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In Belarus aus dem Knast geschmuggeltDer Gesang der Gefangenen

Der Anwalt Maxim Znak schrieb als politischer Gefangener in Belarus Geschichten. Nun liegen sie unter dem Titel „Zekamerone“ auf Deutsch vor.

Maxim Znak im Gerichtssaal, am Tag der Urteilsverkündung im September 2021 Foto: Viktor Tolochko/sna/imago

Das letzte Bild, das von Maxim Znak durch die Presse ging, zeigt ihn in einem Gericht in Minsk, gemeinsam mit der Bürgerrechtlerin Maria Kolesnikowa. Es ist vom September 2021, die beiden belarussischen Oppositionellen waren zu elf beziehungsweise zehn Jahren Haft verurteilt worden, noch in Handschellen formte Maria Kolesnikowa das Herzchensymbol mit ihren Händen.

Maxim Znak war Anwalt der oppositionellen Politikerin gewesen, der Jurist war zudem Teil des demokratischen Koordinierungsrats, der nach den landesweiten Protesten 2020 einen friedlichen Machtwechsel organisieren sollte. Daraus wurde bekanntlich nichts. Alle Mitglieder des Rats befinden sich heute in Haft oder im Exil.

Auch Maxim Znak ist weiter inhaftiert, er sitzt inzwischen in der Wizba-Haftanstalt Nr. 3 in der Nähe der Stadt Wizebsk. Mundtot machen vom Lukaschenko-Regime lässt er sich trotzdem nicht. Denn nun ist ein Buch von ihm auf Deutsch erschienen mit Aufzeichnungen, die Znak aus dem Gefängnis schmuggeln konnte.

100 kleine Texte

Es sind 100 kleine Texte, meist zwei- oder dreiseitige Miniaturen, die vom Leben in der Haft handeln, weniger dokumentarisch als vielmehr literarisch. So erzählt Znak auch nicht aus der Ich-Perspektive, sondern schreibt meist aus Sicht eines personalen Erzählers. „Zekamerone“ heißt das Buch. „Zek“ ist ein russisches Wort für Gefangener, auch die Gulag-Insassen nannte man zu Sowjetzeiten so.

Das Buch

Maxim Znak: „Zekamerone. Geschichten aus dem Gefängnis“. Aus dem Russischen von Henriette Reisner und Volker Weichsel. Edition Suhrkamp, Berlin 2022, 242 Seiten, 20 Euro.

Buchpräsentation mit Herta Müller, Lektorin Katharina Raabe, Übersetzer Volker Weichsel und Tatsiana Khomich, Schwester von Maria Kolesnikowa: Berlin, Gorki-Theater, 5. Februar 2023, 16.30 Uhr.

Znak, 1981 in Minsk geboren, erweist sich in „Zekamerone“ als guter Schriftsteller, über den Wahnsinn hinter Gittern verfasst er teils lakonische, teils kafkaeske Geschichten. Er schreibt von Kakerlaken und einem Pilz an der Wand („Er war vermutlich schon immer dort und wurde als Erbstück weitergegeben, wenn die Belegschaften der U-Häftlinge von Zeit zu Zeit wechselten“), von Geräuschen und Gerüchen, von seinem Hungerstreik, in den er kurz nach seiner Inhaftierung im September 2020 getreten war und aus dem er nach neun Tagen austrat. Auch die Kommunikation im Knast ist Thema, eine Geschichte handelt vom „Ururu“, der Verständigung über die Steigrohre der Toiletten in den Zellen.

Am stärksten sind seine Geschichten vielleicht da, wo Znak die so groteske wie grausame belarussische Gefängniswelt persifliert, zum Beispiel in den Dialogen der Inhaftierten mit den Zellenkontrolleuren: „Gibt es Fragen?“ – „Keine Fragen, Bürger Vorgesetzter!“ – „Führt man euch auf den Hof?“ – „Jeden Tag, Bürger Vorgesetzter!“ – „Und bei Regen?“ – „Besonders bei Regen, Bürger Vorgesetzter!“. Die Gefangenen in Belarus sind angehalten, die Mitarbeiter der Gefängnisverwaltung mit dem Ausdruck graschdanin natschalnik („Bürger Vorgesetzter“) anzusprechen, auch dieser Begriff stammt noch aus Sowjetzeiten.

„Mama, ich bin verliebt!“

Die sinnliche Abstumpfung ist auch Thema, Znak beschreibt, wie der Fernseher Tag und Nacht läuft, wie sehr die Musik fehlt und was für ein willkommenes Zeichen von Menschlichkeit es ist, wenn dumpfer Gesang aus dem Frauen- in den Männertrakt durchdringt: „Aus dem Frauentrakt ertönte durch Dutzende Wände ein verwegener Chor: ‚Mama, ich bin verliebt! In ein Arschloch!!! Sag mir warum, weshalb, in ein Arschloch?!‘ Das war lebendige Musik und die beste Musik überhaupt.“

Diese Buchveröffentlichung hat natürlich nicht nur literarischen Wert, sie dient hoffentlich auch dazu, auf die Lage der politischen Gefangenen und jener Oppositioneller, die sich noch immer im Land aufhalten, aufmerksam zu machen.

Die Zahl der „Politischen“ in Belarus ist auf einem Höchststand, laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation Viasna waren Mitte Januar 1.438 Personen als politische Gefangene inhaftiert.

Alle Belarussen im Gefängnis

Zugleich gerät Belarus angesichts des Kriegs in der Ukraine in Vergessenheit – oder es wird nur über die Unterstützung Russlands durch das Lukaschenko-Regime gesprochen. Dabei sind die eindrücklichen Worte, die die – im Exil lebende – belarussische Lyrikerin Valzhyna Mort im Nachwort zu „Zekamerone“ findet, zutreffender denn je: „Im Grunde leben alle Belarussen in einem Gefängnis. Doch gibt es innerhalb dieses Gefängnisses, das so groß ist wie ein ganzes Land, wiederum wirkliche Gefängnisse mit Zellen (‚Häusern‘) und in diesen wiederum kleinere Einzelhaftzellen – wie russische Matrjoschkas. In diesen Einzelhaftzellen sitzt oft ein Mensch, der im Inneren ein leeres ‚Haus‘ trägt – ein Magen im Hungerstreik.“

Es macht jedoch Mut, zu lesen, wie sich Znak auch im Gefängnis nicht kleinkriegen lässt, wie er die Waffen einsetzt, die Diktatoren wie Lukaschenko am meisten verabscheuen: Humor, Esprit, Öffentlichkeit.

Auch für den Widerstandswillen des 41-Jährigen findet Valzhyna Mort in einem nachgestellten Kommentar berührende Worte: „Als ihm alles genommen wurde, erwies sich sein Wille, die Welt durch Sprache und Fantasie zu verändern, als die lebenswichtigste seiner vielen Fähigkeiten. Die Freiheit des Ausdrucks kann nicht genommen werden.“ Diese 100 Kurzgeschichten zeugen davon.

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