geförderten Terrorismus gelitten. Die Modi-Regierung habe eine neue Ära des Friedens und des Wachstums eingeläutet, so Sinha. Nicht alle in Kaschmir teilen diese Meinung.
In Kaschmir arrangieren sich viele mit der Situation
Zwar ist Modi mit seinen vielen Plakaten omnipräsent. Doch die muslimische Bevölkerungsmehrheit fühlt sich von seiner hindunationalistischen Partei BJP nicht repräsentiert. Das sagen nur wenige laut, die meisten arrangieren sich mit der Situation. Viele stimmt optimistisch, dass der Tourismus wieder anzieht.
Letztes Jahr kamen 18 Millionen Besuchende nach Kaschmir. Zwar ist auch hier die Landwirtschaft der größte Arbeitgeber, doch viele sehen im Tourismus ein Potenzial. Das Treffen in Srinagar soll nicht nur Indiens geografische Vielfalt betonten, sondern auch den lokalen Tourismus stärken.
„Unser Ziel ist es, den Filmtourismus nicht nur in Kaschmir, sondern in ganz Indien wiederzubeleben“, erklärte Tourismusminister Kishan Reddy (BJP) auf dem Gipfel. Über 300 Filmdrehgenehmigungen seien jüngst in Kaschmir ausgestellt worden. Die Region, die einst oft in indischen Filmen zu sehen war, kehrt langsam wieder zurück.
Das Treffen fiel jetzt sogar in die Hauptsaison. Langjährige Reisewarnungen westlicher Ländern, darunter Deutschland, schrecken nicht ab. Denn im restlichen Indien übersteigen die Temperaturen bei der gegenwärtigen Hitzewelle schon einmal die Marke von 40 Grad.
Tourismus gab es in Kaschmir schon immer
„Mit dieser Veranstaltung können wir zeigen, was wir trotz schwieriger Zeiten erreicht haben. Den Tourismus hat es hier immer gegeben“, sagt Monika Rathore, die aus dem hinduistisch geprägten Jammu nach Srinagar kam. Ein Besuch, der nach acht Jahren Pause wieder häufiger werden soll.
Vor ein paar Jahren hatte sie einen Molkereibetrieb aufgebaut und wurde als Unternehmerin eingeladen. Die gewaltsamen Konflikte über den Status der Region hätten diese fast zum Stillstand gebracht, sagt sie, doch spüre sie die Veränderung. Mittlerweile gebe es bessere Straßen, Krankenhäuser und Verbindungen in die Winterhauptstadt Jammu. Vielleicht gibt es bei dem G20-Treffen wenigstens eine Empfehlung für nachhaltigen Tourismus.
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