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In Berlin entführter VietnameseAngeblich hat keiner etwas gewusst

Die Bundesregierung bezieht Stellung zu offenen Fragen im Entführungsfall Trinh Xuan Thanh. Ganz schlüssig sind ihre Angaben nicht.

Der Entführte Trinh Xuan Thanh im Januar in Hanoi vor Gericht Foto: dpa

Berlin taz | Mitten in Berlin wird ein Vietnamese vom Geheimdienst seines Landes entführt und niemand bekommt etwas mit – kann das sein? Die Entführung des Ex-Politikers Trinh Xuan Thanh ist mehr als ein Jahr her, nun bezieht die Bundesregierung zum ersten Mal Stellung zu offenen Fragen.

„Weder den Nachrichtendiensten des Bundes noch dem Bundeskriminalamt (BKA) oder der Bundespolizei lagen vor der Entführung des Trinh Xuan Thanh am 23. Juli 2017 Hinweise auf eine mögliche Gefährdung seiner Person vor“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünenfraktion im Bundestag, die der taz vorliegt. Deshalb habe „kein Anlass für eine Prüfung gegebenenfalls erforderlicher polizeilicher Schutzmaßnahmen“ bestanden.

Der Bundesverfassungsschutz, der für die Spionageabwehr zuständig ist, habe „vor der Entführung keine tatsächlichen Anhaltspunkte für einschlägige Aktivitäten vietnamesischer Nachrichtendienste in Deutschland“ gehabt. Und dass Trinh Xuan Thanh über Tschechien in die Slowakei und von dort mit einem slowakischen Regierungsflugzeug nach Russland gebracht wurde, brachten die deutschen Dienste offenbar ebenso wenig in Erfahrung. Zumindest hatten sie in diesem Zeitraum keinen „fallbezogenen Kontakt“ mit Sicherheitsbehörden dieser Länder.

Der stellvertretende Vorsitzende der Grünenfraktion, Konstantin von Notz, übt heftige Kritik: „Es ist besorgniserregend, wie hilflos die Bundesregierung in der Bearbeitung des Falles Thanh sowohl in der Abwehr des Übergriffes als auch beim politischen Umgang mit seiner Aufklärung wirkt“, sagte er der taz. Dass die Nachrichtendienste von der Entführung offensichtlich völlig überrumpelt worden seien, sei „angesichts der Tatsache, dass es sich dabei um einen direkten Angriff auf unseren Rechtsstaat und die hier Schutzsuchenden gehandelt hat, kein gutes Zeichen“.

Kaum Antworten

Die Regierung gibt sich in der Antwort auf die Anfrage zugeknüpft und will viele Fragen nicht beantworten. Sie bestätigt aber den Besuch des mutmaßlichen Entführers Quang Dung Vu in Deutschland gut drei Monate vor der Entführung, über den die taz berichtet hatte. Der Agent sei als Dolmetscher Teil einer sechsköpfigen Delegation gewesen, die zum BND nach Berlin reiste.

Leiter der Delegation war demnach Nguyen Kim Quy, einer der Vizechefs des Geheimdienstes, der sich mit dem BND-Vizepräsidenten für Zentrale Aufgaben und Modernisierung zu einem Arbeitsfrühstück traf. Über Trinh Xuan Thanh haben sie angeblich nicht gesprochen.

Quang Dung Vu nahm vor Jahren als BND-Stipendiat an einem Sprachkurs teil. Die Bundesregierung will jetzt aber nicht einmal bestätigen, dass es ein solches Ausbildungsprogramm gibt: „Weder der BND noch das BfV betrieben oder betreiben Ausbildungs-, Förder- oder Stipendienprogramme für Mitarbeiter ausländischer Nachrichtendienste im Sinne einer regelhaften Folge systematisch strukturierter Ausbildungsveranstaltungen.“

Widerspruch um Merkel

Ein weiterer Widerspruch: „Die Bundeskanzlerin hatte keine Kenntnis“, heißt es knapp auf die Frage, ob Merkel vor dem 23. Juli 2017 Bestrebungen Vietnams bekannt gewesen seien, Trịnh Xuan Thanh nach Vietnam zu verbringen. Ein mit dem Fall befasster BKA-Beamter hatte allerdings vor dem Berliner Kammergericht ausgesagt, dass Merkel in der Angelegenheit am 18. Januar 2017 einen Brief des vietnamesischen Ministerpräsidenten beantwortetet habe. Am Rande des G20-Gipfels im Juli 2017 trafen sich Merkel und der Ministerpräsident dann auch persönlich.

Auffällig ist, wie die Bundesregierung die in den Fall verwickelte Slowakei aus der Schusslinie nimmt. Zwar wird erwähnt, dass sie auf Aufklärung gedrängt habe, zuletzt Innenminister Horst Seehofer in einem Gespräch mit der slowakischen Innenministerin am 24. September 2018.

Gleichzeitig betont sie aber ausdrücklich, dass keine Ermittlungen gegen Mitglieder der slowakischen Regierung oder andere slowakische Staatsangehörigkeiten geführt werden. Es lägen ihr keine eigenen Erkenntnisse vor, „ob und inwieweit Mitglieder der slowakischen Regierung von der geplanten oder bereits durchgeführten Entführung gewusst haben könnten“.

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2 Kommentare

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  • "Gleichzeitig betont sie aber ausdrücklich, dass keine Ermittlungen gegen Mitglieder der slowakischen Regierung oder andere slowakische Staatsangehörigkeiten geführt werden. Es lägen ihr keine eigenen Erkenntnisse vor, „ob und inwieweit Mitglieder der slowakischen Regierung von der geplanten oder bereits durchgeführten Entführung gewusst haben könnten“."

    Wenn man sich die Frage dazu in der Kleinen Anfrage durchliest, merkt man, dass die Bundesregierung da gar nichts betont hat. Es wurde die Formulierung der Frage Nr. 42 aufgegriffen und kurz und knapp mit "keine eigenen Erkenntnisse" beantwortet.

    Zu behaupten, die Bundesregierung nähme die slowakische Regierung aus der Schußlinie, ist bei einem "Es liegen keine Erkenntnisse vor." als Anwort schon etwas konstruiert.

    dip21.bundestag.de...19/041/1904120.pdf

    • Sebastian Erb , Autor des Artikels, Reporter
      @rero:

      In der Antwort wird mehrfach erwähnt, dass gegen slowakische Staatsbürger, insbesondere Regierungsmitglieder, nicht ermittelt wird. Das mit den den "keinen eigenen Erkenntnissen" ist nur zusätzlich. Auch im Vergleich zur sonstigen Schmallippigkeit in der Antwort betont die Bundesregierung diesen Aspekt also schon.