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Impftermine in Schleswig-HolsteinJagd nach der Spritze

Impftermine sind schwer zu bekommen. In Schleswig-Holstein hilft eine App gegen Gebühr. Jugendliche Gamer helfen umsonst, sind aber langsamer.

Unter anderem da soll's hingehen: Das Impfzentrum in Kiel Foto: dpa / Frank Molter

Neumünster taz | Es ist mühselig: Seite aufrufen, Namen eingeben, Alter und Grund der Priorisierung eingeben, auf eine Rückmail warten – und dann war alles für die Katz, denn die Seite „Impfen-sh.de“ meldet meist nur, dass kein Termin für eine Impfung zu vergeben ist. Um sich den Frust zu ersparen, gibt es in Schleswig-Holstein Tricks und Hilfen: So bieten Ehrenamtliche, darunter Jugendliche, kostenlos an, Impfberechtigten zu einem Termin zu verhelfen. Außerdem existiert seit Kurzem ein Bezahlangebot: Ein IT-Experte aus Kiel hat eine Termin-App entwickelt. Ob das fair ist, darüber wird im Land gerade gestritten.

Michael und Tom, beide 16 Jahre alt, sind leidenschaftliche Gamer. Aktuell suchen sie ehrenamtlich Impftermine für Menschen, die aufgrund von Alter oder Krankheit besonders dringend Schutz vor SARS-CoV-2 brauchen. „Wir haben bessere PCs und schnellere Finger“, sagte Zehntklässler Michael dem Regionalprogramm von Sat 1.

Denn man muss schnell sein, um einen Termin in einem der 27 Impfzentren im Land zu ergattern. Zwar werden an bestimmten Tagen planbar mehrere Zehntausend neue Impfdosen freigegeben. Doch dann versuchen Hunderttausende gleichzeitig, auf die Seite zuzugreifen. Entsprechend waren die Termine bisher innerhalb weniger Minuten vergeben. In den Tagen und Wochen zwischen diesen Daten herrscht Ebbe auf der Seite – eigentlich.

„Die Termine sind zwar nach einer halben Stunde weg, aber viele Leute erscheinen dann nicht oder melden sich ab“, klagte Hendrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, in einem Podcast der Kammer. Damit werden immer wieder Kapazitäten frei, die als „Rückläufer“ auf der Homepage erscheinen. Wer zufällig gerade auf die Seite klickt und dann rascher reagiert als andere, bekommt mit Glück einen Termin.

Der Verkauf von Impfterminen ist ein Akt unfassbarer Respektlosigkeit und entbehrt jeglicher Form der Solidarität

Birte Pauls, SPD-Landtagsfraktion

Den Faktor Glück will Sören Hergel ausschalten und ersetzt ihn mit einer App. Der gebürtige Eckernförder, der in Kiel eine IT-Firma betreibt, hat eine App entwickelt und programmiert, die die Rückläufer schneller abfängt, als selbst geübte Gamer das schaffen. Er bietet den Service über Ebay an, rund 25 Euro kostet eine Vermittlung. Gezahlt wird nur im Erfolgsfall. Sein Tool arbeitet im Hintergrund, wählt mit den Daten eines Impfberechtigten immer wieder automatisch die Seite an und schnappt sofort zu, wenn irgendwo im Land ein offener Termin gemeldet wird.

Birte Pauls, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, ist entsetzt: „Der Verkauf von Impfterminen ist ein Akt unfassbarer Respektlosigkeit und entbehrt jeglicher Form der Solidarität. Ich erwarte, dass die Landesregierung dem einen Riegel vorschiebt.“ In Schleswig-Holstein hat der Ticketanbieter Eventim den Zuschlag für die Vergabe der Impftermine erhalten – nur deshalb sei dieses „Geschäft mit der Angst“ überhaupt möglich, kritisiert Pauls.

Hergel widerspricht: „Mein Angebot ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ Rund 50 Termine habe er bisher vermitteln können – allerdings steigt zurzeit die Nachfrage durch die Berichterstattung über sein Angebot beträchtlich.

„Zurzeit fragen die meisten wegen Donnerstag an“, berichtet Hergel. An diesem Tag werden wieder Impfdosen im großen Stil freigegeben. „Aber das mache ich nicht“, sagt der 28-Jährige. „Mein Tool hilft nur bei der Vergabe der Rückläufer.“ Er habe überwiegend positive Reaktionen erhalten, auch Verständnis dafür, dass er Geld für den Service verlangt. „Viele Ältere rufen bei mir an und wollen einfach reden und ihren Frust loswerden“, sagt er.

Laut dem Kieler Gesundheitsministerium sei die Vermittlung per App „nicht ausschlaggebend“, die Zahl der belegten Termine nicht groß. Ohnehin sinkt in Schleswig-Holstein, wie auch in anderen Bundesländern, die Bedeutung der Impfzentren. Zwar werden zwischen dem 10. und 23. Mai rund 65.000 Erst­impfungstermine in den Zentren vergeben – allerdings erhalten die Arztpraxen im Land im gleichen Zeitraum fast dreimal so viele Impfdosen.

Richtig so, findet Kammerpräsident Herrmann: „Die Praxen sind es gewohnt zu impfen. Sie sind in meinen Augen die primären Ansprechpartner.“

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5 Kommentare

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  • Was der Mann mit seiner automatisierten App macht, ist schlicht und ergreifend ein Cyberangriff, und wie immer bei Cyberangriffen ist das Motiv am Ende Geld.

    Das sage ich als ITler.

    Daß das Land das möglich macht, ist ein Skandal und mal wieder ein Beleg für mangelnde IT-Kompetenz bei Entscheidungsträgern. Die Impfdosen müssen schrittweise jeden Tag freigegeben werden, am besten jede Stunde.

  • Warum bietet man die Impftermine gleich zehn Jahrgängen auf einmal an? Das ist schief gegangen und wird auch heute wieder schief gehen. Warum bietet man sie nicht jeweils nur einem Jahrgang nach dem anderen an? 1961, dann 1962, dann 1963. Oder wäre das zu einfach?

    • @Wondraschek:

      Das wäre eine gute, altmodische Idee, aber das ist offenbar tatsächlich zu viel verlangt.

  • Ich finde überhaupt nicht, dass der Verkauf von Impfterminen ein Akt von Respektlosigkeit (und schon gar nicht "unfassbarer") ist. Es geht um RÜCKLÄUFER und bevor ich TAGELANG vor dem PC sitze und versuche, einen Termin zu bekommen (wie vielfachst schon geschildert wurde), zahle ich doch gerne die 25 Euro. Die Regierung kriegt es nicht hin unbd jetzt soll Privaten (wenn auch gewerblichen) Knüppel zwischen die Beine geworden werden? DAS finde ich unfassbar!

    • @Streberin:

      Das sind gute Argumente, vielen Dank. Das Problem liegt doch einfach daran, dass wir seit Januar 2021 kaum Impfstoff zur Verfügung haben. Bis Ende Februar waren nur die Häflte der Impfzentren geöffnet, und von den Hunderten von Ärzten, die auf ihren EInsatz in Impfzentrem warteten, haben fast alle keinen Einsatz erhalten. Ich selbst durfte im Februar an 2 Nachmittagen impfen und hätte jeden Tag Zeit gehabt.Auch die großspurige Ansage, die Hausärzte würden jetzt die Impfungen schneller voran bringen, scheitert weiterhin am Impfstoffmangel. Frau Von der Leyen hat noch Mitte März bei 314 Anträgen von Impfstoffexport aus der EU in andere Länder bei 300 Anträgen zugestimmt. Das ist sehr feinfühlig und zeigt das globale Verständnis der EU.Weniger feinfühlig ist es für unsere aktuellen Covid-Erkrankten, weil unsere Impfrate weit hinter Saudi Arabien, USA und Israel zurück liegt. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind für die EU, auch für Deutschland, gravierend. Kann man jetzt nicht politisch aktiv werden und mehr Impfstoff für die eigene Bevölkerung generieren? Wir Ärzte stehen schon seit 4 Monaten in den Startlöchern.