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Immunität von linker EU-AbgeordneterOrbán versus Antifa im Europaparlament

Ungarn hat das EU-Parlament gebeten, die Immunität der italienischen Abgeordneten Ilaria Salis aufzuheben. Ihr werden Angriffe auf Neonazis vorgeworfen.

Ilaria Salis im Askatasuna-Sozialzentrum in Turin, Italien Foto: Giulio Lapone/ZUMA Press/picture alliance

Der ungarische Premier Viktor Orbán poltert mal wieder gegen den Antifaschismus. Ungarn hat das Europäische Parlament gebeten, die Immunität der italienischen Abgeordneten Ilaria Salis vom Wahlbündnis Alleanza Verdi e Sinistra (AVS) aufzuheben. Das machte Salis am Dienstag in einer Stellungnahme auf X öffentlich. Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberte Metsola, hat einen entsprechenden Antrag bestätigt.

Ilaria Salis wird von ungarischen Behörden verdächtigt, sich im Februar 2023 an Attacken auf Neonazis am Rande eines SS-Gedenkmarsches in Budapest beteiligt zu haben. Beim sogenannten „Tag der Ehre“ stellen jährlich europäische Neonazis einen Ausbruchsversuch von ungarischen und deutschen Truppen aus einem Kessel der Roten Armee im Winter 1944/45 nach, oftmals unter Verwendung von NS-Devotionalien. Salis wurde am Tag der Veranstaltung verhaftet und kam im Juni nach 15 Monaten in ungarischer U-Haft frei, weil sie durch ihre Wahl ins Europaparlament Immunität erhielt.

„Offensichtlich können Tyrannen Kritik nur schwer verdauen“, schrieb Salis auf X. Es sei kein Zufall, dass die Übermittlung des Antrags am 10. Oktober erfolgt sei, einen Tag nach Salis' Rede während der Debatte des EU-Parlaments über das Programm der ungarischen Ratspräsidentschaft, in der sie Orbán scharf kritisiert hatte.

Sie hoffe, dass sich das Parlament „für die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte“ entscheide, anstatt „der Arroganz einer ‚illiberalen Demokratie‘ mit autokratischen Tendenzen nachzugeben“, so Salis. Der ungarische Staat habe sie „durch die Worte ihres eigenen Führers bereits mehrfach für schuldig erklärt, bevor ein Urteil gefällt wurde“. Auf dem Spiel stehe nicht nur ihre persönliche Zukunft, es stelle sich auch die Frage, was Europa in Zukunft sein wolle.

„Ungarns dunkelster Ort“

Die Erfolgsaussichten des Antrags gelten als gering, das Prozedere als langwierig. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments wird Informationen und Erklärungen anfordern, Salis wird Gelegenheit erhalten, Stellung zu nehmen und Beweise vorzulegen. Geprüft wird nicht Schuld oder Unschuld der Abgeordneten, sondern ob die Unabhängigkeit des Europäischen Parlaments durch das Verfahren gefährdet werden könnte. Wahrscheinlich ist, dass man in Ungarn das Verfahren als Weg sieht, Salis im Parlament zu diskreditieren.

„Ich kenne Ungarn von seinem dunkelsten Ort: Dem Gefängnis“, hatte Salis in ihrer Rede gesagt. Ungarn sei unter Orbán ein „autoritärer Ethnostaat“ geworden, in dem eine unabhängige Justiz und Pressefreiheit nicht mehr garantiert werde. Dissidenz würde kriminalisiert, loyale Oligarchen bereicherten sich, die Ungleichheit wachse. Salis solidarisierte sich auch mit An­ti­fa­schis­t:in Maja T., die Ende Juni von Deutschland in einer vielfach als unrechtsstaatlich kritisierten Nacht-und-Nebel-Aktion an Ungarn ausgeliefert worden war.

Im Rahmen der hitzigen Debatte im EU-Parlament polterte Orbán, Salis habe „friedliche Menschen in den Straßen von Budapest mit Eisenstangen zusammengeschlagen.“ Zudem erklärte er, die Kritiken, die auch andere Abgeordnete gegen Ungarn vorbrachten, seien falsch und basierten auf Berichten finanziert von George Soros – ein antisemitischer Dog-Whistle gegen den jüdischen US-Milliardär. Solidarität erhielt Salis dagegen von Par­tei­ge­nos­s:in­nen des links-grünen Wahlbündnisses, den italienischen Sozialdemokraten, sowie der deutschen Linkspartei.

Die Causa Ilaria Salis hatte in Italien Proteste ausgelöst, nachdem Medienbilder kursierten, die zeigten, wie sie mehrfach gefesselt und an einer Bärenleine in einen Gerichtssalal gebracht worden war. Ähnlich wie Maja T. heute habe sie 23 Stunden täglich in Isolationshaft gesessen, so Salis in einer weiteren Stellungnahme. Wie Maja T. drohen Salis in Ungarn wegen der mutmaßlichen Attacken auf Neonazis unverhältnismäßig lange Haftstrafen. Weil unter Orbán in Ungarn die Rechtsstaatlichkeit abgebaut wird, hat die EU bereits Gelder in Milliardenhöhe eingefroren.

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