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■ In Stockholm ist die Entscheidung gefallen. Günter Grass ist der Träger des diesjährigen Literaturnobelpreises. Er erhält ihn, wie vor ihm Heinrich Böll, für sein Lebenswerk - das auch ein kritischer Spiegel der Geschichte der Bundesrepublik ist ■ Von Jürgen BuscheWas lange währt, wird endlich Nobel

Der Literaturnobelpreis für Günter Grass scheint die Zeit zurückzudrehen: Wenn man das Gesamtwerk in den Blick nimmt, ebenso die politische Biografie des Autors. Die Entscheidung der Stockholmer Jury kann aber auch verstanden werden als ein Stück neuer Normalität – wie sie in anderen Fällen von Grass heftig abgelehnt wird. Der Nobelpreis ist ein internationaler Preis, er zeichnet aus, was in aller Welt bekannt ist oder nach Überzeugung der Juroren in aller Welt bekannt sein sollte, eben aber auch könnte.

Die deutsche Literatur hat in diesem Jahrhundert, zu dessen Beginn der Nobelpreis gestiftet wurde, nicht eben mit literarischen Welterfolgen geglänzt, mit international erfolgreichen Romanen schon gar nicht. Als der erste Deutsche den Preis bekam, war es gar kein Dichter, sondern ein Historiker: Theodor Mommsen; er bekam ihn für die allerdings meisterhafte Prosa, in der er fünfzig Jahre zuvor seine „Römische Geschichte“ geschrieben hatte.

Als Thomas Mann die schwedischen Weihen erhielt, geschah das ausgesprochenermaßen für die „Buddenbrooks“, die 25 Jahre zuvor erschienen waren und also Zeit genug gehabt hatten, in Europa ihr Publikum zu finden. Und jetzt, da Günter Grass geehrt wird, ist es 40 Jahre her, dass er mit einem der wenigen Welterfolge hervortrat, die der deutsche Roman in seiner alles andere als ruhmreichen Geschichte überhaupt aufzuweisen hat. Kafka wurde nicht alt genug, um bei Gelegenheit der späten Anerkennung seiner Romane ausgezeichnet zu werden.

Das ist der eine, der , wenn man so will, banale Teil der Geschichte: Als Autor der „Blechtrommel“ hatte Grass seit langem zu den Dauerkandidaten für den Nobelpreis gehört. Der andere, der aktuelle Teil ist weitaus bemerkenswerter. Grass , der sich wie kein anderer der bekannten Schriftsteller seiner Generation der neuen Normalität im wiedervereinigten Deutschland verweigert, könnte den Preis auch für sein Lebenswerk, was bedeuten würde, auch für die Konsequenz bekommen haben, mit der er über Jahrzehnte an seinen politischen Überzeugungen festhielt und ihnen Einfluss auf seine Bücher einräumte. Dafür gibt es, was die Ehrung angeht, auch ein Vorbild: Heinrich Böll. Böll wird vielen Lesern kaum als Autor literarisch brillanter Prosa in Erinnerung geblieben sein, wohl aber als ein unbeirrbarer Streiter für eine engagierte, nachdenkliche, um demokratische Kultur bemühte Literatur in der heranwachsenden Bundesrepublik Deutschland. Ähnliches darf man Grass auch nachrühmen. Spätestens seit den sechziger Jahren kann man eine Geschichte des Schriftstellers Günter Grass auch anhand der Daten seines politischen Engagements erzählen: Die Einsätze bei Bundestagswahlkämpfen für die SPD, die Spende von ausgewählten Büchern, kleinen Bibliotheken für Bundeswehrkasernen, das Streiten gegen infame Anbiederung an kommunistische Funktionäre aus der alten DDR, der Austritt aus der SPD, als diese mit der CDU den Asylkompromiss vereinbarte – inzwischen gehört er wieder dazu.

All das ist aber nicht nur Geschichte des Schriftstellers Günter Grass, sondern auch Geschichte der alten Bundesrepublik – und dieser Geschichte will Grass, wie man nach zehn Jahren wohl sagen darf, auch in der neuen Bundesrepublik treu bleiben. Er gehörte zu den Einheits-Skeptikern, weil ein wiedervereinigtes Deutschland seiner Ansicht nach die falsche Konsequenz aus der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert sei. Er gehörte zu den grimmigsten Kritikern der Siegermentalität, die nach der Wiedervereinigung auf westdeutscher Seite zu beobachten war. Grass hat sich sein Misstrauen gegen die deutschen Verhältnisse bewahrt, und er sieht mit jedem Schritt, der in eine längst ausgerufene Normalität der deutschen Verhältnisse führt, sein Misstrauen bestätigt. Das unterscheidet ihn, um nur diese Namen zu nennen, von dem Paulskirchen-Redner Martin Walser, das unterscheidet ihn von dem bald siebzigjährigen Hans Magnus Enzensberger. Das verbindet ihn mit dem verstorbenen Heinrich Böll. Insofern ist der Nobelpreis konsequent.

Aber Grass ist nicht nur der Autor der „Blechtrommel“, und wer davon zu sprechen anhebt, braucht dabei nicht einen einleitenden Seufzer auszustoßen, wie es zahlreiche Kritiker, die bei Grass gern in Rudeln erscheinen, seit geraumer Zeit zu tun pflegen. Grass, ursprünglich Bildhauer, trat früh als Lyriker hervor. Es waren die fünfziger Jahre, die für seine ersten Texte die Umgebung bildeten, und das bedeutete keineswegs nur Reaktion und Restauration. Das absurde Theater beherrschte damals einen Teil der europäischen Bühnen, und eine breite Strömung der Lyrik bewegte sich auf der Flucht vor Benn und Brecht in Richtung experimentelle Sprachspiele mit einer Menge Dada im geistigen Gepäck. Grass gelangen damals unvergessliche Verse: „wer lacht hier, hat gelacht, / hier hat sichs ausgelacht, / wer hier lacht, macht Verdacht, / dass er aus Gründen lacht.“ Auch schrieb er kurze Stücke für avantgardistische Bühnen.

Als Grass 1955 auf einer Tagung der Gruppe 47 erschien, erinnert sich deren Impresario Hans Werner Richter, sah er „verwegen aus, etwas heruntergekommen, wie mir schien, desperat, wie ein bettelnder Zigeuner“. Drei Jahre später las Grass im selben Kreis ein Kapitel aus seiner „Blechtrommel“ vor. Damit begann sein Weg zum Weltruhm und der seines zwergwüchsigen Helden, des Trommlers Oskar Matzerath, in das literarische Kabinett unvergesslicher Mythen der Moderne, zu denen etwa Melvilles Käpt'n Ahab, Conrads Lord Jim oder Dürrenmatts Alte Dame gehören. Etwa gleichzeitig mit Oskar kam Nabokovs Lolita hinzu.

Was bei Grass noch hinzu kommen konnte, sollte sich als Problem erweisen. Er bewegte sich fortan in zwei Richtungen. Zum einen begann er, die Erinnerung an seine Danziger Heimat auszubeuten. Das bescherte der deutschen Literatur immerhin die Novelle „Katz und Maus“. Zum anderen entdeckte er seine politischen Pflichten , etwa auch die, als Autor seinen Lesern richtige Wege zu weisen. Die Popularität etwa, die Martin Heideggers Philosophie Ende der fünfziger Jahre bei vielen der gebildeten Deutschen genoss, hielt er für falsch: Sein zweiter Roman, „Hundejahre“, enthielt eine fulminante Parodie auf Heideggers Sprache. Das war noch lustig zu lesen, doch bald bekamen seine Bücher etwas penetrant Belehrendes. Immerhin reichte die Kraft seiner Suada, die wirklich einzigartig ist, noch aus, um die Leser in Bann zu schlagen.

Unglücklich aber verlief sein Versuch, vom absurden Theater zum politischen Ideendrama zu wechseln. „Die Plebejer proben den Aufstand“, das Stück, in dem er den 1953 während des Volksaufstands probenden Brecht auf die Bühne brachte, geriet zum Fiasko. Während der Uraufführung rief ein Zuschauer mit tonloser Stimme nach vorn: „Mein Gott, ist das schlecht!“

Der Erfolg der „Blechtrommel“ jedoch hielt unvermindert an, und Grass empfand die Verpflichtung, sich als Großschriftsteller bei möglichst großen Themen zu bewähren. „Der Butt“, „Die Rättin“ – das sind Welt- und Zeitdeutungen, die imponierend auftreten, aber kaum überzeugen. Vielleicht weil die Epoche solcher Deutungen vorbei ist. Der Roman „Ein weites Feld“ mit Theodor Fontane als hin- und hergewendeter Hauptfigur vor dem Hintergrund der „Treuhand“-Rolle bei der Aufarbeitung der Vereinigungsfolgen ist eine auf die Totale zielende Interpretation der deutschen Geschichte. Hier vermochte die Kritik an dem Buch oft nicht deutlich zu machen, ob der Furor der Ablehnung den schreibenden oder den politisch akzentuierenden Autor treffen sollte.

Vielleicht galt die Wut, die Grass immer wieder traf, der Tatsache, dass er als Schriftsteller so viel konnte, das aber seinen gierigen Lesern vorenthielt. Was er konnte, hatte er gezeigt, als er, in einem Geschenk für Hans-Werner Richter, das Personal der Gruppe 47 in wirklichen Dichtern des Barock am Ende des Dreißigjährigen Krieges vorstellte: „Das Treffen in Telgte“ – ein unglaublich kunstvolles Handwerksstück literarischer Programmarbeit. Wer das konnte, so fragten sich manche, warum musste der sich, wie es schien, wichtigtuerisch nach Kalkutta begeben, um seinen nicht mehr ganz frischen Ruhm als Schriftsteller zu erneuern? Warum musste so einer „Unkenrufe“ schreiben?

Vielleicht weil er es konnte und das nicht immer neu beweisen musste. Der Literaturnobelpreis ereilt Grass nun, da er sein Jahrhundert in Geschichten gefasst hat. Der Großschriftsteller schenkt ein Hausbuch – von ihm selbst illustriert. Die Geschichte, die in diesem Buch noch nicht vorkommen kann, ist die des Nobelpreises für den zuletzt viel verunglimpften Schriftsteller, um den es in Deutschland einsam geworden ist. Das ist schade. Denn diese Geschichte ist die schönste.

Hinweise:Als Autor der „Blechtrommel“ hatte Grass seit langem zu den Dauerkandidaten für den Literaturnobelpreis gehörtGrass entdeckte seine politischen Pflichten; „Hundejahre“ enthielt eine fulminante Parodie auf Heideggers Sprache

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