: In Kabul werden Frauen geschlagen
■ Die Taliban-Milizen melden weitere militärische Erfolge. In der afghanischen Hauptstadt hat sich die Versorgungslage verbessert. Die UNO gibt Einzelheiten über den Mord an Nadschibullah bekannt.
Islamabad/Kabul/New York (AFP) – In der afghanischen Hauptstadt Kabul haben Kämpfer der Taliban-Milizen mehrere Frauen auf offener Straße mit Stöcken geschlagen, weil sie ihrer Meinung nach nicht schicklich gekleidet waren. Wie Augenzeugen berichteten, wurden die Frauen aufgefordert, nach Hause zu gehen und sich „ordentlich“ anzuziehen.
Die fundamentalistischen Taliban-Milizen hatten die Frauen am Samstag über den Rundfunk aufgefordert, nur noch mit einem Ganzkörperschleier auf die Straße zu treten und nicht mehr zur Arbeit zu gehen. Mullah Muhammad Rabbani, der Vorsitzende des sechsköpfigen Taliban-Rats, sagte gestern vor Journalisten, der Islam erkenne das Recht der Frauen auf Ausbildung an.
Die Taliban-Milizen waren am Freitag in Kabul einmarschiert. Sie setzten am Wochenende ihren Feldzug im Norden des Landes fort. Sie kontrollieren derzeit rund zwei Drittel des Landes und wollen in Afghanistan einen islamischen Gottesstaat errichten.
Erstmals nach elf Monaten wurde der Kabuler Zivilflughafen Chawaja Rawish wieder geöffnet. Dort empfingen zwei Mitglieder des Taliban-Rats den UN-Sonderbeauftragten für Afghanistan, den deutschen Diplomaten Norbert Holl.
Nach Angaben der neuen Machthaber soll die Bevölkerung in der Hauptstadt bald wieder elektrischen Strom haben. Er war seit rund einer Woche ausgefallen, nachdem die Taliban-Milizen ein Wasserkraftwerk östlich von Kabul erobert hatten. Die Nahrungsmittelpreise sanken im Vergleich zur vergangenen Woche um rund 15 Prozent. Am Sonntag wurden Lebensmittel in die Stadt geliefert.
Die Taliban-Milizen wollen das landesweite Verwaltungssystem neu aufbauen und damit die „Ordnung im Lande wiederherstellen“, sagte am Sonntag ein führendes Mitglied der Taliban-Milizen, Achunsada Wakil, im Hauptquartier der Milizen in Kandahar im Südwesten Afghanistans. Sobald die Taliban-Kämpfer das ganze Land kontrollierten, werde der sechsköpfige Taliban-Rat seine Regierungspolitik und die Pläne für den Wiederaufbau des vom Bürgerkrieg zerstörten Landes bekanntgeben.
Wakil beschuldigte die früheren Machthaber Afghanistans, Staatseigentum geraubt und die Staatskasse geplündert zu haben, und forderte sie auf, das zurückzugeben, was sie „gestohlen“ hätten. Präsident Burhanuddin Rabbani, sein Militärchef Ahmed Schah Massud und Ministerpräsident Gulbuddin Hekmatjar waren aus Kabul geflohen und sollen sich in Dschablus Us Siradsch im Norden aufhalten. Die Kämpfer der Taliban-Milizen sollen auf ihrem Eroberungsfeldzug im Norden kurz vor dem mutmaßlichen Hauptquartier Massuds stehen. Am Samstag hatten sie die Stadt Scharikar eingenommen, die als Verteidigungslinie der Regierungstruppen galt.
In New York schilderte die Sprecherin von UN-Generalsekretär Butros Ghali, Sylvana Foa, Einzelheiten über den Tod an dem ehemaligen Regierungschef Muhammad Nadschibullah, der von den Taliban am Freitag in Kabul umgebracht und öffentlich aufgehängt worden war. Nadschibullah hatte sich seit seinem Sturz im Jahre 1992 auf einem UN-Gelände in Kabul aufgehalten. Foa betonte, man habe Nadschibullah mehrfach nahegelegt, sich an einen anderen Ort bringen zu lassen, doch der habe stets abgewinkt. Die UNO habe auch erwogen, die Rabbani-Regierung zu bitten, Nadschibullah vor den anrückenden Taliban in Sicherheit zu bringen.
UN-Mitarbeiter hätten sich in einem Gebäude rund zehn Minuten von dem Aufenthaltsort Nadschibullahs befunden, sagte Foa. Am Donnerstag habe dieser dann angerufen und mitgeteilt, alle Regierungssoldaten seien verschwunden. „Aber es gab nichts, was wir hätten tun können“, sagte Foa. „Wir haben weder Truppen, noch haben wir Waffen. Wir haben herumtelefoniert, mit dem Roten Kreuz gesprochen. Aber niemand konnte etwas tun, um dorthin zu kommen. Es war das totale Chaos in der Stadt.“
Nach dem Abzug der Regierungstruppen sei auf dem UN-Gelände nur noch ein unbewaffneter afghanischer Wachmann gewesen, berichtete Foa. In der Nacht zum Freitag seien fünf bewaffnete Männer durch das Haupttor geradewegs in die Räume Nadschibullahs vorgedrungen. „Sie wußten offensichtlich genau, wo er war“, sagte Foa. „Sie saßen da und sprachen mit ihm einige Minuten lang, und dann haben sie ihn weggeschleppt.“ Anschließend hätten sie seinen Bruder abgeholt, der ebenfalls ermordet wurde. Zwei Stunden später seien sie erneut erschienen, doch seien dann zwei UN-Sicherheitsbeamte dort gewesen. Trotz deren Protesten hätten die Taliban- Milizionäre das Gelände nach dem Leibwächter Nadschibullahs und einem Berater durchsucht. Laut Radio Kabul wurden die beiden gehenkt.Kommentar Seite 10
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