Im Zentrum deutschen Brauchtums: Daumen hoch und machen
Jacinta I. und Samuel I. aus Ratingen sind das erste afrodeutsche Karnevalsprinzenpaar. Sie werben für Integration – Helau!
Ein Samstagmittag im Rheinland, Anfang Februar. Menschen in Steppjacken drängen sich um einen Bierwagen, Bratwürste brutzeln, aus Lautsprechern dröhnt ein Karnevalsschlager. „Es war einmal ein treuer Husar …“
Dann hallt es von der Bühne, nun folge „das Aktuellste, was der deutsche Karneval in diesem Jahr zu bieten hat“.
Das Aktuellste nimmt gerade Aufstellung, eingerahmt von seinen Adjutanten und seiner Eskorte: Jacinta und Samuel Awasum alias Prinzessin Jacinta I. und Prinz Samuel I. stammen aus Kamerun und sind das erste dunkelhäutige Prinzenpaar in der Geschichte des Karnevals.
Alles schunkelt
Sie sind Mitte dreißig, haben in Deutschland studiert und geheiratet, arbeiten im Großhandel und in der IT, haben zwei kleine Kinder und die deutsche Staatsbürgerschaft.
Und sie regieren nicht in Köln, Düsseldorf oder Mainz, sondern in Ratingen, das manche gehässig den „Parkplatz von Düsseldorf“ nennen und das bislang nicht als Karnevalshochburg in Erscheinung getreten ist.
„Einmarsch!“ Der kleine Trupp schreitet auf die Bühne, schunkelt mit den Gastgebern. Auf Samuels Narrenkappe wippen gefärbte Fasanenfedern. Zu seinem rot-weißen Ornat – maßgeschneidert im Westerwald – gehören Puffärmel, eine blütenweiße Hose, weiße Handschuhe und rot lackierte Schnallenschuhe, Jacintas blauweißes Samtgewand mit dem runden Stehkragen erinnert an ein Trachtenkleid.
„Geile Party hier“, ruft Samuel. „Tätä!“, antwortet die Kapelle, „Helau!“, ruft das Publikum.
Zeichen setzen
„Dume huch un mahke“ lautet das Karnevalsmotto der Session, Daumen hoch und machen. Samuel übt es mit dem Publikum in Meta ein, der Sprache seiner Heimatregion: „Noh fiebor kang beh gerh“. Die Leute mühen sich etwas ab mit der Lautmalerei, „Euer Applaus!“, ruft Samuel. Tusch.
Eine Viertelstunde später braust die Karnevalsgesellschaft in einem Kleinbus zum nächsten Termin, aus den Boxen tönen Lieder über „lecker Mädsche“ und „kölsche Jongs“.
Am Steuer sitzt Peter Hense, Vorsitzender und Pressesprecher des Ratinger Karnevalsausschusses. „Wir duzen uns im Karneval“, stellt er klar. „Ich bin der Peter.“ Hense, ein vereinnahmender, bulliger Typ, trägt Anzug zur Narrenkappe und raucht filterlose Camel. Im nichtjecken Leben ist er Fotograf, hat Bilder für Geo und das Manager Magazin gemacht. „Ich bin seit 35 Jahren im Geschäft“, sagt er.
Unter seiner Federführung hat der Karnevalsausschuss das schwarze Prinzenpaar gekürt – im vergangenen Sommer, als sich nach den Anschlägen in Würzburg und Ansbach die Stimmung im Land noch stärker gegen alles Nichtweiße drehte. „Wir wollten bewusst ein Zeichen dagegen setzen“, sagt Hense. Persönlich kannte er die Awasums nicht; er wusste, dass Samuel dem Ratinger Integrationsrat vorstand, „man hat vielleicht mal zwei, drei Worte gewechselt“.
Prinzenpaar mit Botschaft
Samuel war „baff“ über das Angebot. Er fragte seine Frau, die sagte Ja – fertig war die Sensation. Bundesweit berichteten die Medien, ein Video, in dem die beiden im Auto „Komm, hol das Lasso raus“ schmettern, ging mit fast 10.000 Aufrufen geradezu viral ab.
„Wir haben ein Prinzenpaar mit einer Botschaft“, sagt Hense. „Wir wissen, was wir tun“, sagt Samuel. Die Awasums sehen sich nicht als naive Galionsfiguren eines Marketinggags, sondern betrachten ihre Regentschaft als Beitrag zur Integration: „Wenn wir hier jahrzehntelang leben wollen, können wir uns nicht raushalten“, sagt Samuel. Das predige er auch „unseren Geschwistern aus der afrikanischen Gemeinschaft“.
Steht eine Biene auf Rollschuhen vorm Altenheim und raucht. Es regnet.
Drinnen ist die Cafeteria an diesem Nachmittag voll, Luftschlangen baumeln von Rollstühlen, das Personal hat sich als Clown oder Frank Zappa verkleidet. Jacinta und Samuel stimmen sich mit „Oh When the Saints“ auf ihren Auftritt ein. Es ist ihr zweiter von vier Terminen heute, „ein entspannter Tag“, sagt Jacinta. Sie nehmen Aufstellung im Foyer, gleich vor den Fahrstühlen.
Mutterschutz für den Karneval
Bis Rosenmontag haben sie 250 Auftritte: Funkensitzungen, Narrentreffen, Heimatverein, Altenheime. Dazu kommen Interviews, Fototermine, eine Diskussion über Rassismus in der Gesamtschule. In der Woche arbeitet Samuel weiter in Vollzeit, Jacinta hat ihren Mutterschutz verlängert, und als Babysitterin für die Wochenenden haben sie die Oma aus Kamerun geholt.
„Einmarsch!“
Eine Viertelstunde später sitzen sie im Besprechungszimmer, dem „Blauen Salon“, um sie herum Altenpflegerinnen mit Schlumpfhüten. Des Prinzen Federn verheddern sich in der Gardine. Es gibt Muffins und Kaffee.
Sie erzählen von ihrem Besuch bei Angela Merkel. „Sie war sehr nett“, sagt Jacinta, „und sie hat weiche Hände.“ 2,6 Millionen KarnevalistInnen gibt es laut „Bund Deutscher Karneval“ in Deutschland – daran kommt keine Kanzlerin vorbei. Darum lädt sie jedes Jahr zum „Närrischen Empfang“, und die Awasums durften Nordrhein-Westfalen vertreten.
Konfrontation mit Rassismus
Sie schenkten Merkel eine Zweiliterflasche Altbier und hängten ihr ihren Orden um den Hals. Der zeigt das Ratinger Stadtwappen auf der kamerunischen Flagge, fünf Hände in verschiedenen Farben greifen ineinander und bilden einen Kreis.
Das Gespräch mit ihr dauerte „gefühlte 15 Sekunden“, sagt Samuel. „Aber ich glaube, unsere Botschaft ist angekommen. Sie hat gesagt: Schön, dass ihr das macht. Macht weiter so.“
Auf YouTube teilt ein Nutzer ein Video von der Veranstaltung, unter der Überschrift: „Angela Merkel trifft sich mit dem bunten Neger Prinzenpaar aus Ratingen“.
Solche Momente verlangen den beiden einen ziemlichen Spagat ab: Sie sollen sich zu rassistischen Anwürfen äußern und zugleich Frohsinn verkörpern.
Worte wechseln
Jacinta zuckt mit den Schultern. „Ich bekomme davon nichts mit“, sagt sie. „Und wenn schon.“ Samuel sagt, er könne sich „vorstellen, dass Menschen anderer Meinung sind. Karneval ist deutsches Brauchtum, und es gab noch nie ein schwarzafrikanisches Prinzenpaar.“ Und wenn Menschen sich im Karneval das Gesicht schwarz anmalen, „will ich das nicht von vornherein verurteilen. Jeder darf sich so verkleiden, wie er mag, wenn er andere nicht beleidigen möchte.“ Den Begriff „Blackfacing“ hat er zum ersten Mal von Journalisten gehört, „ich kannte den vorher gar nicht“.
Spätnachmittags im Landgasthof. Der Führungszirkel des Karnevalsausschusses säbelt zufrieden auf Rumpsteaks herum, das Prinzenpaar ist daheim bei den Kindern. Man kann die Stimmung hier schlagartig ruinieren, wenn man nach der Sache mit der Kokosnuss fragt. „Vergiss das direkt wieder“, ruft Hense vom Kopfende. Der Bürgermeister hatte bei der Prinzenkürung launig gereimt, es werde beim nächsten Rosenmontagszug nicht nur Kamelle, sondern vielleicht auch Kokosnüsse regnen. Peinlich sei das gewesen und ärgerlich, weil die Presse diese Kleinigkeit so aufgebauscht habe, wo doch die Veranstaltung sonst wunderbar gelaufen sei.
Nur ein einziges Mal sei ihm so etwas wie Rassismus begegnet, erzählt Hense. Nach einer Veranstaltung hörte er „im Rausgehen“, wie einer maulte, jetzt müsse man schon Moslems zum Prinzenpaar küren. „Da bin ich stehen geblieben und hab gesagt: Du bist doch bescheuert, die sind beide christlich“, erzählt er. „Wenn der Prinz noch im Raum gewesen wäre, hätte ich ihn an den Tisch gesetzt und gesagt: So, und jetzt redet.“
Stehen ein Gartenzwerg, ein Scheich und Micky Maus vor der Stadthalle und rauchen. Es gießt.
Drinnen schunkelt die Funkensitzung dem ersten Höhepunkt des Abends entgegen, Tanzmariechen schwingen die Beine, eine Discokugel dreht sich. Vor der Tür nimmt das Prinzenpaar Aufstellung. Samuels Federschmuck wippt.
„Einmarsch!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert